Montag, 08.01.2024: Gesicht
"Bitte recht freundlich!" Kurz bevor ein Foto entsteht, wird das ausdrücklich angemahnt. Entspannte Gesichtszüge, bitte. Keine zugekniffenen Augen. Auch wenn´s blendet. Lebendig locker lächeln. Und dann mehrere Klicks.
Zum Ergebnis meint hinterher mindestens einer der Abgelichteten: "Mensch, wie guck ich den da?" Gesichter anschauen. Auf Werbeplakaten, in Zeitschriften, auf den runden Button im Inhaltsverzeichnis der WhatsApp-Adressen.
Schon im Altertum war das angesagt. Römische Porträts in Stein gehauen, zeigen Menschen mit zerfurchtem, runzeligem Antlitz. Das war ein Ideal jener Zeit. Der Römer galt als hart, nüchtern, von Arbeit gezeichnet. Kampf und Sorgen um den Staat zogen starke Falten auf die Stirn.
Anders die kunstsinnigen Griechen. Sie porträtierten jugendliche Vollkommenheit.
Zum Anfang des 20. Jahrhunderts wurde hierzulande der hohen Kunst der Freudlosigkeit gehuldigt. Es gibt nichts zu lachen. Das Leben ist kurz, ernst und ordentlich.
Dem steht nun heutzutage die totale Selbstinszenierung entgegen. Geprägt von glatter Haut und unentwegt strahlender Mimik. "Die, die immer lacht" haben Kerstin Ott und Stereoact zum Hit gemacht. Den Rest der perfekten Präsentation erledigen Anti-Aging-Cremes und Botox. Bei "Insta" alles ins rechte Licht gesetzt.
Mein Gesicht spiegelt, was ich erfahre und wie ich damit umgehe. In seinen Sinngedichten schrieb Gotthold Ephraim Lessing vor 250 Jahren: "O Redner! Dein Gesicht zieht jämmerliche Falten, indem dein Maul erbärmlich spricht. Eh du mir sollst die Leichenrede halten, wahrhaftig, lieber sterb ich nicht!"
Wer jetzt lächelt, hat den Tiefsinn erkannt. Darum: Machen wir uns und anderen nichts vor. Das ist das eine.
Dass Gott sein Angesicht über uns leuchten lässt, egal wie wir aussehen, ist das befreiend andere. Es ist ein Segen. Der uns wiederum freundlicher werden lässt.
Und Freundlichkeit entspannt. Verbindet. Öffnet harte Herzen. Sehen wir einander an. Liebevoll und barmherzig.