Donnerstag, 11.01.2024: Der alte Hut
Auf dem Dachboden finde ich einen alten Hut. Verstaubt und eingesponnen hängt er am Balken. Vorsichtig nehme ich ihn zur Hand. Am Fenster schüttle ich ab, womit ihn der Zahn der Zeit bedeckt hatte. Was könnte mir dieser Hut aus Loden mit kleiner Krempe und mittiger Kerbe obenauf erzählen? Wer trug ihn mal? Und wer hat ihn schließlich dort an den Nagel gehängt? Der Hut fasziniert mich. Mir fallen Menschen mit Hut ein. Ausgesprochene Hutgesichter. Prominente sehe ich vor mir. Charlie Chaplin oder Udo Lindenberg. Napoleon, Adenauer, Queen Mum. Hüte prägen. Hüte verändern. Hüte bestimmen Beziehungen. Auf dem Dachboden des Mietshauses steht auch noch ein Karton mit abgelegten Kopfbedeckungen. Eine schnurriger als die andere. Meine Mutter pflegte dann immer zu sagen: "Die heben wir auf. Die könnt ihr mal zum Fasching aufsetzen."
Ich aber will mir die Geschichte anhören, die er mir von seinem Eigner erzählt. Aus dem Leben eines Mannes. Denn einer Frau hätte er nicht gestanden. Eines Menschen, der hier aufgewachsen ist. Und ich höre, dass er ihn sich gekauft hat, kurz bevor die Inflation 1923 ihren Höhepunkt erreichte. Er war stolz und gleichzeitig stark verunsichert, so viel Geld ausgegeben zu haben. Die Zeiten änderten sich. Der Hut blieb. Keine Ahnung ob er im Krieg und der Gefangenschaft in Gebrauch sein durfte. Als der Mann, dem er gehörte, dem Tod von der Schippe gesprungen ist, endlich das Lazarett verlassen und ihn zum ersten Mal wieder aufsetzen konnte, wurde ihm bewusst wie wunderbar es sich anfühlt, am Leben zu sein.
Vielleicht hat jener diesen Hut vor einer Frau gezogen? Vielleicht hat er gedemütigt irgendwann stolz seinen Hut genommen? Vielleicht hat ihn ja dieses Kleidungsstück auf Schritt und Tritt begleitet? Und wenn die Kinder heimkamen und sahen den Hut an der Garderobe hängen, wussten sie: Vater ist da. Doch eines Tages trat er seine letzte Reise an. Barhäuptig. Weil der, der mit ihm durch alle Zeit gegangen ist, ihn jetzt an der Tür zum Haus des Himmels erwartete. Er erkannte ihn wie ihn kein Mensch kannte. "Komm an und leg' ab! Ich weiß, wer du bist."