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Wie lässt sich vermitteln, was jüdischen Kindern im Holocaust widerfuhr? Dazu gab es jetzt eine Fortbildung für Kita-Kräfte in Tangerhütte, wo die geplante Umbenennung der Kita "Anne Frank" nach Protesten abgesagt wurde.

MDR KULTUR - Das Radio So 04.02.2024 06:00Uhr 03:37 min

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Bildungsarbeit Nach dem Wirbel um "Anne Frank" in Tangerhütte: Workshop für KITA-Personal

03. Februar 2024, 04:00 Uhr

Zehntausende Menschen gehen seit den Correctiv-Enthüllungen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. "Nie wieder ist jetzt", unter dieser Losung standen Kundgebungen zum Holocaust-Gedenktag. Doch wie lässt sich Kindern und Jugendlichen vermitteln, was jüdischen Gleichaltrigen in der NS-Zeit widerfuhr? Dazu gab es jetzt eine Fortbildung für Kita-Kräfte im altmärkischen Tangerhütte, wo die geplante Umbenennung der Kita "Anne Frank" auch international für Empörung sorgte.

Man könne so jungen Kindern noch nicht beibringen, welches Schicksal das jüdische Mädchen Anne Frank im Holocaust erlitten habe. Das war Ende 2023 das Hauptargument von Eltern und Erzieherinnen der Kita "Anne Frank" dafür, ihre Einrichtung umzubenennen.

"Es gibt auch eine deutsch-jüdische Gegenwart"

"Welt-Entdecker" sollte die Kita im altmärkischen Tangerhütte künftig heißen. Ein Aufschrei ging daraufhin durch deutsche Zeitungen, auch New York Times und Jerusalem Post empörten sich. Die Vertreter der Einrichtung sagen, ihnen sei die Tragweite ihres Vorstoßes nicht bewusst gewesen. Außenstehende halten ihnen entgegen: Von Erzieherinnen, die in einer Kita namens Anne Frank arbeiten, hätte man das schon erwarten können.

Katrin Reimer-Gordinskaya ist Kindheitswissenschaftlerin an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Den Erzieherinnen hat sie einen Workshop angeboten: "Wenn ich es selber nicht weiß, ist es schwer. Da haben wir auch drüber gesprochen, dass es darum geht, die riesigen Wissenslücken und Unkenntnis, die Fachkräfte selbst haben, überhaupt erstmal wahrzunehmen, anzuerkennen. Und auch festzustellen: 'Aha, es gibt eine deutsch-jüdische Gegenwart, und ich weiß aber eigentlich gar nichts über die Vielfältigkeit von jüdischem Alltag heute.'"

Kluft zwischen Wissenschaft und Bildungsalltag

Die Kita "Anne Frank" in Tangerhütte hat ihren Namen behalten. Doch die Erzieherinnen, auch das wurde im Workshop deutlich, fühlten sich mit der Debatte überfordert und allein gelassen. Was Katrin Reimer-Gordinskaya, die zu diesen Themen forscht, sehr mitgenommen hat: "Das, was ich tue, ist, mich an meine eigene Nase zu fassen", erklärt Katrin Reimer-Gordinskaya, die sich in ihrer Rolle als Wissenschaftlerin und Lehrende selbst befragt hat. Sie beschäftige, dass sie einerseits zu Vielfalt und Vorurteilen in der Kita arbeite, andererseits auch zu deutsch-jüdischer Regionalgeschichte und zu Antisemitismus forsche, aber beides vielleicht nicht ausreichend zusammengebracht habe.

Zugleich zeigt Katrin Reimer-Gordinskaya Verständnis für das Kita-Personal. Zu viel sei in den vergangenen Jahren passiert: zunächst der Zuzug syrischer und afghanischer, dann der ukrainischer Flüchtlingskinder, dazwischen noch Corona – das habe Probleme geschaffen, die ad hoc zu lösen gewesen seien.

Impulse für tägliche Arbeit und Kooperation

Nach der internationalen Debatte um die Kita-Umbenennung in Tangerhütte sei es nun aber Zeit, Wissen aufzuholen, sagt die Forscherin. Das sei im Workshop auch passiert. Beispielsweise habe man sich mit jüdischem Alltag und Festen beschäftigt und dazu auch Kinderbücher angesehen: "Und das war auch was, wo die Teilnehmenden gesagt haben: 'Das habe ich so noch nicht gekannt'. Und das ist doch auch was Positives zu sagen: 'Gut, dann begebe ich mich mit den Kindern auf eine Bildungsreise, und vielleicht können wir das gemeinsam mit jüdischen Gemeinden oder Einrichtungen, die dazu in Kitas kommen, in unseren Bildungsalltag integrieren.'"

"Heutigen Antisemitismus kindgerecht thematisieren"

Schon in den nächsten Tagen will Katrin Reimer-Gordinskaya auch interessierte Studierende mit dem Thema vertraut machen. Wer sein Fach verstehe, könne Wege und Erklär-Formen finden, von der Diskriminierung jüdischer Kinder während der NS-Zeit, "durch Verordnungen, durch Verbote, was sie alles nicht mehr durften: nicht mehr in Kinos, nicht mehr in Schulen gehen, wie sie auch im Alltag Diskriminierung erfahren haben durch ehemalige Mitschüler und Mitschülerinnen, durch Kinder auf der Straße", erklärt Reimer-Gordinskaya, die darauf verweist, dass es Diskriminierung auch zu DDR-Zeiten gab.

Sie ist überzeugt, dass man die heutigen Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung, von Antisemitismus, kindgerecht thematisieren könne.

Nach dem ersten Workshop im Rahmen der Aktionswoche gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sollen weitere Angebote der Hochschul-Forscher an das Kita-Personal folgen. Katrin Reimer-Gordinskaya hofft, dass daran auch Kitas Interesse zeigen, die nicht nach Anne Frank benannt sind.  

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 04. Februar 2024 | 09:15 Uhr