Welttag der Migranten und Flüchtlinge 2025 Doku-Tipp: Ab wann ist man "Deutsch genug?"
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19. Januar 2025, 04:00 Uhr
Ab wann ist man eigentlich "Deutsch genug?" Die "Nah dran"-Reportage von Katharina Vorndran gibt Einblick in das Leben von Migranten in Sachsen und Thüringen. Dazu gehören Geflüchtete in einer Gemeinschaftsunterkunft in Saalfeld, ein syrisches Ehepaar, das in Erfurt gerade einen arabischen Buchladen eröffnete – und Duc Pham, der 1991 in Sachsen geboren wurde. Was sie verbindet: Sie fühlen sich "Fremd und daheim im Osten", erleben Angriffe wie Unterstützung. Die Doku jetzt streamen in der ARD Mediathek!
"Besser nicht auffallen. Sich unsichtbar machen, um dazu zu gehören." So erinnert sich Duc Pham an die Maxime seiner Kindheit und Jugend in Sachsen. Im erzgebirgischen Schlema wurde der junge Mann 1991 geboren. Er wuchs auf mit deutschen Kinderliedern, Sandmännchen und Schwibbogen im Fenster. Seine Eltern waren als Vertragsarbeiter aus Vietnam in die DDR gekommen.
Ohne das Ende der DDR gäbe es mich vielleicht nicht, überlegt er. Vertragsarbeiterinnen war es verboten, schwanger zu werden. Bedroht wurden sie mit dem Zwang zum Abbruch oder der Rückführung ins Heimatland. Doch auch die Wende bedeutete eine ungewisse Zukunft für die Familie. Man war nur "geduldet", das änderte sich erst nach 1997.
"Besser nicht auffallen"
Deshalb sei es den Eltern wohl besonders wichtig gewesen, dass er und seine Geschwister sich anpassten, meint Duc Pham heute. Im kleinen Dorf Stützengrün lebten sie zunächst, erzählt er und dass er noch weiß, wo sie im Wald Heidelbeeren sammelten. Von der schwierigen Lage, dem aufflammenden Rassismus der 1990er-Jahre habe er damals nicht viel mitbekommen, sagt er: "Ich glaube, da haben meine Eltern viel von uns ferngehalten."
Später in der Schule blieben rassistische und homophobe Anfeindungen nicht aus. Dass er damit umgehen lernte, verdankt er Menschen wie der Sängerin und Musikpädagogin Ellen Haddenhorst-Lusensky, die ihn als "lustigen und aufgeschlossenen Burschen" erinnert und ihm Mut machte. Seine Herkunft spielte beim Klavier- und Gesangsunterricht keine Rolle. Da durfte er auffallen mit seinem Talent. Später schaffte er die Aufnahmeprüfung fürs musische Gymnasium in Zwickau. Er blieb bei seiner Maxime: "Besser nicht auffallen". Zum Studium zog er weit weg nach Karlsruhe.
Challenge: Arabischer Buchladen in der Altstadt von Erfurt
In Ostdeutschland leben deutlich weniger Menschen mit Migationshintergrund. Zu DDR-Zeiten war es ein Prozent der Bevölkerung, heute sind es zehn, immer noch deutlich weniger als im Westen. Wer anders aussieht, spricht oder lebt, fällt schneller auf. Sichtbar sein, dazu gehört Mut, wenn schon die pure Existenz für nicht wenige eine Provokation ist, wie die jüngsten Wahl-Ergebnisse mit den AfD-Erfolgen gerade in Sachsen und Thüringen zeigen.
Genau hier im Osten fühlen sich Siba Biri und Nader Raslan nun heimisch. Sie flüchteten 2017 aus Syrien nach Deutschland, umverteilt wurden sie nach Thüringen, heute leben sie in Erfurt, wo sie nun ihr erstes eigenes Geschäft eröffneten: einen arabischen Buchladen. Dass der nicht bei allen gut ankommt, war ihnen klar. Nur dank der Fürsprache des Vormieters hatten sie nach langer Suche den Laden in der Altstadt nicht weit weg vom berühmten Augustinerkloster bekommen. Fast 1.000 Kommentare gab es auf einen Post von MDR KULTUR zur Eröffnung – gut ein Drittel nicht freundlich. "Am Anfang wollte ich sie alle lesen und mich verteidigen", erzählt Siba Biri.
Jetzt konzentriert sie sich auf die Leute, die "positive Energie" mitbringen. Anfeindungen kennt sie allerdings auch aus direkter Erfahrung, vorsichtshalber gibt es eine Überwachungskamera im Laden. Der soll trotz allem ein Ort der Begegnung sein, für die Arabisch sprechende Community und für Deutsche, wie beide betonen. Zur Eröffnung kamen auch Menschen, die sie von Anfang an unterstützten, Menschen wie Siegfried Müller, der ihren beiden Kindern in schulischen Dingen hilft – und der vermitteln will, "ein bisschen was regulieren, indem man mit Bekannten und Freunden spricht".
Ringen um Akzeptanz
Vor zwei Jahren beantragten Siba Biri und Nader Raslan die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie würden gern bleiben, ungeachtet der Veränderungen in Syrien. Ihre Tochter fühlt sich schon als Thüringerin und liebt Erfurt, erzählt die junge Frau. Doch Dazugehören ist nicht so einfach, betont ihr Mann:
Ich kann nicht alleine sagen: 'Ich bin Thüringer!', wenn mich die Gesellschaft nicht akzeptiert.
Akzeptanz, darum geht es Nader Raslan auch in seiner ehrenamtlichen Arbeit in Migranten-Organisationen, gerade eröffnete er mit einer Kollegin in Saalfeld eine Beratungsstelle nahe der Gemeinschaftsunterkunft, wo derzeit rund 1.200 Geflüchtete leben. Die betreut mit nur sechs Mitarbeitenden Petra Maar, seit 15 Jahren leitet sie den Bereich Asyl im Landkreis Saalfeld. Sie spricht von einer "schwierigen Zeit" und davon, "dass im Umfeld der GU nicht unbedingt immer nur Freunde von unseren Flüchtlingen wohnen". Der von Raslan mitgegründete Verein MigraSaal e.V. berät und unterstützt durch Übersetzung, Begleitung zum Arzt oder Jobcenter. Räume und Technik stellt der Landkreis für das Projekt von und für Migranten. Seine Kollegin Karima kam aus Algerien nach Deutschland und lebt schon 20 Jahre in Saalfeld. Über ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus möchte sie vor der Kamera nicht detailliert sprechen.
Wahlkampf und mehr als Wortgefechte
In Krisen-Zeiten reagierten Menschen häufig mit Trotz, sagt Özcan Karadeniz vom deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung "und mit dem Versuch, eine Ordnung wiederherzustellen, wie sie vielleicht nur in der Fantasie einst geherrscht hat". Paradoxerweise seien wenige Berührungspunkte einer der Gründe für die verbreitete Ausländerfeindlichkeit im Osten, betont er mit Blick auf die Situation 2015: "Nirgendwo gab es eine größere Angst vor der so genannten 'Islamisierung des Abendlandes', zu der Zeit, hatten wir schätzungsweise 0,48 Prozent Muslime in Sachsen."
Fakt ist, im Osten sind nur noch knapp 30 Prozent damit zufrieden, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, stellt die jüngste Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig fest. Danach können sich 21 Prozent der Ostdeutschen und sogar ein Viertel der Westdeutschen einen Führer vorstellen, der mit "starker Hand" durchgreift.
Und: Die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen hat in Westdeutschland demnach deutlich zugenommen und nähert sich den Einstellungen im Osten an. Ost und West finden sich "vereint im Ressentiment". Wer nicht "biodeutsch" ist, kann nicht dazugehören und muss eventuell die "Remigration" befürchten.
Sich nicht mehr verstecken
Dass Rassismus und Homophobie nicht nur ein Ost-Problem sind, weiß Duc Pham längst aus eigenen Erfahrungen. Welchen Ruf seine einstige Heimatstadt Zwickau mittlerweile hat, schockiert ihn trotzdem:
Früher war es uncool, Nazi zu sein. Jetzt wird gar kein Hehl mehr draus gemacht, fremden- oder queer-feindlich zu sein.
So fasst er seinen Eindruck zusammen. Doch auch in Zwickau gibt es Menschen, die für Toleranz kämpfen. Duc Pham, der mittlerweile in Berlin lebt, kam zum letzten Christopher Street Day nach Zwickau, um die Community vor Ort zu unterstützen. Klar war, es würde zu einer Gegendemo der rechstextremen Kleinpartei "Dritter Weg" und möglicherweise heiklen Situationen kommen. Duc Pham will sich heute nicht mehr verstecken. Der junge Mann mit der sanften Stimme trägt seine Haare heute lang mit blondierten Spitzen.
Als Künstler erkundet er seine Familiengeschichte . Seine Arbeiten, noch bis Ende März 2025 zu sehen in einer Ausstellung im Berliner Humboldt-Forum, sind auch Kritik am Umgang mit Vertragsarbeitenden wie seinen Eltern. Die leben nun seit Jahrzehnten im Erzgebirge. Ob sie inzwischen dazu gehören?
"Unsere Gesellschaft ist divers", sagt Duc Pham, "das bildet sich aber leider nicht so ab in bestimmten Bereichen." Er will sichtbar sein, geht in die Öffentlichkeit, seinen Eltern möchte er das nicht zumuten.
Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt, MDR Religion und Gesellschaft
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 23. Januar 2025 | 22:05 Uhr