Der Redakteur | 14.04.2023 Müllgebühren: Warum man oft trotz Müllvermeidung für das Mindestvolumen zahlen muss
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14. April 2023, 16:40 Uhr
"Ich will das nicht, ich brauche das nicht, ich zahle das nicht!" - Abwassergebühren, Versicherungsbeiträge, Müllgebühren – das sind Beispiele für zumeist solidarisch organisierten Systeme. Viele empfinden das als ungerecht. Warum muss ich für die Entsorgung für mehr Müll zahlen, als ich in die Tonne gebe?
Für den Umweltschutz sind wir alle. Wer aber noch glaubt, mit der Verteilung seines Bauschutts auf Waldwegen einen Beitrag für die Fahrspurstabilisierung zu leisten, dem ist eigentlich nicht mehr zu helfen. Und das, was wir immer noch als "Müll" bezeichnen, ist auch schon längst als Wertstoff erkannt.
Auch ist aus der Abfallwirtschaft eine Kreislaufwirtschaft geworden und statt zur Deponie fahren wir zum Wertstoffhof. Das klingt nach Wortklauberei, ist aber das äußere Zeichen für eine weitere Zeitenwende.
Ressourcen sind endlich - trotzdem steigt die Müllmenge
Die Ressourcen der Erde und besonders Deutschlands sind endlich, die Verklappung auf einer Deponie oder gar Verschiffung in Entwicklungsländer ist nicht nur aus Umweltgründen ein Sündenfall, sondern mittelfristig werden uns diese Stoffe schlicht fehlen.
Trotzdem zeigen alle Zahlen: 40 Kilogramm Restmüll fallen pro Jahr und Kopf an und da ist vieles dabei, das man wirklich besser verbrennen sollte: Windeln, Staubsaugerbeutel, Klobürsten, gebrauchte Papiertaschentücher usw.
Wie könnte Entsorgung gerecht werden?
Mit dieser Frage beschäftigen sich nicht nur Bürger, Kommunen oder Landkreise sondern auch Wissenschaftler und es ist auch schon viel erforscht und getestet worden. Das Ergebnis: Meistens ist der Mensch die Schwachstelle und nicht jedes Konzept eignet sich für jede Region. Großstadt, Kleinstadt, Mietwohnungen, Eigentum, Einwohnerzahl – alles spielt eine Rolle.
Müllentsorgung nach Verbauch zahlen, funktioniert in der Praxis nicht
Verschiedene Tests und Konzeptanalysen haben gezeigt: Die Idee, ich zahle wirklich nur noch, wenn meine Tonne wirklich geleert wird und das am besten noch je Kilogramm, die funktioniert in der Breite nicht. Aus verschiedenen Gründen. Und es nützt auch nichts, wenn wir uns gegenseitig die Paradebeispiele vorlesen mit elektronischen Chips und der Mustersiedlung am Speckgürtel.
In der Realität und Anonymität einer Stadt oder einer Waldlichtung werden die Untiefen menschlichen Daseins sichtbar. Die wissenschaftlichen Analysen des Instituts für Abfall Abwasser und Infrastruktur-Management der FH Münster zeigen: Der Müll landet dann eben in der Tonne des Nachbarn, bzw. der Nachbarstadt, in öffentlichen Papierkörben, in den Containern der Arbeitgeber, in der Gelben, Blauen und Braunen Tonne oder im Zweifel eben auch in der Natur.
Tägliche Routinen sind verschieden
Auch lassen sich die tägliche Abläufe von Eigenheimbesitzern auf dem Lande nicht mit jenen in einer städtischen Wohnscheibe vergleichen. Der eine hat eine eigene Tonne für die er zahlt und die man auch individuell abrechnen könnte, der andere wird über die Quadratmeter abgerechnet und wirft seinen Beutel in einen Rollcontainer.
Der Eigenheimbesitzer kann im Zweifelsfall jeden Morgen mit den angefallenen Joghurtbechern seines Familienfrühstücks die fünf Meter bis zur Tonne tänzeln. Das ist im Hochhaus nicht möglich.
Wenn ich aus dem 14. oder auch nur vierten Stock mit meinen vier Behältern runter muss und dann wieder zurück, dann ist der Aufwand sehr hoch. Zumal es keinen Gebührenanreiz gibt wegen der Quadratmeter-Umlage.
Prof. Gellenbeck formuliert das völlig vorwurfsfrei. Der persönliche(!) Anreiz, den Eigenheimbesitzern sehr leicht gegeben werden kann, kann in Mietshäusern kaum organisiert werden. Zumal bei der Planung der Größe einer WBS 70 – Küche die Vier-Behälter-Sammelbox nicht mitgedacht wurde.
Satzungen der Landkreise müssen Fixkosten der Entsorgung fair verteilen
Die Müllsatzung eines Landkreises oder einer Stadt muss aber eben auch diese Lebenswirklichkeiten mitdenken. Dazu gehört auch, die 70 prozentigen Fixkosten des Kreislaufsystems fair zu verteilen, sagt Prof. Gellenbeck.
Die Graue Tonne mag die Basis sein für die Berechnung der Müllgebühr, da stecken aber in Wirklichkeit die Kosten des Gesamtsystems drin, quer durch alle Tonnenfarben, Fuhrparks, Wertstoffhöfe und Verbrennungsanlagen. Ob letztere richtig dimensioniert wurden oder es nicht besser gewesen wäre, wenn sich beim Bau einst (noch) mehr Landkreise zusammengetan hätten, das ist eine ganz andere Frage.
Wer verdient sich mit der Geleben Tonne eine Goldene Nase?
Niemand. Mal abgesehen davon, dass Müllvermeidung eng verwandt ist mit Verpackungsvermeidung und Mehrwegsystemen. Gelbe und auch Blaue Tonne sind wichtig, unsere endlichen Ressourcen und die Umwelt zu schonen, einschließlich der Meere.
Aber es ist nicht so, dass jeder Joghurtbecher zur Gewinnmaximierung beiträgt. Die Gelbe Tonne des Dualen Systems ist nur dann finanziert, wenn wir nur Verpackungen einwerfen. Ohne die Umlagen aus dem Dualen System, die wir an der Supermarktkasse bezahlen, würde das Recycling gar nicht funktionierten. Und mit jedem Einwurf eines Gegenstandes, das quasi den Grünen Punkt nicht trägt, steigt das Defizit im System.
Wertstofftonne: Sinnvoll, politisch aber oft nicht durchsetzbar
Aus Umwelt- und Ressourcengründen wäre es natürlich der beste Weg, auch die Bratpfanne und das defekte Plastespielzeug dort einzuwerfen, allerdings müssen sich dafür die Vertreter des Dualen Systems und der jeweiligen Landkreise über die Finanzierung einigen.
Nur so kann aus der Gelben (Verpackungs-)Tonne, die sogenannte Wertstofftonne werden, die es nach Einschätzung von Prof. Gellenbeck erst in ca. 25 Prozent der Kommunen und Kreise gibt. Denn sie ist politisch oft nicht durchsetzbar. Auch, weil letztlich die Einsicht der Verbraucher fehlt, dafür noch mehr zu zahlen.
Verbrennen oft billiger für die Kommunen
Das Verbrennen ist billiger, die als "thermische Verwertung" elegant umschrieben wird und immerhin noch zur Energiegewinnung beiträgt. Aber sie vernichtet eben leider Ressourcen und Wertstoffe.
Wenn wir stoffgleiche Nichtverpackungen, wie wir sie nennen, in dem System mit erfassen würden, dann wäre der Erlös nicht so groß, um die zusätzlichen Sammelkosten auszugleichen.
Auch ist in den Müllgebühren in der Regel auch die Entsorgung von Sperrmüll einberechnet, der kostenlos abgeholt oder auf dem Wertstoffhof abgegeben werden kann. Auch diese Annahmestellen lassen sich nicht betreiben, indem man Elektroschrott, Metalle & Co. verkauft, dafür ist die Aufarbeitung zu aufwändig.
Verbraucher trennen nicht richtig
Streng genommen ist der Durchschnittsverbraucher noch nicht einmal in der Lage, einen Joghurtbecher fachgerecht zu entsorgen. Was bitte soll die Sortieranlage machen, die sensorgesteuert erkennen kann, was da auf dem Förderband liegt und mit Druckluft gerne den Kunststoffbecher in den einen Behälter schicken würde und den Aludeckel in den anderen?
Bessere Trennung würde Recycling erleichtern
Nun könnten wir die Grundsatzdiskussion mit der Verpackungs- und Lebensmittelindustrie führen, warum es so schwierig ist, Gefäß und Deckel aus dem gleichen Material herzustellen oder einfach mal als ersten Schritt den Deckel komplett abziehen, statt ihn mit dem Löffel gedankenlos in den Becher zu pressen. Schwieriger wird es mit komplexeren Produkten.
Wer das mit der Wiederverwertung ernst nimmt, der sollte das ausrangierte Spielzeugauto auch nicht im Stück in die Tonne werfen. Mindestens die Reifen dürften aus einem anderen Material sein als das Gehäuse und die Achsen sind sogar aus Metall. Wer bitte soll das demontieren, wenn nicht der verantwortungsbewusste und sparsame Verbraucher selbst?
Wird am Ende alles zusammengeworfen?
"Das ist Quatsch!", mit diesem kurzen Statement wischt Prof. Gellenbeck diese oft geäußerten Ansichten vom Tisch. Allerdings räumt er ein, dass es diese Fälle gibt und deutsche Verpackungsabfälle plötzlich in Malaysia auftauchen oder anderswo. Aber das ist kriminell, nicht die Regel und schon gar nicht die Grundidee.
Versuche den Sortieranlagen die Mülltrennung zu überlassen erfolglos
Gleichwohl hat es schon wissenschaftlich begleitete Versuche gegeben, alles auf einen Haufen zu werfen, das Graue und das Gelbe System aufzulösen und alles den Sortieranlagen zu überlassen. Nur war das Ergebnis leider ernüchternd.
Die Frage war, ist dieses Material stofflich verwertbar und gibt es eine Abnahmegarantie der Kunststoffindustrie? Und beides war nicht der Fall.
Recyceltes Plastik eignet sich nicht für alle Verpackungen
Dass die Industrie kein Interesse hat an verschmutzen Mischprodukten, das ist nachvollziehbar und sollte auch uns als Konsument interessieren. Denn wir stehen doch total darauf, Produkte aus recyceltem Material zu kaufen. Für das gute Gewissen.
Und da wäre es doch schön, wenn in so einer hippen öko-recycelten Duschgel-Flasche nicht alles drin ist, was wir so übers Jahr gesehen in die Gelbe Tonne werfen. Herzliche Grüße von der Klobürste.
MDR (jw)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 14. April 2023 | 16:40 Uhr