Russland Aufstand für ein Wochenende – der Fall des Jewgeni Prigoschin

29. Dezember 2023, 15:11 Uhr

Jewgeni Prigoschin war mit seiner Söldnergruppe Wagner jahrelang ein treuer Gefolgsmann von Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Im Juni forderte er jedoch den Kremlchef heraus. Nahezu ungehindert marschierte er mit seinen Kämpfern auf Moskau zu. Nach nur einem Tag stoppte er den Aufstand. Zwei Monate später war er tot. Ein Rückblick.

Ungebremst unflätig, fluchend auf Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu und dessen Generalstabschef Witali Gerassimow – so wird Jewgenij Prigoschin in Erinnerung bleiben. Wochenlang schimpfte Prigoschin im Frühjahr öffentlich über die Unfähigkeit, die Korruption der Militärführung in einem Land, in dem auch in diesem Jahr schon leiser Protest gegen den Krieg gegen die Ukraine zu drakonischen Haftstrafen führte.

Söldnergruppe Wagner seit 2014 im Einsatz

Prigoschin konnte sich das als Chef seines privaten Militärunternehmens Wagner leisten, das in einer brutal geführten Schlacht um die ukrainische Stadt Bachmut eingesetzt wurde – oder Artjomowsk, wie die Stadt in Russland genannt wird.

Am 21. Mai zitierte das russische Fernsehen den Pressedienst des Präsidenten: "Artjomowsk ist befreit. Wladimir Putin gratuliert den Kämpfern der Wagner-Gruppe und den Soldaten der russischen Armee."

Privatarmeen und Söldner darf es eigentlich in Russland nicht geben. Aber die schon 2014 aufgestellte Gruppe Wagner des alten Putin-Vertrauten Prigoschin war dennoch im Einsatz für russische Interessen in afrikanischen Staaten, in Syrien, in der Ukraine.

Machtkampf eskaliert

"Ich liebe meine Heimat, ich diene Putin, Schoigu muss weg". Lange Zeit gelang Prigoschin die Gratwanderung zwischen Beschimpfungen der Militärführung und Loyalität zu Putin. Aber im Juni eskalierte der Machtkampf.

Die russische Söldnergruppe Wagner will sich aus der umkämpften ukrainischen Stadt Bachmut zurückziehen. 1 min
Bildrechte: Concord Press Service / Reuters

Vizeverteidigungsminister Nikolai Pankow: "Um die freiwilligen Formationen als Teil unserer Truppen im Gebiet der militärischen Spezialoperation effektiver einzusetzen, hat der Verteidigungsminister den Befehl unterzeichnet, nachdem alle freiwilligen Formationen bis zum 1. Juli Verträge mit dem Verteidigungsministerium unterzeichnen müssen."

Soldaten der Wagner Gruppe auf einem Panzer, umringt von Schaulustigen.
Bildrechte: IMAGO / ITAR-TASS

Genau eine Woche vor dieser erzwungenen Unterstellung hatte Jewgeni Prigoschin die Initiative ergriffen. Seine Truppen seien im Bereitstellungsraum vom eigenen Militär angegriffen worden, sagte er. Was folgte, nannte Prigoschin den Marsch für Gerechtigkeit. Kein Militärputsch, sondern der Versuch, die Militärführung zu stürzen.

Gepanzerte Kolonne auf dem Weg nach Moskau

Prigoschin sagte damals: "Warum uns das Land unterstützt? Weil wir auf dem Marsch der Gerechtigkeit sind. Wir haben unterwegs keinen einzigen Menschen getötet, Rostow am Don erreicht, ohne einen Schuss abzufeuern, haben das Militärhauptquartier erobert. Auf der Straße sind Menschen, die die Fahnen der Gruppe Wagner entrollen."

Bis zu 50.000 Wagner-Kämpfer sollen vom besetzten Teil der Ukraine aus in Südrussland einmarschiert sein. Eine gepanzerte Kolonne zog auf der Autobahn zügig und ohne größeren Widerstand Richtung Moskau. Bis zu sechs angreifende russische Hubschrauber wurden abgeschossen.

Putin richtet seine Worte an die Söldner: "Ich wende mich an diejenigen, die durch Täuschung oder Drohungen zu diesem kriminellen Abenteuer verleitet wurden und auf den Weg des schweren Verbrechens der bewaffneten Meuterei getrieben wurden." Von der Gefahr eines Bürgerkriegs warnte er dann, forderte vergeblich, die Waffen abzugeben.

Prigoschin beendet Aufstand - Flugzeugabsturz zwei Monate später

Am Sonntag, da waren die Wagner Kämpfe nicht einmal mehr 300 Kilometer von Moskau entfernt, beendete Prigoschin den Aufstand. Vermittelt, so hieß es, vom belarussischen Machthaber Lukaschenko – gegen Straffreiheit und freies Geleit der Kämpfer nach Belarus.

Jewgeni Prigoschin konnte sich nach dem gescheiterten Aufstand frei bewegen. Am 21. August wurde sein letztes Video veröffentlicht – Prigoschin irgendwo in Afrika: "Die Wagner-Gruppe führt Aufklärungsaktivitäten durch, macht Russland auf allen Kontinenten noch größer und Afrika freier."

Zwei Tage nach dieser Veröffentlichung und genau zwei Monate nach Beginn des Wagner-Aufstands stürzte Jewgeni Prigoschins Privatflugzeug auf dem Weg von Moskau nach Sankt Petersburg über dem Gebiet Twer ab. Prigoschin und neun weitere Passagiere starben.

Unrühmliche Worte zum Abschied

Abgeschossen? Nein, selbst schuld. So beendete Präsident Putin das Kapitel Jewgenij Prigoschin Anfang Oktober endgültig: "In den Körpern der bei dem Flugzeugabsturz Gestorbenen wurden Fragmente von Handgranaten gefunden. Es gab keine äußeren Einwirkungen auf das Flugzeug."

Und dann habe man ja bei einer Durchsuchung im Büro der Wagner-Gruppe im Sommer fünf Kilogramm Kokain gefunden, so Putin weiter. Aber leider, leider habe es keine Drogentests bei den Abgestürzten gegeben.

Unrühmliche letzte Worte für einen alten Weggefährten, der Russland für ein Wochenende im Juni erschütterte.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 29. Dezember 2023 | 13:16 Uhr

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