Ungarn József Szájer
József Szájer Bildrechte: imago images / PuzzlePix

Ungarn "Sex-Skandal" in Ungarn: Die Doppelmoral des József Szájer

04. Dezember 2020, 12:03 Uhr

Die Doppelmoral des Fidesz-Spitzenpolitikers József Szájer ist derzeit das bestimmende Thema in Ungarn. Szájer war am vergangenen Wochenende auf einer "Sex-Party" in Brüssel von der Polizei überrascht worden. Pikant daran: Szájer gilt als ausgesprochen konservativ. Mittlerweile hat er alle politischen Ämter niedergelegt.

Es war am späten Freitagabend, als die Polizei in Brüssel auf der Straße einen Mann festnahm, der nur spärlich bekleidet war und in dessen Rucksack sich Drogen befanden. Es stellte sich schnell heraus, dass der Mann zuvor an einer illegalen "Sexpartie" mit etwa 20 Männern teilgenommen hatte, zu der, wie der Veranstalter vollmundig geworben hatte, "jeder deswegen kommt, um Sex zu haben. Sex ausschließlich mit Männern und ohne Kondom". Und das, als in Brüssel gerade verschärfte Lockdown-Regeln galten und Treffen mit mehr als vier Personen strikt verboten waren. Anwohner jedenfalls hatten wegen des Lärms in der Nachbarschaft die Polizei informiert. Als diese anrückte und die Party sprengte, war der Mann aus dem Fenster geklettert und hatte sich an einer Dachrinne herabgehangelt. Die Überprüfung der Personalien ergab, dass es sich bei dem Mann um József Szájer handelte, einen ungarischen Abgeordneten im Europäischen Parlament.

Bereits am Sonntag trat jener József Szájer vor die Presse und verkündete seinen Rücktritt. Zunächst mit der Begründung, die seelische Belastung sei zu groß für ihn. Was er damit meinte, erschloss sich zu dem Zeitpunkt kaum einem Pressevertreter. Erst später kam die Wahrheit ans Licht.

Polzei in Brüssel nach dem Ausheben einer illegalen Sexorgie
Freitagabend in Brüssel: Die Polizei sperrt das Gebäude, in dem die "Sex-Party" stattfand, ab. Bildrechte: twitter.com/SomosFancom

Wer ist József Szájer?

Szájer ist keinesfalls ein Unbekannter. Im Europäischen Parlament war er zuletzt stellvertretender Vorsitzender der Europäischen Volkspartei. Er zählte 1988 zu den Gründungsmitgliedern von Fidesz und galt seitdem als einer der engsten Vertrauten von Regierungschef Viktor Orbán. Bereits seit 2004 saß Szájer im Europäischen Parlament und spielte auch eine wichtige Rolle im Hintergrund. Er soll es gewesen sein, der nach provozierenden Auftritten Orbáns vor dem Europäischen Parlament die Wogen wieder geglättet habe und bei Streitthemen wie der Diskussion um das Thema "Rechtsstaatlichkeit" Kompromissbereitschaft signalisierte. Ihm verdanken wir, schrieb seine Partei vor zwei Tagen in einem politischen Nachruf, "dass der ungarische bürgerliche Konservatismus und die Christdemokratie ihren rechtmäßigen Platz in der europäischen politischen Szene einnehmen konnten". Szájer selbst brüstete sich übrigens stets gern damit, dass er auf seinen Flügen zwischen Budapest und Brüssel 2011 die neue ungarische Verfassung in sein iPad getippt habe.

Szájers konservative ungarische Verfassung

Tatsächlich hat Szájer maßgeblichen Anteil an der 2012 in Kraft getretenen neuen ungarischen Verfassung. Sie gilt als ausgesprochen konservativ. In ihr steht unter anderem auch, dass Ungarn ein christlicher Staat und die Ehe ausschließlich Mann und Frau vorbehalten sei. Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften sind in Ungarn juristisch also nicht gleichgestellt. Zudem besitzt Ungarn eines der strengsten Drogengesetze der EU. Schon die Übergabe eines Joints beim gemeinsamen Rauchen kann als Drogenhandel eingestuft und streng bestraft werden.

Reaktionen in Ungarn auf den Szájer-Skandal

Die von Fidesz kontrollierten Medien haben erst einen Tag nach Bekanntwerden des Szájers-Skandals darüber berichtet - eher am Rande und mit nur wenigen Details. In aller Ausführlichkeit haben sich dagegen die oppositionellen und regierungskritischen Medien der Causa Szájer angenommen. In den sozialen Medien haben sich Hohn und Spott über Orbáns Vertrauten breitgemacht. Die ungarische Opposition kritisierte scharf die Verlogenheit, Scheinheiligkeit und Heuchelei der Regierungspartei und ihrer Mitglieder.

Szájer und die möglichen Folgen

Der Skandal um Szájer trifft Viktor Orbán und seine Fidesz zu einem ausgesprochen ungünstigen Zeitpunkt. Seit Wochen blockiert Ungarn gemeinsam mit Polen den EU-Haushalt sowie die Auszahlung der Corona-Beihilfen an die Mitgliedsstaaten. Die Kritik an Orbáns Politik ist nicht nur im Westen enorm: Es mehren sich derzeit sogar die Stimmen, die für einen Ausschluss der Fidesz aus der Europäischen Volkspartei plädieren. Ungarn ist jedenfalls gegenwärtig dabei, sich hoffnungslos ins europäische Abseits zu manövrieren.

Mann mit Maske am Ufer der Donau in Budapest 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
1 min

Der "Sex-Skandal" um den EU-Abgeordneten József Szájer ist derzeit das Geprächsthema Nr.1 in Ungarn, berichtet Daniel Mayer aus der Hauptstadt Budapest.

MDR FERNSEHEN Fr 04.12.2020 17:45Uhr 00:41 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/politik/video-471356.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Doch auch innenpolitisch dürfte der Skandal an der Regierungspartei Fidesz nicht einfach so vorüberziehen. Erinnert sei etwa an die "Sex-Orgien" des Bürgermeisters von Györ, die kurz vor den Kommunalwahlen 2019 aufgedeckt wurden. Bilder zeigten ihn damals mit Prostituierten auf einer luxuriösen Yacht. Die Regierungspartei musste daraufhin starke Stimmenverluste hinnehmen und verlor unter anderem das prestigeträchtige Bürgermeisteramt in der Hauptstadt Budapest. Allerdings konnte der Skandal dem Bürgermeister selbst nichts anhaben - er gewann die Wahl. Orbán kann immerhin auf die Vergesslichkeit seiner Wähler hoffen - die nächsten Wahlen finden erst in zwei Jahren statt.

Zynismus der Fidesz

Am 3. Dezember gab Tamás Deutsch, Vorsitzender der ungarischen Delegation in der Europäischen Volkspartei, ein Interview. Auf die Frage, wie das Verhalten von József Szájer mit den christlichen Werten der Fidesz vereinbar sei, sagte Deutsch, dass in Wahrheit die Ansichten der Fidesz ganz andere seien, als von den linken Oppositionsparteien behauptet: "Heute ist Fidesz die Partei, die in niemandes Schlafzimmer eindringen will, die die Entscheidung aller schützen will, ihr persönliches Leben frei zu gestalten. Die linken Parteien hingegen wollen den Ungarn ihre Überzeugungen aufdrängen."

Viktor Mihály Orbán,  Ministerpräsident von Ungarn
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán Bildrechte: imago/Belga

Viktor Orbán äußert sich nur kurz über Szájer

Viktor Orbán selbst hat sich bislang nur in einem knappen und sachlich gehaltenen Kommentar zum Skandal um seinen langjährigen Vertrauten und Weggefährten geäußert: "Was unser Kollege József Szájer getan hat, passt nicht zu den Werten unserer politischen Gemeinschaft", wird der Ministerpräsident in der Tageszeitung "Magyar Nemzet", einem Sprachrohr der Regierung, zitiert: "Wir werden seine dreißigjährige Arbeit nicht vergessen und annullieren, aber sein Handeln ist nicht akzeptabel und kann nicht verteidigt werden. Nach dem, was passiert ist, traf er die einzig richtige Entscheidung, als er parallel zu einer Entschuldigung von seinem Mandat im Europäischen Parlament zurückgetreten und aus der Fidesz ausgetreten ist. Wir haben seine Entscheidung zur Kenntnis genommen." Über die selbstgefällige Doppelmoral des einstigen Fidesz-Spitzenpolitikers sagte Orbán hingegen nichts.

 


Unser Co-Autor Daniel Mayer (32) ist in Budapest geboren. Er studierte Gesellschaftswissenschaften und 'Community and social development studies' an der ELTE Universität Budapest. Seit 2009 ist er freiberuflicher Nachrichtenproduzent und Rechercheur für verschiedene ausländische Medien, die über Ungarn berichten.

Daniel Mayer, Journalist in Budapest
Der ungarische Journalist Daniel Mayer Bildrechte: Daniel Mayer

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL TV | 03. Dezember 2020 | 17:45 Uhr

Ein Angebot von

Mehr Politik in Osteuropa

Mehr aus Osteuropa

Nachrichten

Soldaten der 24. Mechanisierten Brigade installieren Panzerabwehrminen und nicht explosive Hindernisse entlang der Frontlinie in der Nähe der Stadt Chasiv Yar. mit Audio
Soldaten der 24. Mechanisierten Brigade installieren Panzerabwehrminen und nicht explosive Hindernisse entlang der Frontlinie in der Nähe der Stadt Chasiv Yar. Bildrechte: picture alliance/dpa/Ukrainian 24th Mechanised Brigade via AP | Oleg Petrasiuk