Diskriminierung Transgender in Ungarn: "Hier bin ich nur ein Freak"
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21. Oktober 2020, 05:00 Uhr
Ungarn hat im Mai ein Gesetz erlassen, das es Transmenschen unmöglich macht, Geschlecht und Vornamen auf offiziellen Dokumenten zu ändern. Damit nimmt es Menschen, die sich nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren, jegliche Hoffnung auf rechtliche Anerkennung in ihrer Heimat.
Der 25-jährige Alex lebt als Transmann. In seinem Pass ist Alex allerdings noch eine Frau. Das macht ihm täglich Probleme: Sei es beim Paketabholen oder Fahrradleihen. "Ich muss immer meinen Ausweis zeigen und kann nicht mal Zigaretten kaufen, ohne mich erniedrigt zu fühlen. Ich kann keine Kinder haben, ich kann nicht heiraten, ich kann nicht ich selbst sein und ich kann mich nicht legal behandeln lassen."
Das Problem: Alex ist in Ungarn als Frau registriert, eine Änderung seines Geschlechts und Vornamens im Pass ist seit Mai gesetzlich verboten. "Ich bin einfach eine Person, die ihr Geschlecht ändern lassen und nicht weiter auffallen möchte. Es ist nicht so, als liefe ich herum und erzählte allen: 'Hey, ich bin Transgender, ich war mal ein Mädchen und bin nun ein Junge', so ist es nicht. Ich will nur ein normaler Typ sein, in meinem Land sein, aber das kann ich nicht. Ich bin nur ein Freak hier."
Transgender Als Transgender oder "trans" werden Menschen bezeichnet, die sich mit ihrem Geburtsgeschlecht teilweise oder vollständig nicht identifizieren.
Alex steckt mitten in einer Transition. Als Transition wird ein Prozess bezeichnet, der für Transmenschen große Veränderungen mit sich bringt. Dazu zählen Schritte wie das Coming-Out, den Beginn einer Hormontherapie oder geschlechtsangleichende Operationen. Weil viele Ärztinnen und Ärzte aufgrund des Gesetzes nun Konsequenzen fürchten, sagt er, bekomme er die Hormone nur noch illegal aus Deutschland.
Diskriminierung unter Viktor Orbán
Menschen wie Alex fühlen sich in Ungarn nicht mehr sicher. Und das hat vor allem politische Gründe: In Ungarns Hauptstadt Budapest sorgt die rechtskonservative Regierung um Ministerpräsident Viktor Orbán seit zehn Jahren mit ihrer homo- und transmenschenfeindlichen Politik für Aufsehen. Orbán und seine Partei machen gesellschaftliche Minderheiten für einen angeblichen gesellschaftlichen Zerfall verantwortlich.
Seit 2013 erkennt die ungarische Verfassung kinderlose, unverheiratete oder gleichgeschlechtliche Paare rechtlich nicht mehr als Familien an. Zuletzt sorgte Ungarn für internationales Aufsehen, weil die Regierung Gender Studies von der Liste zugelassener Studiengänge strich. Offiziell wegen der angeblich mangelnden Nachfrage. Jedoch auch, weil die Forschung zu Geschlechtern das Fundament der christlichen Familie untergraben würde.
Kritik: Zurück ins Mittelalter
Ungarn sei heute ein EU-Staat, der die Rechte von LGBT, von Flüchtlingen oder von wohnungslosen Menschen bewusst, gezielt und menschenrechtswidrig einschränkt und verletze, heißt es von Amnesty International.
Amnesty International befürchtet, dass die Einschränkung des Rechts der Menschen, Dokumente entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu erhalten, zu weiterer Diskriminierung führen werde und sich Angriffe und Hassverbrechen gegen Transmenschen und Intergeschlechtliche verschärfen könnten.
"Diese Gesetzgebung verletzt erheblich die Rechte von Transpersonen und intersexuellen Menschen, setzt sie weiterer Diskriminierung aus und weitet eine intolerante und feindselige Umgebung aus. Diese Entscheidung wirft Ungarn zurück ins Mittelalter", kommentiert Dávid Vig, Direktor von Amnesty International in Ungarn den Parlamentsbeschluss.
Auswanderung als Ausweg
Obwohl Alex anders als viele Transgender in Ungarn einen Job hat, fühlt er sich in seiner Heimat nicht mehr willkommen. Aufgrund des politischen Klimas Transmenschen gegenüber, wollen Alex und seine Verlobte Ungarn hinter sich lassen und nach Kanada ziehen. "Es gibt einfach keine Hoffnung mehr und ich möchte schnellstmöglich etwas ändern, bevor ich zu alt bin. Ich will keine Zeit mehr verschwenden, keinen einzigen Tag, keine Woche und auch keinen Monat. Ich will einfach nur das Land verlassen. Das ist das, was sie wollten. Sollen sie doch ihr blödes Land für sich haben, es interessiert mich nicht mehr."
(adg)
Dieses Thema im Programm: HEUTE IM OSTEN REPORTAGE | 14. November 2020 | 18:00 Uhr