Bodenreform Ukraine
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Bildrechte: imago images/ZUMA Wire

Selenskyj im Kreuzfeuer Ukraine: Bodenreform im Schatten der Coronakrise

03. April 2020, 09:26 Uhr

Dank der Coronakrise konnte Präsident Wolodymyr Selenskyj die unbeliebte Bodenreform durchsetzen. Damit ist die Ukraine einem überlebenswichtigen Kredit des IWF einen Schritt näher gekommen. Doch Selenskyjs Partei "Diener des Volkes" zerfällt zunehmend.

Mann vor Flagge
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In der Ukraine ist die Öffnung des Bodenmarktes eine besonders umstrittene Frage. Das Land gehört neben Nordkorea, Kuba und Venezuela zu den wenigen weltweit, in denen der Grundstückkauf grundsätzlich nicht erlaubt ist. Die Mehrheit der Ukrainer findet, es soll auch so bleiben. Das zeigt eine Umfrage des Kiewer Internationalen Soziologie-Instituts vom Februar 2020. Danach sind 62 Prozent der Ukrainer gegen die Öffnung des Bodenmarktes. Dabei ist die Anzahl der Befürworter des entsprechenden Gesetzes seit November 2019 von 22 auf 15 Prozent geschrumpft.

Das wichtigste Argument der Reformgegner: Man befürchte den Ausverkauf des ukrainischen Landes an ausländische Investoren. Unter anderem mit solchen Slogans gab es schon während der Annahme des Gesetzes in erster Lesung im November 2019 Proteste. Die zweite, finale Lesung wurde nicht zuletzt aufgrund der Angst vor Straßendemonstrationen immer wieder vertagt. Doch die Coronakrise und die damit verbundene Quarantäne macht sowohl die Proteste unmöglich als auch den wirtschaftlichen Druck im Land größer.

Menschen demonstrieren in Kiew
Menschen blockieren in Dezember 2019 eine Straße im Zentrum von Kiew aus Protest gegen die Öffnung des Bodenmarktes im Land. "Kein Landverkauf an Ausländer" steht auf dem Plakat. Bildrechte: imago images/ZUMA Press

Die Ukraine am Scheideweg

In der aktuellen Situation muss sich die Ukraine nicht nur um das miserable Gesundheitssystem sorgen. Auch das Überleben der chronisch schwachen Wirtschaft steht auf dem Spiel. So fand der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zuletzt ausgesprochen deutliche Worte: "Wir sind am Scheideweg. Entweder wir bekommen finanzielle Hilfe oder uns droht die Staatspleite." Selenskyj möchte insgesamt zehn Milliarden US-Dollar von internationalen Geldgebern.

Den Großteil davon macht ein neues Kreditprogramm des IWF aus. Doch dessen Bedingungen sind für den ukrainischen Präsidenten schmerzhaft. Er musste die unbeliebte Bodenreform durchsetzen sowie ein Gesetz annehmen, das eine Rückgabe der einst wegen Verschuldung verstaatlichten größten Bank des Landes an ihren früheren Eigentürmer unmöglich macht. Dieser Ex-Eigentürmer, der Oligarch Ihor Kolomojskyj, kontrolliert jedoch de facto einige Abgeordnete der Selenskyj-Partei "Diener des Volkes".

Parlament tagt bis nach Mitternacht

Daher musste das Parlament am Montag bis tief in die Nacht tagen, um das Gesetz in zweiter Lesung annehmen zu können. Der Präsidentenfraktion "Diener des Volkes" fehlten nämlich wegen interner Differenzen die notwendigen Stimmen, trotz ihrer absoluten Mehrheit im Parlament. Deswegen war Selenskyj auf eine Kooperation mit den ideologischen Gegnern aus dem Lager des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko dringend angewiesen.

Damit bekommt die endgültige Verabschiedung der Bodenreform auch für Selenskyjs Wähler einen faden Beigeschmack. Zwar hat dieser schon im Wahlkampf die Öffnung des Bodenmarktes versprochen. Selenskyjs Wählerschaft hat aber Poroschenko ganz bewusst abgewählt. Dieses Situativbündnis wird den Präsidenten sicher Sympathien kosten.

Parlamentarier blockieren eine Tribüne während einer Sitzung des ukrainischen Parlaments
Bereits im Februar gab es den Versuch, die Bodenrefom in zweiter Lesung zu verabschieden. Doch wegen Massenprotesten und des Widerstands einiger Abgeordneter, die im Parlament unter anderem das Rednerpult blockierten, musste eine Entscheidung vertagt werden. Bildrechte: imago images/ZUMA Press

Ausländer dürfen Grundstücke erst nach Referendum kaufen

Konkret sieht die beschlossene Bodenreform nun vor, dass ab Juli 2021 in der Ukraine Grundstücke gehandelt werden können. Die Öffnung des Marktes wird jedoch stufenweise vollzogen. Zunächst dürfen bis 2024 nur ukrainische Staatsbürger bis zu 100 Hektar Land kaufen. Danach wird die Obergrenze bis auf 10.000 Hektar hochgesetzt. Darüber hinaus können ab 2024 neben Privatpersonen auch Unternehmen Grundstücke erwerben. Ausländische Käufer dagegen bleiben vorerst vom Bodenmarkt ausgeschlossen. Die Frage, ob sie ebenfalls Grundstücke in der Ukraine erwerben dürfen, soll auf einem zusätzlichen Referendum geklärt werden.

Das nun erzielte Ergebnis sehen sowohl Befürworter als auch Gegner der Reform kritisch. "Dieses Gesetz wurde nur wegen des IWF-Kredits angenommen. Eigentlich beginnt die Reform erst 2024 zu greifen”, schreibt Alex Lissiza, Präsident des Ukrainischen Clubs für Agrarwirtschaft, in seiner Kolumne für die Zeitschrift NW. "Keiner weiß, was bis dahin passiert. Die Investitionen in die Ukraine sind im Moment aber kaum attraktiver geworden."

IWF-Kredit über allem

Die nationalliberale Fraktion "Stimme", großer Befürworter der Bodenreform, betont ihrerseits, dass die schrittweise Öffnung des Marktes gerade jetzt, da die Preise wegen der Coronakrise fallen, richtig ist. "Es ist sehr wichtig, dass die Reform überhaupt erst im Juli 2021 startet. Wir sind aktuell in einer Krise, die vollständige Öffnung des Marktes ist jetzt sehr ungünstig", sagt der Abgeordnete Jaroslaw Jurtschyschyn. Dass aber der IWF-Kredit derzeit für Selenskyj absolut im Vordergrund steht, zeigt auch die Verabschiedung des sogenannten "Anti-Kolomojskyj-Gesetzes" am Montag in erster Lesung. Die zweite Lesung könnte bereits nächste Woche stattfinden. Nach der endgültigen Annahme rechnet Kiew mit der ersten Tranche des Kredits in Höhe von vier Milliarden US-Dollar.

Bodenreform Ukraine
Für die schwache Wirtschaft der Ukraine ist die Coronakrise eine zusätzliche Belastung, die das Land an den Rand eines Bankrotts führt. Bildrechte: imago images/ZUMA Wire

Kolomojskyj und prorussische Kräfte werben für Staatspleite

Doch sowohl Ihor Kolomojskyj durch die von ihm kontrollierten Medien als auch die pro-russische "Oppositionsplattform" versuchen das Thema Staatspleite eher positiv darzustellen. "Ein Staatsbankrott ist besser als ständig neue Schulden aufzuhäufen", betonte Kolomojskyj noch Mitte des letzten Jahres. "Schaut auf Griechenland und Argentinien, das sind gute Beispiele für die Ukraine." Bisher ließ die Regierung sich kaum von solchen Positionen beeindrucken. Mittlerweile ist Selenskyj allerdings auch in der eigenen Partei im Kreuzfeuer. Sowohl die Kolomojskyj-Gruppe als auch prowestliche Abgeordnete wollen bei prinzipiellen Fragen der Parteilinie nicht weiter folgen. Selenskyjs absolute Mehrheit wird daher zunehmend virtueller, während Entscheidungen im Parlament oft nur noch durch situative Bündnisse getroffen werden. Und eine Verbesserung dieser Lage ist nicht in Sicht.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 20. März 2020 | 17:45 Uhr

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