Tschechien Tschechischer Käse statt deutscher Wurst – Quote für einheimische Lebensmittel gefordert
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31. Januar 2021, 08:54 Uhr
Eine breite Mehrheit im tschechischen Parlament hat dem Gesetzesvorschlag einer rechtsextremen Partei zugestimmt, den Supermärkten eine Quote für heimische Produkte vorzuschreiben. Kritiker bezeichnen den Vorschlag als absurd, verfassungswidrig und er widerspreche den Grundsätzen des Europäischen Binnenmarkts. Von dieser Idee könnten jedoch große Agrarunternehmen profitieren und damit auch Firmen, die eng mit Premierminister Andrej Babiš verbunden sind.
Leberpastete ist bei Tschechen sehr beliebt: Auf einem Brötchen mit Butter zum Frühstück oder als herzhafter Snack für unterwegs. Eine breite Mehrheit im tschechischen Parlament hat nun einem Vorschlag der rechtspopulistischen Partei der direkten Demokratie (SPD) zugestimmt, für Supermärkte eine Quote für heimische Produkte einzuführen. Würde das Gesetz in Kraft treten, dann könnte jeder Tscheche rein rechnerisch nur noch fünf Tage im Jahr seine geliebte Leberpastete essen. Denn die Vorräte an heimisch hergestellten Pasteten wären in weniger als einer Woche aufgebraucht.
Die Mindestquoten würden zum Beispiel Milchprodukte, Rindfleisch, Schweinefleisch, Eier, Käse, Gemüse, Obst oder Wein betreffen. Ab 2022 sollen Einzelhändler sicherstellen, dass in Geschäften mit mehr als 400 Quadratmetern Fläche mindestens 55 Prozent der verkauften (also nicht nur angebotenen) Produkte aus Tschechien stammen. Bis 2028 soll der Anteil sogar 73 Prozent sein.
"Lasst uns ein wenig nationalistisch sein"
Befürworter des Gesetzes behaupten, dies sei der richtige Schritt auf dem Weg zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln, deren Notwendigkeit die Coronavirus-Pandemie gezeigt hat. "Lasst uns doch ein wenig nationalistisch sein", äußerte sich der sozialdemokratische Landwirtschaftsminister Miroslav Toman dazu. Neben Vertretern seiner Partei wurde der Vorschlag auch von Mitgliedern der ANO-Partei von Premierminister Andrej Babiš sowie von Oppositionellen der Kommunistischen Partei und der rechtspopulistischen SPD unterstützt.
Toman hält es für ein Problem, dass Tschechen "deutsche Milch in ihren Kaffee gießen". Jaroslav Kytýr, Abgeordneter der ANO-Partei, bezeichnete den Vorschlag als "klares Signal für die EU". Laut europäischem Recht ist es inakzeptabel, Lieferanten aus dem Ausland zu diskriminieren. "Die Grundsätze der EU sind von grundlegender Bedeutung, aber (...) vielleicht ist es jetzt an der Zeit, sie zu überdenken", fügte Kytýr gegenüber dem Nachrichtenserver iRozhlas hinzu.
Wahlkampf? Tschechien wählt im Herbst
Im Herbst wird in Tschechien ein neues Parlament gewählt. Themen wie das vorliegende Gesetz gelten als Einstimmung auf den Wahlkampf. Es geht dabei auch um den Einfluss großer Agrarunternehmen, sagt Tomáš Prouza, Ökonom, Präsident des Handels- und Tourismusverbandes und ehemaliger EU-Staatssekretär der tschechischen Regierung. "Die Firmen sehen, dass sie jetzt eine letzte Chance haben könnten, weil nach der Wahl Andrej Babiš möglicherweise nicht mehr Premierminister sein wird," so Prouza. Der Vorschlag sorgte für Aufruhr, unter anderem auch weil Babiš selbst über seine Treuhandfonds Verbindungen zum größten Agrar- und Ernährungsunternehmen des Landes, Agrofert, unterhält.
Der Premierminister war bei der Abstimmung in der Abgeordnetenkammer nicht dabei, und lehnte später den Vorschlag ab. "Eine völlig nutzlose politische Geste", sagte er. Interessen der tschechischen Agrarunternehmen verteidigt er dennoch ständig, und eine überwiegende Mehrheit der gegenwärtigen Abgeordneten seiner ANO-Partei unterstützte den Vorschlag.
Supermärkte bieten jetzt schon tschechische Produkte an
Supermarktketten, die in Tschechien tätig sind - Marktführer sind die deutschen Konzerne Lidl und Kaufland, gefolgt vom niederländischen Albert und dem britischen Tesco - betonen, dass sie sehr daran interessiert sind, tschechische Lebensmittel anzubieten. Die Nachfrage ist aber bereits jetzt so hoch, dass kleinere Bauern und regionale Lebensmittelproduzenten gar kein Problem damit haben, ihre gesamte Produktion zu verkaufen, und zwar zu einem relativ hohen Preis. Sie würden daher nicht von den Quoten profitieren und lehnen sie ab.
"Ein Problem haben die große Produzenten, die nicht wettbewerbsfähig sind," sagt der Ökonom Prouza. Dies sei ihm zufolge darauf zurückzuführen, dass in Tschechien in der Landwirtschaft Betriebskostenzuschüsse überwiegen, die die Unternehmen nicht zur Modernisierung und Rationalisierung zwingen. "So können wir trotz der höheren Kosten Lebensmittel gleicher Qualität oft billiger aus Deutschland importieren," so Prouza.
Verbraucher mit kleinem Einkommen verlieren
Umfragen zeigen, dass für tschechische Verbraucher der Preis das etnscheidende ist bei der Kaufentscheidung. Laut Jan Tuček, Forscher der Meinungsforschungsagentur STEM/MARK, lässt sich an den Meinungen über den Gesetzesentwurf auch eine gesellschaftliche Kluft ablesen: "Wähler mit niedrigerem Bildungsniveau begrüßen das Gesetz, wie etwa die Befürworter der ANO-Partei oder der oppositionellen SPD. Ein Teil der Gesellschaft würde sich freuen, dass wir es der EU wieder mal gezeigt haben," sagt er. Doch genau diese Wähler seien es auch, die die Konsequenzen eines solches Gesetzes deutlich zu spüren bekämen: Nahrungsmittelkosten machen einen erheblichen Teil ihres relativ niedrigen Einkommen aus. "Der Anstieg der Lebensmittelpreise würde den Wählern ausgerechnet der Parteien, die den Vorschlag durchgesetzt haben, nicht zugute kommen", merkt der tschechische Soziologe Daniel Prokop an.
Meinungsforscher Tuček zufolge steckt bei tschechischen Verbrauchern beim Einkauf hauptsächlich einheimischer Lebensmittel nicht unbedingt Ökologiebewusstsein dahinter. "Die Popularität besserer und gesünderer Lebensmittel nimmt zu, und im Laufe der Zeit könnte sich das Argument durchsetzen, dass es angesichts des CO2-Fußabdrucks besser ist, Käse aus dem Böhmerwald, als aus Neuseeland zu kaufen. Aber meiner Meinung nach wird es noch eine Weile dauern," schließt er ab.
Eindeutiges "Nein" aus Europa
Selbst wenn die Geschäfte einen Weg finden würden, das Gesetz einzuhalten, stellt sich die Frage, ob sie überhaupt etwas zu verkaufen hätten. Das Problem würde nicht nur bei der bereits erwähnten Leberpastete auftreten, sondern zum Beispiel auch bei Gemüse. "Gurken- oder Tomatenvorräte würden nur wenige Monate im Jahr halten. Darüber hinaus sind die Quoten auch für einige Lebensmittel vorgesehen, die hier gar nicht hergestellt werden," betont der Ökonom Tomáš Prouza.
Ein Beispiel davon ist Speisesalz. "Ich werde etwas Salz aus Bad Reichenhall, Bayern, wo ich aufgewachsen bin, an Minister Toman übergeben. Quoten würden allen schaden," äußerte sich Christoph Israng, der deutsche Botschafter in Prag, in einem Video, das auf Twitter gepostet wurde . "Bayerisches Salz ist übrigens nicht für Kaffee geeignet", erlaubte sich der Diplomat einen kleinen Stich gegenüber dem tschechischen Landwirtschaftsminister.
Deutschland, Frankreich, Polen und fünf weitere EU-Mitgliedstaaten hatten bereits vor der Verabschiedung des Gesetzes eine schriftliche Warnung nach Prag geschickt. Trotzdem ging der Vorschlag durch die Abgeordnetenkammer. Jetzt wird das Oberhaus des Parlaments darüber abstimmen, und viele Kritiker hoffen, dass es die umstrittene Quote ablehnen wird. In der allerletzten Phase wird das Gesetz höchstwahrscheinlich eh von der Europäischen Kommission wegen des oben genannten Verstoßes gegen die Binnenmarktregeln vom Tisch gefegt.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 18. Mai 2019 | 19:30 Uhr