Ein Mann gibt einen Stimmzettel ab
Die Serben werden wieder einmal an die Urne gerufen: Am 17. Dezember finden Parlaments- und teilweise auch Kommunalwahlen statt. Bildrechte: IMAGO/Xinhua

Neuwahlen Superwahlen in Serbien: Eine Chance für die Opposition?

06. November 2023, 15:49 Uhr

Mitte Dezember finden in Serbien Neuwahlen statt, auch in zahlreichen Kommunen wird gewählt. Wahlkampfthemen sind die grassierende Kriminalität und Gewalt, die überbordende Korruption und die neuesten Spannungen im Kosovo. Die neuerdings geeinte pro-europäische Opposition hofft auf eine Trendwende wie in Polen.

Fotomontage Mann vor Fahne
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Sein oder Nichtsein - so beurteilen sowohl regierende Parteien, als auch die Opposition vorgezogene Parlaments- und Regionalwahlen in der Vojvodina sowie in Belgrad, die am 17. Dezember stattfinden sollen. Auch in rund 60 Gemeinden wird vorzeitig gewählt. Dort rechnen die Regierungsparteien mit einem sicheren Sieg.

Noch waren die Wahlen nicht einmal ausgeschrieben, da konnten Beobachter schon die Brutalität erkennen, zu der die Regierung bereit ist, um sich an der Macht zu halten. Die Hetzkampagne gegen alle Andersdenkenden läuft in allen regierungstreuen Medien schon auf Hochtouren, Serbien ist vollgeklebt mit Plakaten, die Oppositionspolitiker als Verräter, ausländische Söldner, Faschisten oder Kriminelle darstellen.  

Missbrauch von Ämtern und Steuergeld

In einer "hybriden Demokratie", wie die amerikanische Nichtregierungsorganisation Freedom House Serbien bezeichnet, in einem "besetzten Staat", wie die serbische Opposition den Zustand im Lande nennt, missbrauchen die Regierungsparteien staatliche Ressourcen für Parteizwecke: So reisen die Funktionäre regierender Parteien derzeit auf Kosten des Steuerzahlers durchs Land und werben für sich.

Der Staatspräsident missbraucht derweil seine Funktion: Er zieht als Flagschiff in den Wahlkampf für seine Serbische Fortschrittspartei (SNS). Aleksandar Vučić, der selbst nicht zur Wahl steht, tingelt von einem TV-Sender zum anderen und stellt die bevorstehenden Wahlen als einen Kampf zwischen Gut und Böse dar: Der Gute sei er, der Erlöser, der Serbien in eine glorreiche Zukunft mit fetten Einkommen und schnellsten Eisenbahnen führe, und die Bösen seien Oppositionspolitiker, die das Land aus Eigeninteresse heraus ruinieren wollten.

Und da sind die Wahlgeschenke: Rentenerhöhungen, mehr Sozialhilfe, höhere Mindesteinkommen, einmalige Geldgeschenke für die Ältesten, für die Jüngsten, kostenlose Schulbücher in Belgrad, Verbilligung der öffentlichen Verkehrsmittel... Wenn aber "die Anderen" die Macht ergreifen, wird es das alles nicht geben, redet der Staatspräsident den Wählern ein.

Der Schein der Unbesiegbarkeit

In Serbien nichts Neues, könnte man sagen, dem EU-Beitrittskandidaten, der gegen Russland noch immer keine Sanktionen verhängt hat und seit Jahren den europäischen Integrationsprozess nicht voranbringt.

Seit elfeinhalb Jahren regiert Vučić mit seiner SNS ohne ernsthafte Konkurrenz. Der Mann, den Bundeskanzlerin Angela Merkel einst schätzte, hat sich als einer der talentiertesten Populisten Europas erwiesen. Es ist ihm gelungen, das Parlament, die Regierung und breite Teile der Polizei und der Staatsanwaltschaft seinem Machtstreben unterzuordnen.

Lange Zeit schien seine Partei in einem solchen System unbesiegbar. Besonders, wenn man noch den Druck auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst zählt, wen sie zu wählen haben. Dazu kommen zwielichtige Typen in schwarzen Geländewagen ohne Nummernschild, die in kleineren Ortschaften dafür sorgen, dass entsprechend den Vorstellungen der SNS gewählt wird: Im Wahllokal musste man den Wahlzettel fotografieren, als Beweis, dass man keinen Vučić-Verrat begangen hat.

Korruption, Verbrechen und Druck von außen

Doch es hat sich etwas verändert: Immer schärfer fallen die Berichte des Europaparlaments und der EU-Kommission über Rechtsstaatlichkeit und Medienfreiheit in Serbien aus. New York Times, Washington Post und Spiegel haben lange Artikel über die Verbindungen des Regime Vučić mit dem organisierten Verbrechen veröffentlicht.

Gegen den Chef des serbischen Geheimdienstes BIA haben die USA Sanktionen verhängt: Er sei in den internationalen Drogenhandel verwickelt und verbreite "bösartigen, destabilisierenden" russischen Einfluss in der Region.

Aleksandar Vulin und Aleksandar Vucic
Vertrauter Umgang: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić (li.) und Geheimdienstchef Alexandar Vulin Bildrechte: IMAGO / Xinhua

Zwei aus dem Kosovo stammende "Geschäftsleute" sind ebenfalls mit US-amerikanischen Sanktionen belegt worden, und zwar schlicht und einfach deshalb, weil sie als Kriminelle eingestuft wurden. Es sind die Eigentümer von ausgerechnet jenen Baufirmen, die vom serbischen Staat die lukrativsten Aufträge bekommen. Einer von ihnen, Milan Radoićić, führte eine bewaffnete Gruppe von Serben im Kosovo an, die Ende September einen kosovarischen Polizisten umbrachte. Er gab die Tat zu, ist aber in Serbien dennoch nicht in Untersuchungshaft genommen worden, sondern befindet sich bis zu seinem Urteil auf freiem Fuß.

Auch wegen Fällen wie diesem stufte die Nichtregierungsorganisation Global Initiative Against Transnational Organized Crime mit Sitz in Genf Serbien an dritter Stelle der Länder mit der am weitesten verbreiteten Kriminalität in Europa ein – hinter Russland und der Ukraine.

Eine Chance für die Opposition

Die zerstrittene, zersplitterte und von Regierung und den ihnen ergebenen Medien als "Volksschädlinge" gebrandmarkte Opposition schien lange Zeit machtlos zu sein. Doch dann gelang es den pro-europäischen Parteien vor zwei Wochen, sich zu vereinigen. "Serbien gegen die Gewalt" heißt die Koalition, genauso wie Massenproteste gegen die Regierung, die seit den Amokläufen am 3. und 4. Mai 2023 ununterbrochen durch Serbien ziehen.

Proteste gegen Gewalt in Belgrad
Massenprotest gegen Gewalt in Belgrad am 8. Mai 2023 Bildrechte: IMAGO/Pixsell

Und plötzlich scheint in Serbien nichts mehr gewiss zu sein. Laut Meinungsumfragen hat die vereinigte Opposition gute Aussichten in der Hauptstadt Belgrad zu gewinnen, in der Vojvodina ist das Rennen offen und im serbischen Parlament könnte die SNS stark geschwächt werden.

Oppositionspolitiker sprechen von einer notwendigen "Dekriminalisierung" Serbiens. "Wir werden euch wegen allen Untaten nach den Wahlen hinter Gitter bringen", sagt so mancher drohend an die Adresse der Regierung gerichtet.

Gleichzeitig ruft die Opposition die Wähler auf, nicht die Lügen von Vučić und seinen Mannen von einem "historischen" wirtschaftlichen Aufschwung zu glauben, sondern der eigenen Brieftasche, in der bei einer Inflation von 11,5 Prozent und rasant steigenden Nahrungsmittelpreisen immer weniger Geld übrigbleibt.

In oppositionellen Kreisen in Serbien macht sich Optimismus breit: Wenn die Polen es geschafft haben die "größte europäische Bastion des nationalen Populismus" zu stürzen, dann könnten es auch die Serben schaffen.

Wettlauf gegen die Zeit

Warum hat der alles bestimmende Vučić, der grundsätzlich auf Nummer sicher geht, dann diese ganzen Neuwahlen angesetzt? Und das, obwohl er weiß, dass es diesmal brenzlig für ihn werden könnte?

Weil er jetzt die besten Aussichten hat, seiner SNS noch einmal vier Jahre an der Macht zu sichern. Sie hat ihren Höhepunkt längst überschritten, ihre Funktionäre sind in unzählige Affären verwickelt, ihre Popularität fällt.

Dazu kommt der immer stärkere Druck aus der EU und den USA, endlich die Kosovo-Frage zu lösen. In einer gemeinsamen Erklärung forderten der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni und Frankreichs Präsident Emanuel Macron von Vučić, die Unabhängigkeit des Kosovo "de facto" anzuerkennen. Das wiederholte auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch in Pristina Ende Oktober.

Für den nationalen Populisten Vučić, der das Land nur formal in Richtung EU führt, wäre das allerdings der politische Tod. Sich gegen den klaren Willen mächtiger westlicher Politiker weiter zu sträuben, aber auch. Deshalb schnell noch einmal das tun, was er am besten kann: in den Wahlkampf ziehen, Zeit gewinnen, sich hinter dem Willen des Volkes verstecken. Vielleicht klappt es noch einmal.

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Nach den beiden Gewalttaten in Serbien gehen tausende Belgrader auf die Straße und protestieren gegen die Regierung.

Di 23.05.2023 13:33Uhr 00:18 min

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 07. Oktober 2023 | 07:17 Uhr

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