Zivilgesellschaft Denkzettel für Orbán: Ungarische Bürger helfen der ukrainischen Armee
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16. Februar 2023, 08:57 Uhr
Die Haltung Viktor Orbáns zur Unterstützung der Ukraine stößt europaweit auf Unverständnis: Er lehnt Waffenlieferungen ab und erlaubt keine Waffentransporte über Ungarn. Währenddessen betreibt die ungarische Zivilgesellschaft eine Art "Privatdiplomatie" und unterstützt die Frontkämpfer im überfallenen Nachbarland mit Ausrüstungsspenden. Große Sympathien erntet eine Initiative, die sich besonders um diejenigen Soldaten kümmert, die aus den Reihen der ungarischen Minderheit in der Ukraine stammen.
Ein wichtiger Impuls für das Engagement der ungarischen Zivilisten waren Foto- und Videoaufnahmen, die am 23. Oktober 2022 in den sozialen Medien auftauchten. Darauf waren Soldaten des 68. Territorialbataillons der Ukraine aus Transkarpatien zu sehen – mit einer ukrainischen Fahne und einer ungarischen, in deren Mitte ein Loch prangte.
Solche Fahnen haben für die Ungarn eine hohe symbolische Kraft – sie wurden während des Aufstands gegen die sowjetische Unterdrückung von 1956 genutzt, als das sozialistische Wappen aus der Fahne herausgeschnitten wurde. Das Foto ging durch die ungarischen Medien und machte deutlich, dass auch viele Angehörige der ungarischen Minderheit aus dem ukrainischen Transkarpatien als Freiwille in Territorialbataillonen gegen die russischen Angreifer kämpfen. Das 68. Territorialbataillon stammt aus dem ukrainischen Bezirk Uschhorod.
Ungarn sammeln Spenden für Frontsoldaten
Der Budapester Anwalt Gáspár Kerekes-Nagy fühlte sich verpflichtet, etwas für die Soldaten an der Front zu tun. Mit dem Militärjournalisten Balázs Trautmann und weiteren Freiwilligen organisiert er eine Spendenaktion für das 68. Territorialbataillon. Mit Erfolg: Bislang wurden im Rahmen der Initiative Ausrüstung für mehr als 8,7 Millionen Forint (umgerechnet rund 22.000 Euro) für die ukrainischen Soldaten gekauft und an die Front geschickt.
Weitere 17 Millionen Forint (rund 43.000 Euro) liegen noch bei der Bank, die nächsten Hilfstransporte sind bereits geplant. Das Geld wurde laut Kerekes-Nagy ausschließlich von Privatpersonen gespendet. Viele Menschen schickten außerdem statt Geld wertvolle Sachspenden: Generatoren und Drohnen.
Von dem gesammelten Geld wurden zunächst Industriebatterien gekauft, damit die Soldaten Telefone, Drohnen und Nachtsichtkameras aufladen können. Die zweite Lieferung von Anfang Februar umfasste warme Winterkleidung, Generatoren, Aufklärungsdrohnen und Nachtsichtkameras. Kerekes-Nagy und seine Kollegen warten nun auf Metalldetektoren, die speziell auf ihre Bestellung hin angefertigt werden. Diese können an der Front zur Minenräumung eingesetzt werden. Was die Initiative in die Ukraine schickt, hänge davon ab, was die Armee braucht, so Kerekes-Nagy.
Zivilgesellschaft korrigiert Orbáns Ukraine-Politik
"Ich war wütend und verwirrt, als am 24. Februar diese Phase des Krieges begann. Wenn der Nachbar in Schwierigkeiten ist, muss man versuchen, ihm so gut wie möglich zu helfen", erklärt der Anwalt seine Motivation. Die Hilfsaktion ist ihm zufolge eine Art "zivile Diplomatie", denn: "Regierungen kommen und gehen, aber wir werden weiterhin Nachbarn bleiben".
Obwohl er selbst in Transkarpatien als Angehöriger der ungarischen Minderheit geboren wurde, gehe es ihm nicht um die ethnische Zugehörigkeit: "Das ist keine ethnische Frage. Die Mehrheit der Soldaten des Bataillons sind keine Ungarn, denn im Bezirk Uschhorod sind die Ungarn nur eine sehr kleine Minderheit."
Um die Verteilung und Lieferung der Hilfsgüter vor Ort kümmert sich eine ukrainische Stiftung mit dem Namen "Die guten Werke von Transkarpatien". "Schon lange vor dem Krieg organisierte unsere Community verschiedene Wohltätigkeitsaktionen, um schwerkranken Kindern zu helfen. Seit dem Ausbruch des Krieges konzentrieren wir all unsere Bemühungen auf das Militär", erzählt Oleksandr Ljachin, der bei der Stiftung ehrenamtlich arbeitet. Sie hätten ein Team, das die Soldaten regelmäßig besucht. Er selbst sei persönlich in Slowjansk, Kramatorsk, Bachmut und dem Bezirk Kupjansk gewesen.
Orbáns Ukraine-Politik hat laut Ljachin die Einstellung der Ukrainer gegenüber Ungarn nicht negativ beeinflusst: "Wir unterscheiden zwischen der Regierungspolitik und der Einstellung der einfachen Leute." Ein Mitbegründer seiner Stiftung sei ungarischer Abstammung, ebenso wie seine eigene Mutter, die fließend Ungarisch spreche. Die Hilfe aus Ungarn hat Ljachin überhaupt nicht überrascht: "Es ist normal, dass die Ungarn aus Ungarn ihren Brüdern und Schwestern in der Ukraine helfen, die seit 2022 gegen russische Barbaren kämpfen – so wie das 1956 auch in Ungarn der Fall war."
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL - Spätausgabe | 06. Dezember 2022 | 21:45 Uhr