Russland Militärparade in Moskau: Pomp für Putin

24. Juni 2020, 12:32 Uhr

Russlands Präsident Putin lässt heute die gigantische Parade zum 75. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland nachholen - mitten in der Corona-Pandemie. Ein Event mit Kalkül - glauben Beobachter. Denn ab Donnerstag stimmen die Russen über die umstrittene Verfassungsänderung ab, durch die Präsident Putin bis 2036 im Amt bleiben könnte. Und die in Russland allgegenwärtige Erinnerung an den Weltkrieg und die vermeintliche Bedrohung durch den Westen ist ein ideologischer Grundpfeiler des Systems Putin.

T-72B3-Panzer rollen vor einer Probe der Militärparade zum 75. Jahrestag des Sieges über Nazideutschland im Zweiten Weltkrieg auf dem Roten Platz in Moskau.
Das strahlt Macht aus: Panzer ziehen während der Übung zur Militärparade am 24. Juni über den Roten Platz in Moskau. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Panzer ziehen durch die Moskauer Innenstadt – viele hundert Menschen stehen am Straßenrand und filmen mit ihren Handys. So sahen die Vorbereitungen für die heute stattfindende Militärparade aus. Trotz tausender Corona-Neuninfektion jeden Tag lässt Russlands Führung die Siegesfeier nachholen. Die Parade zum Jubiläum des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland in Moskau war ursprünglich am 9. Mai geplant. Dass sie, zumindest in Moskau, heute über die Bühne geht, überrascht nicht.

Soldaten bei einer Parade
Mit Mund-Nasen-Schutz: Marschieren in Zeiten von Corona Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Hinter den vorbeifahrenden Panzern an einer Hauswand leuchtet eine riesige Reklame – es ist Werbung für die Abstimmung zur Verfassungsänderung ab 25. Juni. Durch die könnte Putin bis 2036 im Amt bleiben. Gedenkveranstaltungen nutzt der Präsident gerne als Werbe-Plattform. Und das neue Dokument würde es Wladimir Putin erlauben, legal noch einmal zwei Amtszeiten zu regieren. Für den amtierenden Präsidenten wurde extra eine Ausnahme von der sonst üblichen Obergrenze von zwei Amtszeiten in die Verfassung geschrieben.

Zwei Frauen machen ein Selfie auf der Übung zur Militärparade in Moskau.
Partystimmung: Für manche Russen ist die Parade einfach nur ein Event. Bildrechte: imago images / ITAR-TASS

Oppositionspolitiker Nawalny spottet

Der Oppositionspolitiker und schärfste Kritiker Putins, Alexej Nawalny, spottet auf Youtube über die "Putin-Show": "Beim nächsten Marsch nach der Abstimmung wird Putin als ewiger Präsident dabei sein. Was für eine großartige Feier! Zum 75. Siegestag schenkt er sich dem Land sich selbst - für immer."

75 Jahre nach Kriegsende versucht der Kremlchef mit einem verzerrten Geschichtsbild seine Landsleute gegen den Westen zu mobilisieren. Beispielsweise warf der russische Präsident Polen vor, verantwortlich für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu sein.

Außerdem bemüht sich Putin in historischen Debatten, den Diktator Joseph Stalin zu rehabilitieren. Ganz deutlich wurde das im Dezember 2019. Damals nutzte der Präsident seine jährliche Pressekonferenz für eine Geschichtsstunde: Putin verteidigte den Hitler-Stalin-Pakt und die Aufteilung Osteuropas zwischen den nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion. Nach Putins Auffassung habe sich dieser durch persönliche Treffen mit Hitler nicht diskreditiert, anders als die französische und englische Führung.

Was ist denn schlecht an dem Hitler-Stalin-Pakt? Die Sowjetunion wollte eben keinen Krieg.

Wladimir Putin, russischer Präsident Pressekonferenz am 19.12.2019

Eine Verantwortung Russlands für die Konsequenzen, die bis heute beispielsweise in den Beziehungen zu Polen zu spüren sind, sah Putin damals nicht.

Die schwerwiegenden Folgen des Hitler-Stalin-Pakts wird in Russland kaum thematisiert. Die wichtigste russische Nichtregierungsorganisation "Memorial" versucht dennoch, Putins idealisierte Darstellung der Sowjetunion infrage zu Stellen. In einer aktuellen Ausstellung dokumentiert sie etwa die die Judenverfolgung in der Stalin-Zeit.

Hitler und Stalin als Brautpaar - Karrikatur
Karrikatur: Hitler und Stalin als Brautpaar Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Immer wieder wird Memorial aber durch behördliche Kontrollen und Auflagen unter Druck gesetzt, sagt die Memorial-Direktorin Irina Scherbakowa. 2016 etwa wurde die Menschenrechtsorganisation vom Justizministerium auf die Liste "ausländischer Agenten" gesetzt. Doch die Organisation mischt sich trotz erschwerter Bedingungen weiter ein, zur aktuellen Debatte um das Weltkriegsgedenken sagt Scherbakowa: "Aus unserer Geschichte wird von der Regierung ein Mythos gemacht. Wohlgemerkt, eine neue Art von Mythos. Er ist anders als der sowjetische aus der Breschnew-Zeit. Dieser Mythos ist viel nationalistischer und aggressiver."

Irina Scherbakowa, Germanistin, Publizistin, Historikerin, Kulturwissenschaftlerin
Irina Scherbakowa zählt zu den Initiatoren der Menschenrechtsorganisation "Memorial" und setzt sich für eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Stalinismus in der ehemaligen Sowjetunion ein. Bildrechte: IMAGO / Sven Simon

Aus dem Gedenken und dem militärischen Muskelspiel will Putin nun noch einmal Kapital schlagen und seine Landsleute auf die Verfassungsänderung einschwören. So soll die Geschichte ihn zum "ewigen" Präsidenten machen. Obwohl seine Umfragewerte sinken: Laut Nevada-Institut nannten zuletzt nur ein Viertel der Russen Putins Namen auf die Frage, welchem bekannten Politiker sie am meisten vertrauten. Noch vor drei Jahren lag der Wert bei knapp 60 Prozent.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 20. Juni 2020 | 07:40 Uhr

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