Russland-USA Was man über das Gipfeltreffen von Biden und Putin wissen muss

17. Juni 2021, 11:52 Uhr

Zum ersten Mal seit seiner Wahl zum US-Präsidenten hat Joe Biden persönlich Kreml-Chef Wladimir Putin getroffen. Nawalny, Ukraine, Nord-Stream 2 - die Liste der Streitpunkte lässt ein kompliziertes Treffen erahnen. Der ehemalige Amerika-Korrespondent und heutige MDR-Programmdirektor Klaus Brinkbäumer hat vorab eine Einschätzung zum Aufeinandertreffen der beiden Staatsmänner gegeben.

Die Beziehungen zwischen Russland und den USA sind angespannt: Biden bezeichnete Putin als "Killer", der wiederum lässt die Muskeln spielen, wenn es um Kreml-Kritiker Alexej Nawalny oder die Ukraine geht. Ist das Säbelrasseln oder einfach typisches Gebaren im amerikanisch-russischen Verhältnis?

Klaus Brinkbäumer
Klaus Brinkbäumer ist auch für den Podcast "OK, America" bekannt. Bildrechte: imago images / Jürgen Heinrich

Klaus Brinkbäumer: In Washington heißt es, dass das Verhältnis zwischen den USA und Russland auf dem Tiefstpunkt - also wirklich Superlativ - sei. Dass es in den vergangenen 30 Jahren niemals so schlecht gewesen sei wie derzeit und das hat einige Gründe: die abwechselnden Beleidigungen, die gebrochenen oder aufgekündigten Verträge, Abrüstungsverträge, Misstrauen auch durch den Konflikt in Syrien, unterschiedliche Positionen natürlich die Krim betreffend.

Ein ganz wesentlicher Punkt: In Washington sind viele Leute der Meinung, dass die russische Einflussnahme auf die Wahl von 2016 tatsächlich dabei geholfen habe, Donald Trump ins Amt zu hieven. Das war ja sehr knapp. Und dass diese inzwischen wirklich dokumentierte Kampagne über soziale Medien, die Denunziation Hillary Clintons letztlich echten Einfluss gehabt habe.

Auch denken viele in den demokratischen Zirkeln, die natürlich Joe Biden umgeben, dass Putin der Schuldige sei: 'Putin hat uns Amerikanern Trump ins Haus getragen.' Und dann gab es die vier Jahre des Lärms und der Lügen und der permanenten Wut. Das ist schon heftig.

Trotz aller Differenzen: Telefoniert haben die beiden schon. Es wurde vereinbart, den Abrüstungsvertrag "New Start" fortzusetzen. Wie ist dieser erste Schritt der amerikanisch-russischen Verhältnisse zu bewerten?

Klaus Brinkbäumer: Das Verhältnis ist auch auf diplomatischer Ebene gestört, die Konsulate sind wechselseitig geschlossen. Alles was jenseits der Hauptstädte Washington, D.C. und Moskau einstmals da war an diplomatischen Vertretungen, ist im Moment zugesperrt. Die Botschafter sind nach Hause gerufen worden, die Konflikte sind auf so vielen Ebenen eskaliert. Und zuletzt haben beide Länder schlicht nicht miteinander geredet. Die Tatsache, dass es jetzt überhaupt ein Treffen gibt, dass sich Joe Biden und Wladimir Putin begegnen, ist schon ein Fortschritt.

Und wenn sie ins Gespräch kommen, wenn sie tatsächlich Abrüstungsverträge oder die Verhandlungen dazu wieder aufnehmen, ist das nicht nur ein erster Schritt, sondern gemessen an dem Stadium von vor vier, acht oder zwölf Wochen ein echter Fortschritt.

In einem Interview mit NBC News sagte Putin, Biden sei berechenbarer als Trump. Er charakterisierte ihn darin als Berufspolitiker, "Karriere-Menschen", weniger impulsiv. Was ist dran an dieser Einschätzung?

Klaus Brinkbäumer: Biden ist Karrierepolitiker. Er war jahrzehntelang Senator, dann Vizepräsident, hat sich Washington wirklich erarbeitet. Er war ein Arbeitersohn aus Delaware. Also keiner, der in Harvard oder Yale oder den großen, sehr feinen Universitäten der Ostküste auf die politische Welt vorbereitet worden wäre, sondern hat sich hochgearbeitet, ist fast jeden Tag mit dem Zug von Delaware nach Washington, D.C. gefahren und hat sich das so richtig 'draufgeschafft', wie man so schön sagt. Da schätzt Putin ihn schon richtig ein.

Auch Biden hat etwas Impulsives. Er hat sich schon mehrfach verquatscht und verplappert, wenn er sich hat hinreißen lassen, provozieren lassen. Aber auf keinen Fall auf dem Niveau von Trump, der sonst so wutgetrieben ist und dann oft richtig ausfällig wird. Da ist Biden sehr viel kontrollierter und damit auch berechenbarer.

Im gleichen Interview attestierte Putin Bidens Amtsvorgänger Donald Trump, ein "begabtes Individuum" zu sein und sagte, dass er 2016 für ihn gewesen sei. Ist das Ausdruck einer Beziehung zu Trump, die durch Vorwürfe - etwa in Sachen Hacking und Einflussnahme - abgekühlt ist?

Klaus Brinkbäumer: Putin und Trump haben aus Trumps Sicht eine besondere Beziehung gehabt. Trump hat immer wieder davon geredet, dass sie sich wechselseitig schätzen würden. Meine Ferndiagnose - mit Vorsicht zu genießen, weil es eben eine Ferndiagnose ist - ist, dass Putin Trump eher als Spielfigur gesehen hat oder mit Trump gespielt hat. Putin war der Überlegene und Trump hat Putins Nähe gesucht.

Trump fand das bewundernswert, wie Putin durchregiert hat. Trump hat eine wirkliche Bewunderung für starke Führer, wie er sie sieht, und durchaus auch für Diktatoren wie Kim Jong Un in Nordkorea. Ein echtes Tabu eigentlich für einen amerikanischen Präsidenten, sich mit jemandem wie ihm zu treffen und ihn dadurch empor zu heben, aufzuwerten. Trump aber - verehrt ist ein großes Wort - verehrt, achtet, respektiert, bewundert solche Figuren. Und dass Putin aus seiner Sicht ein starker Herrscher ist, ein starker Mann, das hat auch mit Männlichkeitsbildern zu tun, gehört auf jeden Fall zur Wahrheit.

Dass die Beziehung zu Trump durch Hacking abgekühlt sei, kann man nicht sagen, weil Trump Putin ja nicht wirklich dafür bestraft hat. Es gab so scheinbare Gegenreaktionen aber nichts wirklich Scharfes, Schroffes. Trump hat Putin davonkommen lassen und er hat es ja bis heute auch nicht zugegeben, dass Putin Einfluss auf die Wahl genommen habe. Das kann Trump gar nicht zulassen, dass ein anderer ihm geholfen hat. Diese Erzählung hat es in Trumps Welt nie gegeben.

Russlands Präsident Wladimir Putin (L) und US-Präsident Donald Trump posieren bei einer offiziellen Begegnungszeremonie.
Putin und Trump - eine besondere Beziehung? Bildrechte: imago images / ITAR-TASS

Putin lässt an der Grenze Truppen aufziehen, den USA war die Pipeline Nord Stream 2 schon unter Trump ein Dorn im Auge: Stehen uns "bessere" Jahre als mit dem Zusammenspiel Trump und Putin bevor, wenn es um die russisch-amerikanischen Beziehungen geht?

Klaus Brinkbäumer: Das Entscheidende wird sein, ob Putin und Biden sich darauf verständigen können, dass sie gemeinsame Ziele haben. Also dass sie Covid-19 betreffend eine gemeinsame Agenda haben, nämlich jetzt die Hilfeleistungen für den Rest der Welt. Damit Covid-19 auch wirklich besiegt wird, muss es in Indien, Brasilien, Pakistan, Indonesien und vielen anderen Ländern vorangehen. Das wäre ein gemeinsames strategisches Interesse.

Genauso könnten beide Staaten - das haben wir schon genannt vorhin - zu Abrüstungsgesprächen zurückkehren. Sie könnten natürlich den Klimawandel, die Klimakrise als gemeinsames Thema sehen und deswegen auch gemeinsame Politik entwickeln. Dabei halte ich übrigens für das wichtigste Problem die Arktis. Eine gemeinsame Politik wäre sinnvoll und ich glaube, dass Biden das weiß. Ich weiß nicht, wie ernsthaft sich Putin auf dieses Feld zusammen mit den USA begeben will.

Und sie könnten China gemeinsam als den großen Rivalen der Gegenwart begreifen und sich dann hier oder dort auch verständigen: 'Was machen wir denn da?' Weil China so aggressiv Weltpolitik betreibt, seine Einflusszone erweitert und immer weiter erweitert, könnten Putin und Biden da sagen, wir sollten ein bisschen enger zusammenrücken und Dinge gemeinsam angehen.

Die Fragen stellte Simon Bernard für die MDR-Osteuroparedaktion.

Zur Person Klaus Brinkbäumer ist Programmdirektor des MDR und hat zuvor als Autor und Korrespondent aus den USA berichtet. Gemeinsam mit Rieke Havertz, US-Korrepondentin von ZEIT ONLINE, moderiert er den Podcast "OK, America", der mittlerweile als Kooperation von ZEIT ONLINE und MDR AKTUELL erscheint.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 16. Juni 2021 | 08:00 Uhr

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