Nach der Präsidentschaftswahl in Polen: Der Anfang vom Ende der PiS?

29. Juni 2020, 18:03 Uhr

Steht Polen nach der gestrigen Wahl vor einem politischen Wandel? Beobachter sind sich einig: Selbst wenn Andrej Duda weiterhin Präsident bleibt, verschieben sich im Land zunehmend die politischen Kräfteverhältnisse.

Ostbloggerin Monika Sieradzka vor polnischer Flagge.
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Menschen in einem Wahllokal in Polen
Wer der nächste polnische Präsident wird, entscheidet sich in der Stichwahl am 12. Juli. Doch bereits jetzt ist klar, die Wahl wird maßgeblichen Einfluss auf die politische Zukunft des Landes haben. Bildrechte: imago images/Eastnews

Nach den jüngsten Hochrechnungen hat der amtierende Präsident Andrzej Duda im ersten Wahlgang 43,67 Prozent der Stimmen erhalten und damit die absolute Mehrheit verfehlt. Sein größter Herausforderer, der Liberale Oberbürgermeister von Warschau, Rafal Trzaskowski, liegt bei 30,34 Prozent. Somit kommet es in Polen zu einer Stichwahl, die am 12. Juli stattfinden wird.

Außerdem gab die staatliche Wahlkommission bekannt, dass die Wahlbeteiligung bei 64,4 Prozent lag. Für Polen ist das ungewöhnlich hoch. Bei den früheren 44 Urnengängen seit 1989 hat die Wahlbeteiligung nur fünf Mal die 60-Prozent-Marke überschritten.

Lange Schlangen vor einem Wahllokal in Warschau
Mit 64,4 Prozent lag die Beteiligung an der Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag ungewöhnlich hoch. Vor vielen Wahllokalen in der polnischen Hauptstadt Warschau bildeten sich lange Schlangen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Eine Schicksalswahl

Am Sonntag waren vor den Wahllokalen lange Schlangen zu beobachten – kein typisches Bild für Polen. Doch die coronabedingten Sicherheits- und Abstandsregeln können das Phänomen nur bedingt erklären. Denn insbesondere in Großstädten sehnen sich viele nach einem politischen Wandel im Land.

Nach einer Stunde Schlangenstehen vor einem Wahllokal im Warschauer Stadtteil Mokotow ist Karolina gerade mal 50 Meter voran gekommen. Weitere 100 Meter liegen noch vor ihr - bei fast 40 Grad Hitze. "Es ist besser, jetzt ein paar Stunden zu opfern, als die nächsten fünf Jahre zu leiden", sagt Karolina. Diese Wahl ist für die 38-Jährige wichtig, weil sie will, dass ihre derzeit 12-jährige Tochter "in einem Land lebt, in dem sie normal lernen und sich entwickeln kann, ohne an eine Auswanderung denken zu müssen".

Eine junge Frau mit Sonnenhut
Die 38-jährige Karolina ist gerne bereit, die lange Wartezeit vor dem Wahllokal in Kauf zu nehmen. Sie hofft auf einen politischen Wandel in Polen. Bildrechte: Monika Sieradzka

"Es sind die wichtigsten Wahlen seit 1989, die wichtigsten in meinem Leben. Davon wird abhängen, in welche Richtung das Land gehen wird", sagt Michal, 35. Solche Stimmen bekommt man vor dem Wahllokal in Mokotow oft zu hören. In Warschau, einer Hochburg der Opposition, sprechen viele Menschen von einer "Schicksalswahl".

Für sie steht der Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski für einen Wandel. Sollte er zum Staatsoberhaupt gewählt werden, könnte er mit seinem Veto künftig Gesetze der nationalkonservativen Parlamentsmehrheit zumindest teilweise blockieren.

PiS-Anhänger für konservative Werte

Die wenigen Duda-Anhäger in der Schlange möchten im Gespräch mit Medien lieber anonym bleiben. Zumindest im Warschauer Mokotow. Sie wünschen sich keinen Wandel in Polen. Nur eine konservative Regierung zusammen mit einem konservativen Präsidenten würden Polen vor einer "ideologischen Offensive" aus dem Westen retten – das steht für sie fest. Es geht für sie um die Ablehnung liberaler Werte, die zum Katholizismus in Widerspruch stünden.

Diese gesellschaftlichen Werte hat Präsident Duda in seinem Wahlkampf zu einem der Hauptthemen gemacht. Er warnte etwa vor einer "LGBT-Ideologie", also einer Lobby der Homosexuellen, die das traditionelle Familienmodell untergrabe.

Duda wirbt um rechtsnationale Wähler

Damit knüpfte Duda direkt an die Rhetorik der radikalen Nationalisten an, die zu dieser Wahl als Bündnis "Konfederacja" angetreten sind. Ihr Kandidat Krzysztof Bosak hat 6,79 Prozent der Stimmen bekommen. Gleich nach der Verkündung der ersten Zahlen hat Duda über Gemeinsamkeiten mit den Nationalisten gesprochen. "In vielen Fragen denken wir ähnlich. Und wir haben ein gemeinsames Ziel: ein starkes und sicheres Polen", sagte Polens amtierender Präsident.  

Wahl in Polen, Andrzej Duda
Der amtierende polnische Präsident Andrzej Duda jubelt über seinen Sieg im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl und sucht für die Stichwahl die Nähe zu Nationalisten. Bildrechte: imago images/Eastnews

"Von der Gunst dieser Wähler kann Dudas Sieg in der Stichwahl abhängen, deshalb macht er diese Geste", kommentiert die Warschauer Politologin Anna Materska-Sosnowska die Aussagen. Nach polnischem Recht ist eine Stichwahl notwendig, wenn beim ersten Wahlgang keiner der Kandidaten über 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen kann.

Hat Trzaskowski eine Chance?

Der Herausforderer Rafal Trzaskowski hat am Wahlabend einen Kampf gegen die Korruption im Land angekündigt und für eine Mobilisierung für den Endspurt der Wahlkampagne geworben. "In den kommenden zwei Wochen wird es um die Zukunft Polens gehen", sagte er.

Ein Sieg Trzaskowskis wird in erster Linie von den 13,69 Prozent der Wähler abhängen, die am Sonntag ihre Stimme für den linksliberalen Kandidaten Szymon Holownia abgegeben haben. Laut Materska-Sosnowska kann Trzaskowski in der Stichwahl mit einem großen Teil dieser Wählerstimmen rechnen.  "In den kommenden zwei Wochen wird es einen harten Kampf geben, der die Gesellschaft noch mehr spalten wird", sagt sie. Der Wahlausgang sei dabei offen, denn die beiden Kandidaten liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen und seien sich "über die Bedeutung dieser Wahl für die Zukunft Polens bewusst".  

Wahl in Polen, Rafal Trzaskowski
Der liberale Oberbürgermeister von Warschau, Rafal Trzaskowski, ist der Hoffnungsträger all jener, die einen politischen Wandel in Polen wollen. Bildrechte: imago images/Eastnews

Eine Wahl mit Makel

Die Politologin Materska-Sosnowska spricht von einer "beginnenden Erosion" der regierenden PiS-Partei. "Unabhängig vom Wahlergebnis wird diese Wahl gewaltige Veränderungen der polnischen Politik nach sich ziehen. Die PiS wird mit Wahlprotesten konfrontiert werden", sagt sie. Die juristischen Grundlagen dieser Wahl würden nämlich viele Fragen aufwerfen.

Ursprünglich war die Präsidentschaftswahl für den 10. Mai angesetzt gewesen, wegen der Corona-Epidemie musste sie jedoch verschoben werden. Die laufende Amtszeit von Präsident Andrzej Duda endet jedoch am 6. August. Laut polnischer Verfassung hätte die Wahl spätestens am 23. Mai stattfinden müssen. Dazu gab es aber keine Zustimmung im Parlament.

Lange Schlangen vor einem Wahllokal in Warschau 1 min
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1 min

Vor den Wahllokalen bildeten sich, nicht nur wegen der Corona-Abstandsregeln, lange Schlangen.

Mo 29.06.2020 15:19Uhr 01:13 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/politik/video-423098.html

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Umstrittener Wahltermin

"Zum Termin am 28. Juni kam es infolge eines politischen Kompromisses, quasi über die Verfassung hinweg", betont der Verfassungsrechtler Adam Bodnar im Interview mit dem Portal "Obywatele News". Er spricht von "einer Erbsünde, die diese Wahl belastet".

"Über die Gültigkeit der Wahlen wird die Kontrollkammer des Obersten Gerichts entscheiden. Und wir als Bürger haben keine hundertprozentige Garantie, dass diese Kammer unabhängig ist", sagte Bodnar. Denn die Kontrollkammer wurde im Rahmen der von Brüssel kritisierten Justizreform der PiS-Regierung mit parteitreuen Juristen besetzt.

Auch für Bodnar steht bei dieser Wahl das Schicksal Polens auf dem Spiel: "Diese Wahl wird darüber entscheiden, ob Polen weiter in Richtung einer hybriden, nichtliberalen Demokratie geht, in Richtung eines Autoritarismus oder ob diese Entwicklung gestoppt wird."

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 28. Juni 2020 | 19:30 Uhr

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