Katholische Kirche in Polen Sex und Masturbation: Unerhörte Fragen bei der Kinderbeichte in Polen
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01. März 2023, 17:54 Uhr
Kann man ein 9-jähriges Kind wirklich fragen, ob es schon masturbiert oder "schmutzige Gedanken" hat? Polnische Priester tun das – bei der sogenannten Erstbeichte. Nun fordern Aktivisten, der Staat solle durchgreifen und diese Praktik verbieten. Ein neues Problem für die katholische Kirche in Polen, die von einer Dauerkrise geplagt wird.
Auf der Facebook-Seite von Rafał Betlejewski, einem Performer und Schriftsteller, der für wichtige soziale Aktionen bekannt ist, herrscht seit Oktober letzten Jahres reger Betrieb. Und zwar wegen einer Petition an das polnische Parlament, die ein Verbot der Beichte für Kinder unter 16 Jahren fordert.
Die Erstbeichte, die in Polen traditionell von Kindern im Alter von neun oder zehn Jahren abgelegt wird, ist eine Voraussetzung für die Erstkommunion, also den erstmaligen Empfang des Altarsakraments. Für viele heute erwachsene Menschen ist das eine traumatische Erinnerung. Die eigenen "Sünden" vor einem Fremden zu bekennen, sei eine Erfahrung, die oft jahrelang nachwirke. Viele empfinden es als ein Instrument psychischer Gewalt und institutioneller Kontrolle. Zumal sie oft auf eine äußerst penetrante Art vor allem nach ihren (vermeintlichen) sexuellen Erfahrungen und "schmutzigen Gedanken" ausgefragt wurden.
Erste Beichte: "Händchen unterm Bettdeckchen?"
"Viele Menschen erinnern sich an die Frage des Priesters nach den 'Händchen unterm Bettdeckchen'. Viele haben das Wort 'Masturbation' erst im Beichtstuhl gelernt", sagt Rafał Betlejewski. Dies wird durch eine aktuelle Umfrage von OKO.Press bestätigt. Darin gaben 51 Prozent der Befragten an, negative Assoziatinen mit der Beichte zu haben – etwa Angst, Anspannung, Scham oder Verlegenheit. Nur ein Drittel erinnerte sich positiv an die Beichte und assoziiert damit Freude, Zufriedenheit oder geistliche Erhebung.
Auch auf Betlejewskis Facebook-Seite beschreiben viele Menschen die Beichte als Trauma. Der User namens Zappa schreibt etwa: "Bei meiner letzten Beichte war der Mistkerl nur daran interessiert, ob ich mich an intimen Stellen berühre. Für einen Zwölfjährigen, in dessen Augen ein Pfirsichdiebstahl das größte Vergehen war, war das ein Schock."
Eine Frau namens Dorota schreibt: "Ich hatte immer große Angst vor der Beichte. Immer! Ich war innerlich zerrissen. Ich bedauere, dass meine Kinder vor der Kommunion das Gleiche wie ich durchmachen mussten. Danach habe ich nie mehr darauf bestanden, dass sie in die Kirche gehen, ich habe ihnen freie Wahl gelassen. Jedes Kind sollte das Recht haben, selbst zu entscheiden."
Eltern und Kinderpsychologen besorgt
Die Beichte vor der Erstkommunion beunruhigt viele Eltern, die an ihrer Berechtigung und Notwendigkeit zweifeln. Laut Betlejewski sind die meisten Priester psychologisch nicht in der Lage dazu, ein offenes und tiefes Gespräch mit dem Kind zu führen. Und zwar mit einem, das vor dem Priester kniet. Auch viele Kinderpsychologen teilen diese Ansicht. Sie halten solche Gespräche über Sexualität im Alter von acht bis zehn für völlig unangemessen.
Kritiker bemängeln, die Erstbeichte sei oberflächlich, entbehre der religiösen Tiefe, bestehe in einem automatisierten Rezitieren auswendig gelernter Formeln und erzeuge unnötigen Stress. Auch das Verständnis von Gut und Böse sei bei Kindern in diesem Alter noch nicht ausgereift. In Verbindung mit der Sexualobsession der Kirche in Polen ergebe das eine toxische Mischung.
"Ich denke, dass das ein falsches Konzept ist, das in der polnischen Religiosität wurzelt, aber dem Entwicklungsstand des Kindes völlig widerspricht", meint Kinderpsychologin Dr. Aleksandra Piotrowska. "Ich mag die Form nicht, die dieses Sakrament in unserem Land annimmt. Es ist ein Konzept, das auf Angst und der Furcht vor Strafe basiert", fährt die Expertin fort. Das Kind sei vor allem darüber besorgt, ob es auch wirklich alle seine Sünden gebeichtet hat. "Aber welche Sünden kann ein Kind in diesem Alter haben?", fragt die Expertin.
Betlejewski fordert für das Ablegen der Erstbeichte das Mindestalter von 16 Jahren. Dies sei der Moment, in dem junge Menschen ihre Eigenart markieren und schon imstande seien, autonome Entscheidungen über verschiedene Bereiche ihres Lebens zu treffen.
Katholische Kirche protestiert
Viele Priester sind über den Vorschlag empört – und auch darüber, dass sich in der Diskussion angeblich vor allem Atheisten zu Wort melden. Doch das trifft auf Betlejewski nicht zu, der katholisch erzogen wurde und aus der Kirche nicht ausgetreten ist. Außerdem machen die Geistlichen geltend, dass die Forderung gegen die in der Verfassung garantierte Religionsfreiheit und damit auch gegen das Recht der Eltern verstoße, die Kinder in ihrem Glauben zu erziehen.
Rafał Betlejewski weist jedoch darauf hin, dass das Kirchenrecht den Bischöfen in dieser Hinsicht einen großen Spielraum einräumt: Sie könnten das Alter der Sakramentenreife in der "Ortskirche" festlegen und müssten sich dazu nicht einmal an den Vatikan wenden. Und wenn sie dies ablehnen, müsse der polnische Staat eingreifen und systemische Lösungen finden.
Das Verbot der Kinderbeichte wäre ein großer Einschnitt für die polnische Kirche, die Idee stößt deshalb auf großen Widerstand. Tomasz Terlikowski, Philosoph und konservativer katholischer Publizist, lehnt sie entschlossen ab, sieht aber durchaus Diskussionsbedarf. Das tatsächliche Problem ist seiner Meinung nach die schlechte geistige und intellektuelle Verfassung des Klerus: "In diesem speziellen Fall geht es nicht um die Beichte als solche, sondern um die Qualität der Priester und ihre geistige Formation. Die lässt natürlich viel zu wünschen übrig."
Eine Diskussion über die Schädlichkeit der Beichte von Minderjährigen kann die krisengeschüttelte polnische Kirche zurzeit eigentlich nicht gebrauchen. Solange die Debatte noch weitgehend online erfolgte, konnte die Kirche sie noch als nicht so gefährlich betrachten. Seit die Forderung aber von Politikern aufgegriffen wird, wie kürzlich von Robert Biedroń, einem der Führer der Neuen Linken, kann das Thema nicht mehr ignoriert werden.
Dauerkrise der Katholischen Kirche in Polen
Seit Jahren wird die katholische Kirche in Polen von einer Krise geplagt. Während ihr Einfluss auf die Politik in der Regierungszeit der PiS-Partei enorm zunimmt, verliert sie immer mehr den Einfluss auf das Denkeln und Handeln der Bürger. Dazu hat nicht nur die Allianz mit den Regierenden beigetragen, sondern auch Missbrauchsskandale und Hetztiraden von Geistlichen gegen Andersdenkende oder sexuelle Minderheiten.
Umfragen belegen: Die wenigsten Polen halten sich an die strenge, nicht mehr zeitgemäße Sexualmoral der katholischen Kirche. Schüler flüchten regelrecht aus dem Religionsunterricht. Immer mehr Menschen treten offiziell aus der Kirche aus – eine in Polen lange unbekannte Erscheinung, weil es dort keine Kirchensteuer und damit keinen finanziellen Anreiz für einen Kirchenaustritt gibt. Noch mehr Menschen kehren der Kirche still den Rücken und gehen einfach nicht mehr oder nur noch sporadisch in die Gottesdienste. Auch die Zahl der Priesteramtskandidaten – einst Polens "Exportschlager" – sinkt von Jahr zu Jahr, so dass erste Priesterseminare bereits schließen bzw. zusammengelegt werden mussten.
Auch wenn die Petition unter der gegenwärtigen PiS-Regierung kaum Chancen hat, eine Gesetzesänderung herbeizuführen, scheint die Debatte selbst nicht mehr aufzuhalten zu sein. Sie wird auch zeigen, ob die Polen wirklich immer noch so sehr an der Tradition hängen, die in vielen Fällen katholisch geprägt ist.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 03. März 2022 | 16:35 Uhr