Diplomatische Verwirrungen Polen: Warum es in Warschau seit Wochen keinen deutschen Botschafter gibt

28. August 2020, 21:02 Uhr

Die deutsche Botschaft in Warschau wird seit Anfang Juli kommissarisch geleitet. Es gibt zwar einen neuen Botschafter, doch der Kandidat für den Posten kann sein Amt nicht antreten, weil er keine Zustimmung aus Warschau bekommt. Kritiker sprechen von einem "diplomatischen Affront" der PiS.

Ostbloggerin Monika Sieradzka vor polnischer Flagge.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Arndt Freytag von Loringhoven sollte Anfang Juli deutscher Botschafter in Polen werden, genau zum Start der deutschen Präsidentschaft im EU-Rat. Der entsprechende Antrag auf das Agrément, die offizielle Zustimmung Polens, des neuen Botschafters wartete schon seit Ende Mai beim polnischen Auswärtigen Amt. Dass die Routineüberprüfung des Botschafterkandidaten nicht etwa eine oder zwei Wochen, sondern Monate dauern wird, hat niemand geahnt.

So etwas hat es zwischen Polen und Deutschland noch nie gegeben. Von polnischer Seite gibt es keine offizielle Erklärung dazu. Die Erteilung eines Agréments bedürfe keines Kommentars, hört man dort. Und auch das Auswärtige Amt in Berlin gibt sich zugeknöpft. Man sei mit der polnischen Seite im Gespräch, sagte ein Sprecher der Osteuropa-Redaktion des MDR.

Der 63-jährige Arndt Freytag von Loringhoven war früher Leiter der politischen Abteilung der Botschaft in Moskau, Botschafter in Tschechien, Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes und zuletzt Geheimdienstkoordinator der NATO. "Schwergewicht", "erste Liga der deutschen Diplomatie", hört man in Diplomatenkreisen über ihn.

Ein Mann steht an einem Rednerpult.
Pawel Kowal: Der ehemalige polnische Vizeaußenminister beklagt das Zögern des Auswärtiges Amtes in Warschau. Bildrechte: imago images/newspix

Belastung für deutsch-polnische Beziehungen

Aus Sicht des ehemaligen polnischen Vizeaußenministers Paweł Kowal, derzeit Oppositionsabgeordneter im polnischen Parlament, belastet das Zögern des Auswärtigen Amtes in Warschau die deutsch-polnischen Beziehungen. Angesichts der Lage in Belarus, wo der Zusammenhalt der EU-Länder besonders zähle, schade es dem Image Polens in Europa. "Deutschland ist der wichtigste politische und wirtschaftliche Partner Polens. Die diplomatische Zurechtweisung gegenüber dem neuen deutschen Botschafter macht keinen Sinn. Gerade jetzt gilt es zu zeigen, wo wir stehen, nämlich zusammen mit dem Westen", sagt der Politiker. Ein reales Problem für Polen seien "autoritäre Regime im Osten" und nicht die Beziehungen zum EU-Nachbarn.

Demütigung als Mittel der Diplomatie

Empört ist auch Bartosz Wieliński, stellvertretender Chefredakteur und ehemaliger Deutschland-Korrespondent der linksliberalen Zeitung Gazeta Wyborcza. "Es gibt diese eklige Methode in der Diplomatie: jemanden im Vorzimmer lange warten zu lassen, um ihn zu demütigen. Das ist ein Affront gegenüber dem künftigen Botschafter", sagt der Publizist.

Polnische Zeitungen - Gazeta Wyborcza und Magazyn Reporterow - liegen auf einem Tisch.
Gazeta Wyborcza: Bartosz Wielinski, stellvertretender Chefredakteur und ehemaliger Deutschland-Korrespondent der linksliberalen Zeitung, ist empört über das Vorgehen Polens bei der Ernennung des deutschen Botschafters. Bildrechte: imago/Priller&Maug

Polens Regierung habe sich selbst in eine Sackgasse getrieben und brauche "die Geschichte mit dem Hitlerbunker, um es zu vertuschen". Damit meint Wieliński die zahlreichen Artikel rechtsnationaler Medien über die Episode im Leben des Vaters des Botschafterkandidaten, als dieser 1944 und 1945 als Adjutant in Hitlers Bunker diente. Seine Erlebnisse hat Bernd Freytag von Loringhoven im Buch "Mit Hitler im Bunker" beschrieben. Von vielen Polen wird von Loringhoven nun mit dieser Geschichte assoziiert, auch wenn seinem Vater nach dem Krieg keine Kriegsverbrechen nachgewiesen wurden und er bis 1973 als hoher Offizier der Bundeswehr diente.

Auch die früheren Tätigkeiten von Arndt Freytag von Loringhoven im BND und als Geheimdienstkoordinator der NATO sind den regierungsfreundlichen Medien in Polen ein Dorn im Auge. Auf dem Internetportal des Staatsfernsehens TVP kann man lesen, dass seine "Spionagetätigkeit" ein Grund für das lange Warten auf das Agrément des polnischen Auswärtigen Amtes sei.

Antideutsche Töne in Polen

Bartosz Wieliński von der Gazeta Wyborcza sieht das als Folge der "antideutschen Rhetorik" der PiS im letzten Wahlkampf, als Präsident Andrzej Duda von einem "deutschen Angriff" sprach. Der Auslöser war ein Artikel des Boulevardblattes "Fakt", das dem deutsch-schweizerischen Medienkonzern Ringier Axel Springer gehört. In dem Artikel war Präsident Duda für die Begnadigung eines Pädophilen angeprangert worden.

Duda kritisierte auch den Warschau-Korrespondenten der Tageszeitung "Die Welt", Philip Fritz. Dieser habe geschrieben, dass Dudas Herausforderer Rafał Trzaskowski der bessere Präsident wäre, weil er anders als Duda nicht auf Kriegsreparationszahlungen von Deutschland beharre. Tatsächlich hatte Fritz jedoch geschrieben, dass Trzaskowski Reparationsforderungen skeptisch gegenüber stehe. Mitte August hat Premierminister Mateusz Morawiecki offiziell gegen einen Artikel über die Gräueltaten in den polnischen Gefangenenlagern im polnisch-sowjetischen Krieg 1920 protestiert. Der Artikel erschien in Newsweek Polska, ebenfalls in Besitz vom Springer-Verlag.

"Es gibt diese Wahnvorstellungen der PiS, dass deutsche Medien und die polnischen Medien, die den deutschen Medienkonzernen gehören, im Auftrag Berlins anti-polnisch agieren sollen", kommentiert Bartosz Wieliński. Er kann sich deshalb gut vorstellen, dass sich die Ankunft des neuen Botschafters "angesichts dieses Medienkrieges" noch weiter verspäten kann.  

Die Bilder des künftigen deutschen Botschafters in Polen, Arndt Freytag von Loringhoven, dessen Vater und Adolf Hitler nebeneinander auf Twitter.
Auch bei Twitter ist die Personalie Arndt Freytag von Loringhoven ein vielbesprochenes Thema. Bildrechte: twitter.com/ArtArtPL

Geschichte als Herausforderung

Die ständige Auseinandersetzung mit der schwierigen deutsch-polnischen Geschichte wird für alle deutschen Botschafter in Polen zu einer Herausforderung. Einer der Gründe dafür ist, dass die Leiden Polen und die Kriegsverluste des Landes, die zu den höchsten im Zweiten Weltkrieg gehörten, im Ausland wenig bekannt sind. In den letzten Jahren hat die PiS sogar die Kriegsreparationen ins Spiel gebracht. Der neue Botschafter wird sich mit vielen komplizierten Fragen auseinandersetzen müssen, wenn das Agrément der polnischen Seite endlich da ist. Bis dahin lernt er fleißig polnisch, erzählt man sich in deutsch-polnischen Diplomatenkreisen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 23. August 2020 | 11:00 Uhr

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