Souvenirs aus Krakau in der Diskussion Antisemitische Glücksbringer in Polen
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23. September 2022, 17:35 Uhr
Vor der Pandemie besuchten über 14 Mio. Touristen die polnische Königsstadt Krakau. Neben dem pittoresken Altstadtkern lockt vor allem das reichhaltige Erbe an jüdischer Kultur Reisegruppen aus aller Welt. An einem beliebten Mitbringsel hat sich nun eine Debatte enzündet: Stereotype Figuren von Juden mit Geldbeutel oder Münze in der Hand. Ein jüdisches Festival setzt sich gegen das allgegenwärtige Geschäft mit den antisemitischen Juden-Darstellungen zur Wehr – mit ersten Erfolgen.
Polen lockt jedes Jahr Millionen Touristen an. In ihre Koffer wandern dabei vielfach Magnete, Anhänger und anderer Nippes mit stereotypen Abbildungen von Juden, die eine goldene Münze halten. Die Polen haben ein gespaltenes Verhältnis zu diesen Mitbringseln. Denn das Stereotyp eines reichen, habgierigen und halbseidenen jüdischen Händlers und Bankiers ist in Polen noch relativ weit verbreitet – was sich auch in der abfälligen Bezeichnung "Żydki", auf Deutsch "Jüdlein", niederschlägt. Gleichzeitig sind entsprechende Juden-Darstellungen ein beliebter Glücksbringer, der seinem Besitzer finanziellen Wohlstand sichern soll, so der Volksglaube. Besonders in Krakau, einer Stadt, in der vor dem Zweiten Weltkrieg fast ein Drittel der Bevölkerung jüdisch war, findet man heute einen regen Markt dafür.
Jüdische Kultur als Touristenmagnet unweit von Auschwitz
Es ist ein schmaler Grat zwischen angemessener Erinnerung und Kommerz. Das Spannungsfeld manifestiert sich geradezu in den Gassen des einstigen jüdischen Viertels Kazimierz. Trotz jüdischer Zentren und acht Synagogen, die sich hier befinden, ist Kazimierz heute vor allem ein Ort für Touristen – mit zahllosen Lokalen, die Besucher mit dem "Jewish Style" locken. Selbst eine der Synagogen blieb nicht verschont: Wo einst Rabbiner ihre Gebete sprachen, können Besucher heute in einem hippen Café Platz nehmen – und womöglich die Ausbeute eines Markt-Bummels begutachten, bei dem die eine oder andere antisemitische Judenfigur in die Tüten gewandert ist. Und das an einem Ort, der nur 55 Kilometer Luftlinie vom ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau entfernt ist.
1.000 Jahre jüdisches Leben in Polen
Vor dem Holocaust hatte Polen die größte jüdische Community in Europa. Rund 3,5 Millionen Juden lebten im Land, das seit Jahrhunderten ihre Heimat war. Die erste schriftliche Erwähnung von Juden auf polnischem Territorium stammt aus dem 10. Jahrhundert. Mit dem Statut von Kalisz wurde ihre Stellung im 13. Jahrhundert erstmalig juristisch verankert. Juden erhielten damit eine Autonomie. Das Statut sicherte ihnen die Unantastbarkeit des Lebens und des Besitzes zu und sah Strafen für die Schändung jüdischer Friedhöfe und Synagogen vor. Weitere königliche Privilegien folgten, so dass Polen trotz immer wieder aufflammender Pogrome zu einem relativ sicheren Ort für Juden in Europa wurde. Dadurch wuchs die jüdische Population, die im Laufe der Jahrhunderte stets ungefähr zehn Prozent der gesamten Bevölkerung ausmachte.
Der deutsche Völkermord an den europäischen Juden setzte dieser Entwicklung ein Ende. Von den 300.000 polnischen Juden, die den Holocaust überlebt hatten, wanderten die meisten in mehreren Migrationswellen nach 1945 aus. Bei der Volkszählung von 2011 gaben nur 7.353 Bürger die Zugehörigkeit zur jüdischen Minderheit an. Entsprechende Daten der neuesten Volkszählung von 2021 sollen im Herbst 2022 publiziert werden. Die Geschichte der polnischen Juden wird in dem 2013 eröffneten Museum der Polnischen Juden POLIN dokumentiert.
Ob in Kerzenform, als Wandgemälde oder Kühlschrankmagnet: Die klischeehaften Juden-Figuren sind in den unterschiedlichsten Formen auf den Märkten Krakaus erhältlich und bei vielen Polen als Glücksbringer beliebt. Meist werden sie mit einer "Gebrauchsanweisung" verkauft: Am Ende der Woche solle man die Figur auf den Kopf stellen, damit das über die Woche gesammelte Geld aus den Taschen des Juden fallen könne.
Bei einer 2015 durchgeführten Umfrage zum Thema Aberglaube zeigten sich 50 Prozent der befragten Polinnen und Polen überzeugt, dass die Abbildung eines Juden mit Münze finanziellen Erfolg sichere. Kein Wunder, dass man solche Figuren oft neben Kassen von Restaurants und Läden oder im Eingangsbereich von Wohnungen findet, wo "das Geld ein und aus geht".
Antisemitischer Aberglaube
Vorurteile, die Juden eine besondere Affinität zu Geld unterstellen, sind keine neue Erscheinung. Doch das Stereotyp wird zunehmend zum Problem, meint Dr. Erica Lehrer, die in Krakau eine Ausstellung zu den Juden-Darstellungen kuratiert hat. Denn der Jude, der eine Münze hält, bekomme so einen antisemitischen Charakter.
Früher gab es noch verschiedene Arten von Juden-Figuren, die viele Interpretationen zuließen, während heute fast alle eine Münze halten. Die Münze stellt für mich eine klare Grenze zwischen mehrdeutig und eindeutig antisemitisch dar.
Gegen diese Darstellungspraxis regt sich zunehmend Widerstand. Für die Veranstalter des jüdischen Festivals "FestivALT" sind die Figuren schlicht antisemitisch. Michael Rubenfeld, einer der Festivalgründer, macht darauf mit einer besonderen Performance aufmerksam. Als "Geldjude" nach Art der beliebten Glücksbringer verkleidet, besucht der Schauspieler Krakauer Märkte, bietet selbstentworfene Juden-Souvenirs an und fragt die Käufer nach ihren Kaufgründen.
Meist seien die Reaktionen sehr positiv, so Rubenfeld. Als antisemitisch nähmen die Käufer die Juden-Figuren nicht wahr. Ganz im Gegenteil: Für die meisten seien sie Anknüpfungspunkte an die eigene Familiengeschichte, in der Vorfahren während des Holocaust jüdischen Mitbürgern geholfen haben sollen. Außerdem hätten die allermeisten noch nie einen Juden getroffen und würden sich über die Begegnung mit einem echten Juden freuen, berichtet Rubenfeld. Der Schauspieler glaubt, antisemitische Vorurteile mit seiner Performance ein Stück weit bekämpfen zu können.
Die jüdische Kultur wird hier vereinnahmt und wir holen sie uns in gewisser Weise zurück. Wir übernehmen die Kontrolle darüber, wie wir stereotypisiert werden. Wir greifen rassistische Bilder auf und deuten sie um.
Das Ende der geschmacklosen Glücksbringer?
Nach mehreren Gesprächen konnten die Festival-Macher einen Erfolg verbuchen: Die Stadt Krakau sprach ein Verkaufsverbot für "Geldjuden"-Figuren in den verpachteten städtischen Ladenflächen aus. Es sei ein wichtiges Anliegen, die Erinnerung an die jüdische Geschichte vor der Massenkommerzialisierung zu bewahren, so die Begründung.
Wenn die Stadt Eigentümerin eines Gebäudes ist und dort ein Souvenirladen entsteht, wird der Verkauf dieser Figuren vertraglich untersagt. Das Gleiche gilt bei den von der Stadt organisierten Messen und Märkten.
Ein flächendeckendes Verbot lässt sich jedoch laut dem Kulturbeauftragen der Stadt, Robert Piaskowski, nicht durchsetzen, da nach geltendem Recht ausschließlich die Verbreitung von nationalsozialistischen oder stalinistischen Symbolen verboten werden könne.
Man hofft deshalb auf Einsicht. Zusammen mit jüdischen Museen, der jüdischen Kultusgemeinde, Wissenschaftlern und weiteren Akteuren haben die Festival-Veranstalter zu gemeinsamen Anstrengungen gegen den Verkauf der umstrittenen Judenfiguren aufgerufen. Das Argument: Der Umgang damit sei einer Stadt wie Krakau, die fast all ihre jüdischen Einwohner im Zweiten Weltkrieg verloren hat, nicht angemessen.
Doch nicht so einstimmig?
Während sich die Stadt mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren einig ist, dass die Figuren von den Märkten Krakaus verschwinden sollen, spricht eine Krakauer Regionalzeitung von Zensur - fälschlicherweise, denn ein staatliches Verbot der Figuren wird es eben nicht geben. Der Bildhauer Jerzy Ćwierzyk, der in seiner Werkstatt in einer Kleinstadt nahe Krakau neben anderen folkloristischen Figuren auch "Juden mit Münze" herstellt, empfindet die Debatte als übertrieben. Die Figuren würden den Juden schließlich keine negativen Eigenschaften unterstellen. Dass der Verkauf überhand genommen habe und man nunmehr sogar auf Löffeln, Tellern und allerhand anderem Bilder von Juden kaufen könne, räumt auch er ein.
Er selbst interessiere sich schon lange für das Judentum und sei daher in den 1990ern durch das ganze Land zu Ausstellungen und Museen gereist, um Vorlagen für seine Bildhauerei zu sammeln. Vor allem aber rühre sein Interesse daher, dass seine Mutter selbst Jüdin gewesen sei. Lange Jahre sei er im Unwissen über die Familiengeschichte aufgewachsen – darüber, dass sein Vater, der während der deutschen Besatzung polnischer Ordnungspolizist war, die Mutter vor dem Abtransport noch retten konnte. Kurz vor dem Tod der Mutter habe sie den Kindern dann schließlich erst anvertraut, dass sie Jüdin sei. Warum er trotz seiner jüdischen Abstammung Juden-Figuren produziert, die viele aus gutem Grund als antisemitisch empfinden? Er sieht es pragmatisch: "Ich stelle das her, was die Leute von mir wollen und fertig!"
Antisemitismus aus Unwissenheit
Der Schauspieler und Künstler Michael Rubenfeld findet, dass in der Debatte um die Juden-Figuren nun zumindest ein Anfang gemacht wurde, in einer Stadt, die von einem "jüdischen Tourismus-Business" geradezu lebt und in besonderer Weise auch durch die Nähe zum deutschen Vernichtungslager Auschwitz Besucher anzieht. Er glaube nicht, dass die Menschen solche Figuren aus Böswilligkeit kaufen, sondern weil sie schlicht nicht darüber aufgeklärt seien, warum viele Juden diese Darstellung beunruhigend und falsch finden. Ebenfalls positiv aus seiner Sicht: Der Diskurs über die umstrittenen Glücksbringer hat eine breitere Debatte um den Umgang der Stadt mit ihrem jüdischen Erbe angestoßen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 06. Januar 2022 | 19:30 Uhr