
Verteidigung Polen als NATO-Vorbild? Trumps Lob und die harte Realität
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04. März 2025, 05:00 Uhr
Fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts sollen NATO-Länder künftig für Verteidigung ausgeben, so eine Forderung von US-Präsident Donald Trump. Das einzige NATO-Mitglied, das die Vorgabe schon jetzt nahezu erfüllt, ist Polen. Das Land rüstet seit Jahren auf und hat inzwischen die drittgrößte Armee der NATO, noch vor der Atommacht Frankreich. Bei näherem Hinsehen werden allerdings viele Probleme sichtbar. Sind die polnischen Streitkräfte also ein Papiertiger oder doch ein Vorbild für ganz Europa?
Polen als Musterschüler der NATO
Am letzten Februar-Wochenende traf sich Polens Präsident Andrzej Duda in Washington zu einem kurzen Gespräch mit Donald Trump. Der neue US-Präsident hat Polen, wie Duda berichtet, als "einen der zuverlässigsten Verbündeten" bezeichnet und seine hohen Militär-Ausgaben gelobt. Auch US-Verteidigungsminister Pete Hegseth geizte bei seinem Besuch in Warschau Mitte Februar nicht mit Lob: Polen sei ein Vorbild für Europa.
Das Lob hat Polen in der Tat verdient – zumindest teilweise. Noch unter der nationalkonservativen PiS-Regierung wurde ein ambitioniertes Aufrüstungsprogramm aufgelegt, das mit gewissen Anpassungen von der jetzigen Regierung fortgeführt wird. Die Militärausgaben steigen: 2024 lagen sie bei 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in diesem Jahr sollen es 4,7 Prozent werden. Und nach Truppenstärke ist die polnische Armee mit 216.000 Soldaten schon jetzt die drittgrößte der NATO – hinter den USA und der Türkei und knapp vor Frankreich.
Land | Truppenstärke | |
---|---|---|
USA | 1.300.000 | |
Türkei | 481.000 | |
Polen | 216.000 | |
Frankreich | 205.000 | |
Deutschland | 186.000 |
(Quelle: NATO)
Außerdem punktet Polen mit einer der größten Panzerarmeen der NATO. Mehr als die Hälfte der Fahrzeuge stellen dabei schon jetzt moderne westliche Fabrikate: die deutschen Leopard-Panzer in drei Varianten, die amerikanischen Abrams und die südkoreanischen Black Panther. Die noch vorhandenen Panzer aus Ostblock-Zeiten sollen bis Ende 2026 ersetzt werden. Mit 779 Kampfpanzern wird Polen dann die zweitgrößte Panzerarmee der NATO haben, gleich nach den USA.
Auch die Modernisierung der Luftwaffe schreitet voran. Mitte 2024 hatte das Land 60 Kampfjets westlicher Bauart und 32 Kampfjets sowjetischen Typs, außerdem 40 westliche Flugzeuge für Transport-, Schulungs- und Aufklärungszwecke. Selbst für die jahrelang stiefmütterlich behandelte Marine brechen bessere Zeiten an. Die meisten Schiffe haben mehrere Jahrzehnte Dienst auf dem Buckel, neue sind aber bestellt und sollen ab 2026 vom Stapel laufen.
Personalmangel, politische motivierte Entlasungen und schwache Fitness
Auf den ersten Blick ist das imponierend, doch bei näherem Hinsehen gibt es mehr als nur einen Wermutstropfen. Schon unter der PiS-Regierung wurde damit begonnen, die Truppenstärke schönzurechnen – Studenten von Militärakademien werden beispielsweise als "fertige" Soldaten gezählt. Dabei leidet die polnische Armee wegen des schnellen Ausbaus unter akutem Personalmangel.
Noch vor zehn Jahren bestand sie aus drei Divisionen – inzwischen sind drei weitere im Aufbau begriffen. Weil es aber nicht genügend Berufssoldaten gibt – die allgemeine Wehrpflicht ist in Polen ähnlich wie in Deutschland ausgesetzt – haben die Divisionen nicht die volle vorgesehene Stärke, sondern müssen mit etwa 80 Prozent des Personals auskommen. Darüber hinaus fehlen beispielsweise Kampfjet-Piloten.
Auch die Qualifikation der Soldaten lässt zu wünschen übrig. Dies hängt mit den politisch motivierten Entlassungen der ehemaligen PiS-Regierung zusammen. Viele altgediente Militärs, die die Regierung als politisch unzuverlässig einstufte, wurden aus dem Dienst gedrängt. Dafür reichte es z.B., dass man seine Laufbahn noch vor der politischen Wende 1989 begonnen und an einer Militärakademie in der Sowjetunion studiert hatte. Oder dass man den Flugzeugabsturz vom 10. April 2010, bei dem u.a. Präsident Lech Kaczyński ums Leben kam, entsprechend den offiziellen Ermittlungen als Unfall bezeichnete, statt die von der PiS lancierte Anschlagsthese zu unterstützen.
Oft waren das Offiziere mit einem unschätzbaren Fachwissen, die an echten Militäreinsätzen in Afghanistan und im Irak teilgenommen hatten. Jüngere, politisch PiS-nahe Soldaten und oft ohne diese Erfahrungen, wurden beschleunigt befördert, um die Lücken zu schließen. Statt eines regulären Studiums an einer Militärakademie reichten dafür Wochenendkurse. So ist nicht nur viel Knowhow verlorengegangen, es fehlen auch kampferfahrene Ausbilder für den militärischen Nachwuchs.
Um die körperliche Fitness der polnischen Berufsarmee ist es ebenfalls nicht zum Besten bestellt. Der Oberste Rechnungshof hat geprüft, wie sportlich die Soldaten sind. Das Ergebnis war wenig erbaulich. In vielen Kasernen wurden erhebliche Mängel beim Pflichtsport aufgedeckt. Das vorgeschriebene Soll wurde nicht erfüllt, und häufig fehlte es an der notwendigen Infrastruktur oder an qualifizierten Trainern. Im Jahr 2022 haben sich 17 Prozent der Soldaten vor der obligatorischen Sportprüfung gedrückt, neun Prozent sind dabei durchgefallen. Außerdem wurden Anwesenheitslisten gefälscht und Sportlager außerhalb der Kaserne oft zu Urlaub umfunktioniert.
Wenig Munition, aber findige Rüstungsindustrie
Die Mängelliste geht bei Waffen, Munition und Ausrüstung weiter, die für die sechs Divisionen einfach nicht ausreichen – und das, obwohl Polen eine seit der Wende einmalige Aufrüstungsoffensive gestartet hat. Es fehlt nicht nur an großem Militärgerät wie Haubitzen und Truppentransportern, sondern auch an etwas so Grundlegendem wie Munition. Die einheimische Rüstungsindustrie produziert im Jahr gerade mal so viele Artilleriegeschosse, wie Russland in der Ukraine binnen drei bis vier Tagen verschießt. Auch bei persönlicher Schutzausrüstung wie Helmen oder schusssicheren Westen gibt es Lücken. Vereinzelt mussten Reservisten bei Übungen sogar bereits getragene Uniformen und Unterwäsche "recyclen".
Dass sich die Lage schnell bessert, ist wenig wahrscheinlich. Zwar will die Regierung die jahrelang vernachlässigte polnische Rüstungsindustrie stärken, doch das wird noch Jahre dauern. Viele Komponenten werden inzwischen gar nicht mehr im Inland hergestellt – etwa Nitrocellulose für die Sprengstoffproduktion, Schießpulver, Anzündhütchen, Stahlkorpusse für Artilleriegeschosse oder Einlagen für schusssichere Westen. Gleichwohl hat die polnische Rüstungsindustrie viele moderne Neuentwicklungen vorzuweisen, die sich im Ukraine-Krieg bereits bewährt haben. Das Knowhow ist also vorhanden, ein Problem bleibt aber das fehlende Kapital.
Neuentwicklungen der polnischen Rüstungsindustrie (bitte aufklappen)
- Selbstfahrlafette Krab
- Schützenpanzer Borsuk
- Panzermörser Rak
- Panzerturm ZSSW-30
- Feuerleitsystem Topaz
- Aufklärungsdrohnen FlyEye
- tragbares Flugabwehrraketensystem Piorun
- modulares Sturmgewehr Grot
Rüstungseinkäufe oft wenig planmäßig
Und so wird ein Großteil der Ausrüstung nach wie vor im Ausland eingekauft. Doch diese Einkäufe wirken oft chaotisch und wenig undurchdacht. Beispielsweise wurden noch von der PiS-Regierung 288 südkoreanische Mehrfachraketenwerfer vom Typ K239 Chunmoo bestellt, aber nicht ausreichend passende Raketen dazu. Wobei die Lagerkapazitäten gar nicht reichen würden, wenn man genug Raketen bestellt hätte. Denn moderne Munition kann nicht in der erstbesten Kasernengarage gelagert werden. Damit sie über die vorgesehene Lebensdauer von 20-30 Jahren einsatzfähig bleibt, müssen Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den Räumen konstant bleiben.
Sicherlich sind diese Probleme zum Teil auf die neue sicherheitspolitische Situation in Europa nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zurückzuführen. Angesichts der russischen Bedrohung will Polen schnell aufrüsten und besorgt sich das, was gerade auf dem Markt verfügbar ist.
Daraus folgt aber zum Teil ein weiteres Problem: Es gibt beim vorhandenen Militärgerät zu viele unterschiedliche Fabrikate. Allein bei den Kampfpanzern gibt es vier unterschiedliche Fahrzeugtypen westlicher Produktion und zwei aus Ostblock-Zeiten. Ähnlich bunt durcheinandergewürfelt ist die Hubschrauber- und Flugzeugflotte. Das steigert die Kosten und erschwert die Logistik, weil viele Ersatzteile vorgehalten und die Mannschafen an mehreren Systemen geschult werden müssen.
Wie steht es also, alles in allem, um die drittgrößte Armee der NATO? Die Modernisierung und der Ausbau der polnischen Streitkräfte werden langsam Realität. Mit Betonung auf "werden", denn allen imposanten Zahlen zum Trotz, ist das ein lang andauernder Prozess. In Sachen Entschlossenheit und Konsequenz angesichts einer immer unsicheren Welt können die Polen aber auf jeden Fall ein Vorbild sein.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 18. Januar 2025 | 11:17 Uhr