Junge Frau mit Maske und Smartphone in der Fußgängerzone
Künftig sollen in Estland Menschen ihren Impfpass direkt auf das Smarthone laden und beim Besuch von Läden, Restaurants und öffentlichen Einrichtungen vorzeigen können. Bildrechte: imago images / Sven Simon

Auf dem Smartphone Estland führt ersten digitalen Impfpass Europas ein

19. März 2021, 10:48 Uhr

Während die EU Mitte März erst ihre Pläne zu digitalen Impfpässen vorgelegt hat, hat Estland bereits eine fertig entwickelte Impfpass-App. Derzeit wird sie getestet, noch diesen Monat sollen alle Bürger:innen des Landes sie nutzen können. Für Geimpfte fallen dann viele Einschränkungen im Alltag weg. Dabei baut das Land auch auf seine weit entwickelte digitale Infastruktur, die Deutschland um Jahre voraus ist.

Wer in Estland eine Impfung gegen Covid-19 erhalten hat, soll künftig ein digitales Impfzertifikat bekommen. Dieses kann man sich dann als App auf das Smartphone herunterladen. Damit sollen Beschränkungen im Alltag wegfallen und Besuche in Fitnessstudios, Kinos oder Theatern wieder möglich werden. Vor dem Betreten eines Restaurants wird dann der Impfstatus und der Personalausweis geprüft. Die App gibt lediglich Auskunft über den Impfstatus und soll so der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprechen.

Entwickelt hat das Projekt das estnische Unternehmen Guardtime in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bereits seit Januar wird der digitale Impfausweis in einem Pilotprojekt getestet. Bis Ende des Monats soll es eingeführt werden, kündigte ein Unternehmenssprecher an. "Die Entwicklungen in Estland sind jetzt sehr weit fortgeschritten", sagt der in Tallinn lebende Politikwissenschaftler Florian Hartleb. Außerdem sei der digitale Impfpass entscheidend, um künftig wieder Reisefreiheit zu ermöglichen.

Schnellere Impfung durch Impfpass

Denn Estland ist schwer von der Corona-Pandemie betroffen. Am 24. Februar wurde Estland vom Robert-Koch-Institut (RKI) als Hochinzidenzgebiet eingestuft. Aktuell liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 758, fast zehnmal so hoch wie in Deutschland. In Estland breitet sich vor allem die südafrikanische Mutation des SARS-CoV-2-Erregers schnell aus.

Erst 3,3 Prozent der gut 1,3 Millionen Esten haben bereits beide Impfungen erhalten, in Deutschland sind es 3,6 Prozent der Bevölkerung. Bislang kämpft auch Estland mit Schwierigkeiten beim Impfprozess: etwa durch eine unübersichtliche Impfstoffverteilung, Terminvergabe und Datenübermittlung.

Nun erhoffen sich die Regierung in Tallinn und die WHO, den Impfprozess zu beschleunigen, nicht nur in Estland. Denn zusammen mit dem Zertifikat hat das Unternehmen Guardtime ein Programm namens VaccineGuard entwickelt, das den einfachen Austausch von Gesundheitsdaten zwischen den Systemen von Gesundheitsämtern, Krankenhäusern und Impfstoffherstellern ermöglicht - auch zwischen verschiedenen Ländern.

Die Software unterstützt beim Impfprozess, gibt Auskunft über Impfstoffengpässe und regelt die Terminvergabe der Patienten. VaccineGuard soll global einsetzbar sein. Außerdem wurden Rahmenbedingungen für die künftige rein digitale Verschreibung und Ausgabe von Medikamenten entwickelt. Neben Estland testen Ungarn und Island das System in den kommenden sechs Monaten.

Vorreiter Estland und Israel

Estland wäre nicht das erste Land mit einem digitalen Impfpass. Israel hat am 21. Februar einen digitalen Impfpass eingeführt, den Grünen Impfpass. Geimpfte und Genesene genießen im Land bereits Sonderrechte. Sie rufen beim Betreten eines Fitnessstudios oder Restaurants das Impfzertifikat auf ihrem Smartphone auf und müssen es zusammen mit ihrem Personalausweis vorlegen. Israel will damit Anreize zum Impfen schaffen. Bereits 48,6 Prozent der Bevölkerung sind dort geimpft.

Deutschland hingegen hat erst am 9. März die Entwicklung eines digitalen Impfpasses in Auftrag gegeben. Das US-Unternehmen IBM soll zusammen mit den deutschen IT-Unternehmen Bechtle und Ubrich einen Impfpass in Form eines QR- Codes entwickeln. Das Gesundheitsministerium will diesen noch vor den Sommerferien einführen.

Im Gegensatz zu Estland und Israel sollen Geimpfte in Deutschland dann jedoch keine Sonderrechte genießen. Zumindest, solange noch nicht allen Erwachsenen ein Impfangebot gemacht wurde. Der Ethikrat befürchtet, dass sich weniger Menschen an die Beschränkungen halten, wenn diese für einen Teil der Bevölkerung bereits aufgehoben sind.

Am Mittwoch legte auch die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag zum digitalen Impfpass vor. Demnach sollen die Mitgliedssstaaten gezwungen werden, noch vor den Sommerferien entsprechende Zertifikate für das Smartphone anzubieten, die auch in anderen Mitgliedsländern ausgelesen werden können.

Konsequente Digitalisierung in Estland

Estland kann bei der Entwicklung und Einführung der neuen Systeme im Gesundheitssektor auch auf seine fortschrittliche digitale Infrastruktur zurückgreifen. Seit 20 Jahren baut das Land konsequent seine digitale Verwaltung aus. Estland ist digitaler Vorreiter Europas und bezeichnet sich selbst auch als e-Estonia. Das Land hat ein verfassungsmäßiges Grundrecht auf Internet und fast alle Behördengänge können digital erledigt werden.

Grundlage dafür ist die sogenannte Smart ID, eine persönliche Identifikationsnummer, über die die Daten jedes Esten miteinander verknüpft sind: etwa der Personalausweis, Führerschein und die Versichertenkarte. Fast alle staatlichen Dienstleistungen sind damit online zugänglich. Esten können online wählen, ihre Steuererklärungen einreichen oder Fördergelder beantragen. Lediglich zur Hochzeit, Scheidung und einer Beglaubigung vom Notar ist der Gang zu einer Verwaltungsstelle nötig.

"Der digitale Impfpass führt diese Philosophie Estlands fort. Nämlich, dass man das sektorenübergreifende Gesundheitssystem installiert hat und das Daten von bis zu 20 Systemen zusammengeführt werden", sagt der Politikwissenschaftler Florian Hartleb.

Keine Angst um Datensicherheit

In Estland herrsche kaum Angst um die Datensicherheit, sagt der Politikwissenschaftler Hartleb. Außerdem sei das Gesundheitssystem schon lange digitalisiert und die Nutzerzahlen in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Digitalisierung vereinfache das Leben von Menschen. Die estnische Bevölkerung habe Erfahrung und Vertrauen in das digitale Verwaltungswesen, sagt Hartleb: "Von daher muss man hier nicht mehr mit Akzeptanzproblemen kämpfen."

Dabei helfen auch die bisherigen Erfahrungen bei der Entwicklung solcher digitalen Staatsdienste. So arbeitet der Impfpassentwickler Guardtime bereits seit 2008 mit der Blockchain-Technologie, auf der Estlands digitale Infrastruktur basiert. Die Datensätze sind bei dieser Technologie wie Ketten aneinandergereiht, ein Glied in der Kette kann nicht unbemerkt verändert werden. Dadurch ist die Nutzung der Daten der Einwohner transparent, sicher vor Cyberangriffen und flexibel auf andere Systeme anwendbar.

Digitale Dienste auch für Ausländer

Seit 2014 bietet Estland mit der e-Residency seine elektronische Identität auch für Nicht-Esten an und möchte so vor allem Unternehmer und Startups ins Land locken. Der rein digitale Service ist jedoch nicht mit einer Aufenthaltsgenehmigung oder einer Staatsbürgerschaft gleichzusetzen.

Durch die e-Residency erhalten Interessierte jedoch eine eigene Smart-ID. Mit der können sie zum Beispiel online Mietverträge unterschreiben, Bankkonten eröffnen oder ein Unternehmen in Estland gründen. Dieses lässt sich dann von überall auf der Welt verwalten und dabei die digitalen Services in Estland nutzen. Steuern müssen aber weiterhin im Wohnsitzland des e-Bürgers bezahlt werden. Seit ihrer Einführung im Dezember 2014 haben bereits 70.000 Menschen eine e-Residency erhalten.

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Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell Radio | 17. März 2021 | 06:00 Uhr

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