Klaus von Dohnanyi
Klaus von Dohnanyi hat im Gespräch mit MDR AKTUELL die Rolle des Westens im Ukraine-Konflikt kritisiert. Bildrechte: IMAGO / Rüdiger Wölk

Gespräch mit MDR AKTUELL SPD-Politiker Dohnanyi: Westpolitik war immer Problem für Russland

26. Februar 2022, 18:47 Uhr

Für SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi trägt der Westen eine Mitschuld am aktuellen Ukraine-Krieg. Zusagen, die Nato nicht Richtung Osten zu erweitern, seien gebrochen worden, sagte der 93-Jährige im Gespräch mit MDR AKTUELL. Vor Waffenlieferungen oder einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine warnte Dohnanyi. Die Aussagen Dohnanyis zu historischen Zusagen des Westens greifen ein umstrittenes Narrativ auf.

Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi sieht eine Mitschuld des Westens am aktuellen Ukraine-Krieg. Dohnanyi sagte im Gespräch mit MDR AKTUELL, nach seiner Einschätzung bewege Wladimir Putin ein seit Langem aufgestauter Zorn auf den Westen. Die westliche Politik seit 1990 stelle für Russland ein Problem dar: "Wenn man das nicht anerkennt, dann sieht man einfach nicht die Fakten und dann kann man auch nicht verstehen, was eventuell was ausgelöst hat." Man habe Putin keine Entschuldigung, aber einen Vorwand für den Krieg gegeben.

Dohnanyi: Zusagen wurden gebrochen

Dohnanyi verwies darauf, dass 1990 der damalige US-Außenminister James Baker in Moskau zugesagt habe, die Nato nicht über Ostdeutschland hinaus zu erweitern. Erst auf dieser Grundlage habe der damalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow der deutschen Währungsunion und damit auch der Wiedervereinigung zugestimmt. Der Vermerk Bakers liege bei den Akten, so Dohnanyi: "Wer das bestreitet, kennt die Akten nicht oder leugnet die Akten."

Gleichzeitig betonte Dohnanyi, die Politik des Westens erlaube Putin nicht, einen Krieg gegen die Ukraine zu führen. Niemand könne das wirklich verstehen oder erklären: "Es war völlig unnötig, es war auch ein Verbrechen, einen Krieg jetzt zu beginnen ohne wirklichen Anlass." Die aktuelle Lage sei aber das Ergebnis einer westlichen Politik, die Russland an die Seite Chinas gedrängt habe, so Dohnanyi: "Wir haben jetzt eine völlig verquere Situation, dass ein chinesischer Präsident sich darum kümmert, ob die Ukraine in die Nato aufgenommen werden kann."

Warnung vor "großem Krieg in Europa"

Dohnanyi sagte, er wisse nicht, was der Westen aktuell "vernünftigerweise" tun könne abseits der von der EU und den USA beschlossenen Sanktionen gegen Russland. Gleichzeitig warnte er davor, die Ukraine jetzt mit Waffen zu unterstützen oder in die Nato aufzunehmen: "Dann gibt es den großen Krieg in Europa." Auch der damalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, habe schon 2018 vor einem Nato-Beitritt der Ukraine gewarnt.

Der 93-jährige Dohnanyi war von 1972 bis 1974 Bildungs- und Wissenschaftsminister im Kabinett von Willy Brandt sowie von 1976 bis 1981 Staatssekretär im Auswärtigen Amt. In diese Zeit fällt die Neue Ostpolitik der westdeutschen Bundesregierung, die unter dem Schlagwort "Wandel durch Annäherung" eine Verständigung mit den Staaten des damaligen Ostblocks suchte.

Jahrzehntelanger Streit über NATO-Erweiterung

Mit seinen Aussagen positioniert sich Dohnanyi in einem seit Jahrzehnten andauernden Streit darüber, ob der Sowjetunion bei den so genannten Zwei-plus-Vier-Gesprächen 1990 zugesichert wurde, die Nato nicht nach Osteuropa zu erweitern. Unbestritten ist, dass US-Außenminister Baker gegenüber Gorbatschow versprach, die Nato werde im Falle einer deutschen Einheit "nicht einen Zoll in östliche Richtung ausgedehnt" werden. Das geht aus dem von Dohnanyi erwähnten Vermerk von Bakers Ministerium hervor. Damit war, wie aus dem Gesprächskontext hervorgeht, freilich das Gebiet der damaligen der DDR gemeint. 1990 existierte noch der Warschauer Pakt: Eine Nato-Mitgliedschaft etwa Polens oder Ungarns war zu diesem Zeitpunkt also noch gar nicht vorstellbar. Die Zusage Bakers wurde eingehalten: Bis heute gibt es keine Nato-Stützpunkte in den neuen Bundesländern.

Gleichzeitig gab es in der Tat andere mündliche Zusagen, etwa vom damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher, die sich nicht auf das Gebiet der DDR, sondern ganz Osteuropa beziehen. Genscher sagte im Januar 1990 etwa: "Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben." Genscher sprach jedoch nicht im Namen der Nato, und auch der Zwei-plus-Vier-Vertrag vom September 1990 enthält keine entsprechende Zusage.

MDR AKTUELL(jan)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 26. Februar 2022 | 11:30 Uhr

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