Energiearmut Bulgarien: Wenn das Geld zum Heizen fehlt

09. November 2021, 05:00 Uhr

Mehr als ein Viertel der Menschen in Bulgarien konnte 2020 aus Geldmangel nicht genügend heizen. Jetzt steigen die Energiepreise. Auch wer auf Alternativen wie eine Holzheizung umgestiegen ist, muss jetzt große Preissteigerungen beim Heizmaterial hinnehmen. Trotz Regulierung und Unterstützung seitens der Regierung sorgen sich die Bulgaren angesichts des kommenden Winters. Zusammen mit der politischen Krise und der vierten Corona-Welle ergibt das enormen Zündstoff.

Winter in Sofia
Nicht in jeder Wohnung in Sofia wird es im Winter warm genug. Bildrechte: imago images/ARTURHAKOBYAN

Angesichts kräftig steigender Energiepreise müssen immer mehr Menschen ihre Heizung drosseln. In Deutschland ebenso wie in vielen anderen Ländern Europas. Doch nirgendwo in der EU ist die Angst vor der Heizrechnung wohl so groß wie in Bulgarien. Das zeigt die Armutsstatistik von Eurostat, in der Bulgarien ganz oben steht: 27 Prozent der Bulgaren gaben dort zuletzt an, ihr Zuhause nicht angemessen heizen zu können – aus Geldmangel. Besonders Ältere und Geringverdiener ächzen unter den extremen Energiepreisen, ebenso kinderreiche Familien. Angesichts von Renten um die 250 Euro und einem Mindestlohn von 340 Euro müssen sie stärker als alle anderen auf ihre Heizkosten achten.

Wie man in Bulgarien heizt, hängt sowohl vom Wohnort und als auch vom Geldbeutel ab. Wenn es wie in der Hautptstadt Sofia ein Fernwärme-System gibt, heißt das aber nicht automatisch, dass alle Einwohner einfach die Heizung aufdrehen. Finanzskandale bei den Stadtwerken und steigende Preise ließen viele Einwohner auf andere Heizmethoden umsteigen. So betreiben Bulgaren häufig Klimaanlagen, um ihre Wohnungen zu heizen, sind dadurch aber den Schwankungen der Strompreise ausgeliefert.

Der Staat reguliert die Energiepreise

Allerdings werden die steigenden Energiepreise nicht ungebremst an private Verbraucher weitergegeben, denn die Strom- und Gaspreise für private Haushalte reguliert in Bulgarien bisher noch der Staat. Einmal im Jahr legt die Kommission für Energie- und Wasserregulierung (KEWR) die Preise für die Endverbraucher fest. Zuletzt erhöhte sie den Strompreis im Juli dieses Jahres um etwa fünf Prozent. In Jahren mit außergewöhnlichen Preissprüngen passt die KEWR aber auch im Januar die Strompreise noch einmal an. So erwartet man in Bulgarien Anfang 2022 einen Anstieg um etwa fünf bis zehn Prozent, berichtet Ostbloggerin Vessela Vladkova aus Sofia im MDR-Gespräch.

Auto eingeschneit
Kalte, schneereiche Winter sind in Bulgariens Gebirgen nicht selten. Bildrechte: imago images/CTK Photo

Eigentlich bemüht sich der bulgarische Staat, die Heizsysteme im Land zu modernisieren. Auch mit Unterstützung europäischer Gelder fördert die Regierung Haushalte, die etwa von Kohle- und Holzheizungen auf nachhaltigere Technologien umsteigen. Doch auch wer in jüngster Zeit eine modernere Gasheizung installiert hat, hat jetzt das Nachsehen, denn beim Gas sind die Preissprünge noch um ein einiges drastischer als beim Strom. Bulgarische Medien berichteten im Oktober, dass die Gaspreise um 280 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind. Und das, obwohl die Regulierungsbehörde quasi als Puffer zwischen den Marktpreisen und Verbrauchern steht.

Staatliche Hilfen bei den Heizkosten

Dass viele der knapp sieben Millionen Bulgaren im Winter nicht ausreichend heizen können, ist in Bulgarien nicht neu. 2008 gaben in einer Erhebung von Eurostat zwei Drittel der Bevölkerung an, sich es nicht leisten zu können, ihr Zuhause ausreichend warm zu halten. Im Jahr 2013 gingen die Bulgarinnen und Bulgaren sogar massenhaft auf die Straße, um gegen hohe Energiepreise zu demonstrieren. In der Folge trat die damalige Regierung unter Premier Bojko Borissow zurück. Da verwundert es nicht, dass der bulgarische Staat auch heute noch die Preise für Privatverbraucher reguliert.

Bulgarien Energiekrise Heizen Protest
Bereits im Oktober hat es in Sofia Proteste gegen steigende Energiepreise gegeben. "Nein zur Energiesklaverei" steht auf einem Plakat. Bildrechte: imago images/NurPhoto

In Deutschland gibt es Heizzulagen für Menschen, die Wohngeld oder Arbeitslosengeld II beziehen. In Bulgarien können ärmere Haushalte ebenfalls staatliche Unterstützung fürs Heizen beantragen. In diesem Winter stehen jedem der 350.000 Bezieher insgesamt etwa 270 Euro zu – die Regierung hatte den Betrag in den vergangenen Jahren stetig angehoben. Plamen Dimitrow ist Vorsitzender des größten bulgarischen Gewerkschaftsbundes. Er forderte angesichts der zunehmenden Geldsorgen selbst der arbeitenden Bevölkerung, die Armutsgrenze in Bulgarien nach der Methode von Eurostat zu berechnen. Damit könnten künftig viel mehr Menschen als bisher Sozialleistungen und somit auch eine Heizzulage erhalten. Angesichts der steigenden Energiepreise sei es jetzt außerdem geboten, den Betrag dieser Unterstützung für die Heiz-Saison 2021/22 noch einmal anzuheben.

Dreifache Krise hat Bulgarien im Griff

Doch die explodierenden Energiepreise sind nicht das einzige Problem Bulgariens. Tatsächlich hat eine mehrfache Krise das Land im Griff: eine wirtschaftliche, politische und die Corona-Krise, die gerade wieder Fahrt aufgenommen hat. Momentan kann dagegen lediglich eine Übergangsregierung angehen, denn bereits zwei Parlamentswahlen in diesem Jahr haben keine regierungsfähigen Mehrheiten ergeben.

Für den 14. November werden die Bulgaren nun das dritte Mal innerhalb eines Jahres an die Wahlurnen gebeten. Ostbloggerin Vessela Vladkova spricht angesichts der dreifachen Krise von einer sehr angespannten Situation, die Unzufriedenheit der Bulgaren mit ihrer politischen Elite schwele schon zu lange Zeit. Falls es nicht gelinge, nach der kommenden Wahl eine Koalitionsregierung zu bilden, könnten die Energiepreise wie im Jahr 2013 zu einem Katalysator für Proteste werden. Falls also weiterhin niemand im Land die politische Verantwortung übernimmt, wird es ein harter und protestreicher Winter für die Bulgaren.

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Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm: MDR Fernsehen | 28. August 2021 | 19:50 Uhr

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