Neuwahlen Bulgarien: Klappt es diesmal mit einer Regierung?

10. Juli 2021, 12:40 Uhr

Bulgarien wählt am Sonntag ein neues Parlament – zum zweiten Mal in diesem Jahr. Nach der Wahl im April war keine Regierung zu Stande gekommen. Der Ausgang ist erneut ungewiss, denn die politischen Lager sind unversöhnlich. Zum Wahlentscheider könnte ein unberechenbarer TV-Showmaster werden.

Vessela Vladkova
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Ein Wähler gibt seinen Stimmzettel während der Parlamentswahl in Bulgarien ab
Ein Bulgare bei der Stimmabgabe im April. Nun darf er zum zweiten Mal in diesem Jahr das Parlament wählen. Bildrechte: picture alliance/dpa/AP | Visar Kryeziu

Kaum hatten die bulgarischen Wähler am 4. April gesprochen, da zeichneten sich auch schon Neuwahlen ab. Noch am Wahlabend war abzusehen, dass es im zersplitterten Sechs-Parteien-Parlament wegen gegenseitiger Abneigungen und Ausschlusskriterien keine Chance auf eine Regierungsmehrheit gibt.

Die bürgerliche GERB-Partei von Ex-Ministerpräsident Bojko Borissow war zwar aus den Wahlen als stärkste Kraft hervorgegangen, aber keine der anderen fünf Fraktionen wollte mit ihr zusammenarbeiten. Eine Mehrheit für eine andere Regierung fand sich aber ebenso wenig - eine politische Pattsituation.

Verfeindete Lager und eine Wild Card

"Im nächsten Parlament wird es nicht einfacher werden", sagt der Politikwissenschaftler Antonij Galabow von der Neuen bulgarischen Universität in Sofia. Denn auch jetzt stehen sich die Lager unversöhnlich gegenüber. So heißt es: Borissows GERB gegen alle anderen.

Unter "den anderen" hat die populistische Formation Ein Volk (ITN) des TV-Showmasters Slawi Trifonow, der politisch völlig unberechenbar ist, die Nase vorn. Seine ITN hat neben der Ablehnung Borissows kaum eigene politische Inhalte, sie ist eine reine Protestpartei. Trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass ITN am Sonntag die stärkste Kraft im Parlament werden könnte. Das Meinungsforschungsinstitut Trend prognostiziert ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen GERB (21,7 Prozent) und ITN (20,2 Prozent).

Zum Anti-GERB-Lager gehören außerdem die bürgerliche Koalition Demokratisches Bulgarien und das nicht einzuordnende Protestbündnis "Steh auf", das sich während der Anti-Regierungsproteste im vergangenen Sommer gegründet hat.

Ein politischer Dauergegner von GERB ist außerdem die sozialistische Partei BSP. Die jüngsten Umfragen deuten jedoch nicht darauf hin, dass diese Anti-GERB-Parteien bei den Wahlen am Sonntag zusammen eine Regierungsmehrheit erreichen.

Außerdem wird die liberale Wirtschaftspartei der bulgarischen Türken (DPS) aller Voraussicht nach mit 10,9 Prozent ins Parlament einziehen. Doch sie hält sich bedeckt, ob sie eine Anti-GERB-Regierung unterstützen würde.

Das Parlament in Sofia
Hier herrschen ungewisse Mehrheiten: das Parlamentsgebäude in Sofia. Bildrechte: IMAGO / Rainer Unkel

Korruptionsbekämpfung als Machtkalkül

Derweil stellt der Politikwissenschaftler Galabow der politischen Kultur im Land schlechte Noten aus: "Es wird kein Wahlkampf geführt, sondern nur ein Kampf der Übergangsregierung gegen die abgewählte Regierungspartei GERB".

Seit dem Scheitern der Regierungsbildung im April wird Bulgarien von einer Übergangsregierung geführt, eingesetzt vom von den Sozialisten unterstützten Präsident Rumen Radew. Eigentlich soll die Übergangsregierung vorrangig die Neuwahlen organisieren. Stattdessen machte sie es zur Priorität, zahlreiche Missstände der Vorgängerregierung von Langzeit-Premier Bojko Borissow zu enthüllen.  

Bei den Vorwürfen geht es um die unzulässige Vergabe von Krediten, Ungereimtheiten bei der Auftragsvergabe für den Bau einer Autobahn und den Vorwurf, die Regierung habe Oppositionspolitiker abgehört. Anklagen oder gar Urteile gab es in diesen Fällen jedoch nicht. Bislang basieren die vermeintlichen Skandale nur auf Vorwürfen der neuen Übergangsregierung.

Politikexperte Galabow glaubt daher, dass es der Übergangsregierung bei diesen Enthüllungen weniger um die wirksame Bekämpfung der Korruption und Vetternwirtschaft geht, die unter der langjährigen Regierung von Ex-Premier Borissow entstehen konnte. "Vielmehr wollen die neuen Politiker den Platz von Borissow einnehmen", so der Politologe. Er glaubt, es handle sich um ein reines Wahlkampfmanöver.

Korruptionsenthüllungen machen in Bulgarien die Runde

Dabei gibt es in der Korruptionsbekämpfung genug zu tun: Anfang Juni verhängten die USA weitreichende Sanktionen gegen drei exponierte bulgarische Geschäftsleute und 64 ihrer Unternehmen. Der Vorwurf der Bestechlichkeit betrifft unter anderem EU-Gelder, die in den Händen der bulgarischen Mafia und mächtiger Oligarchen gelandet sein sollen.

Plakat mit dem Gesicht von Premierminister Bojko Borissow, gehalten von einem Demonstranten während der Demonstration.
"Mafia-Schwein": Gegen die Regierung von Premier Borissow hatte es wegen Korruptionsvorwürfen zuletzt massive Proteste gegeben. Bildrechte: imago images/ZUMA Wire

"In Bulgarien wird die Korruption leider einfach hingenommen", sagt Antonij Galabow: "Auch über 30 Jahre nach der Wende kann sich keine kritische Masse in der Bevölkerung bilden, die dieses politische Modell abschafft und eine Richtungsänderung in der Politik herbeiführt."

Steigende Wahlbeteiligung trotz großem Frust

Und so sitzt bei den Bulgaren der Ärger über die politischen Verhältnisse im Land tief. Die Meinungsforscher glauben aber, dass die für Bulgarien typische politische Apathie allmählich überwunden wird. Die Bulgaren seien mittlerweile eher geneigt, an die Wahlurnen zu gehen, weil sie sich eine Richtungsänderung in der Politik herbeiwünschen. Dennoch seien viele frustriert, weil sich wieder eine Pattsituation im Parlament abzeichnet.

Eine höhere Wahlbeteiligung könnte vor allem die von der ITN angeführten Anti-GERB-Parteien nutzen und ihr eine knappe Mehrheit verschaffen, sagen Beobachter. Unklar bleibt jedoch, welche Ergebnisse die Koalitionsverhandlungen dann bringen könnten. Die Unberechenbarkeit der ITN könnte das Land in eine Dauerkrise stürzen. Und selbst wenn Wahl und Verhandlungen klappen: Wie lange ein Fünfer-Bündnis hält, dessen einzige inhaltliche Übereinstimmung die Ablehnung des Ex-Ministerpräsident Bojko Borissow ist, kann derzeit niemand prognostizieren.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL RADIO | 09. Juli 2021 | 16:47 Uhr

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