Strafvollzug Ukraine: Zellen-Upgrade im Untersuchungsgefängnis
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03. Juni 2020, 14:28 Uhr
In Kiews 160 Jahre altem Untersuchungsgefängnis "Lukjaniwska" sitzen die Häftlinge oft zu zwölft in einer Zelle: Die Etagenbetten sind durchgelegen, die Toilette ist ein Loch im Boden. Jetzt gibt es vom Staat ein neues Angebot für zahlende Häftlinge: renovierte 4-Mann-Zellen. Das Angebot ist eine Antikorruptionsmaßnahme des Justizministeriums. Bessere Haftbedingungen werden in ukrainischen Gefängnissen nämlich oft schwarz erkauft.
Ein heller, luftiger Raum, vier Einzelbetten, ein Badezimmer, Kühlschrank, Geschirr, Mikrowelle und Wasserkocher - sogar einen Fernseher und eine Klimaanlage gibt es hier. Was eine TV-Reporterin da zeigt, ist eine der neuen, renovierten Zellen in Kiews berüchtigtem Untersuchungsgefängnis Lukjaniwska. Keine Hotelzimmer und Einzelbelegung ist auch nicht drin, aber verglichen mit dem, was üblich ist, schon fast luxuriös: Normalerweise sieht es in dem Gefängnisgebäude oft so aus: hallende Korridore, Putz und Farbe bröckeln von den Wänden, in dunklen, beengten Zellen, vollgestellt mit Etagenbetten, hausen oft bis zu zwölf Männer. In einer Ecke, hinter einem improvisierten Plastikvorhang: eine einzige Hocktoilette, nicht vielmehr als ein Loch im Boden. Das Gefängnis ist 160 Jahre alt.
Upgrade gegen Aufpreis
Nun können sich die Häftlinge in einen frisch renovierten Trakt verlegen lassen. Für eine Nacht, eine Woche, einen Monat. Die Nacht kostet umgerechnet etwa 70 Euro, der Monat gut 400 Euro – Ein Upgrade, ganz offiziell. Die Häftlinge, die die Fernsehreporterin befragt, sind skeptisch: "Das kann sich natürlich nicht jeder leisten", meint ein Schlaksiger in schwarzem T-Shirt, blass, kahlgeschoren. Ein anderer, auch er kahlgeschoren, versteht das "Angebot" nicht: "Im Gefängnis sitzen und dann auch noch dafür bezahlen. Wozu soll das denn gut sein?!"
Korruption hinter Gittern
Die Offerte ist eine Initiative des ukrainischen Justizministeriums, zumindest für die Untersuchungsgefängnisse. Kiew ist erst der Anfang. Das Upgrade in der Untersuchungshaft gegen Miete wird derzeit auch in Lwiw im Westen und in Tschernihiw im Norden der Ukraine erprobt. Odessa im Süden und Charkiw im Osten sollen womöglich bald folgen. Für Olena Wysozka, Vize-Justizministerin der Ukraine, ist das eine Anti-Korruptionsmaßnahme. "Wir wissen, dass es hier sehr unterschiedliche Gefängniszellen gibt. Und dass die einen Gefangenen in die einen Zellen kommen und andere in bessere mit besseren Bedingungen. Das alles läuft nicht sehr transparent ab. Und wir vermuten, dass da Korruption dahintersteckt", erklärt sie der Fernsehreporterin. Immer wieder hat es in der Vergangenheit Berichte darüber gegeben, dass Gefangene in der Ukraine den Justizvollzugsbeamten Bestechungsgelder für bessere Haftbedingungen bezahlen.
Reform- und Sanierungsbedarf
Miete zahlen im Gefängnis gegen Korruption? Serhij Starenkyj, der frühere Chef der ukrainischen Justizvollzugsbeamten und Ex-Chef der Haftanstalt, hält das für abwegig. Er kritisiert: "Das ist doch keine Reform. Das ist bloß das offizielle Eingeständnis, dass es bei uns finanzielle Diskriminierung gibt. Und, dass die Haftbedingungen bei uns in der Untersuchungshaft, aber auch sonst nicht angemessen sind."
Menschenrechtsgruppen wie die ukrainische NGO "Free Zone" beklagen schon lange, viele ukrainische Gefängnisse seien dringend sanierungsbedürftig, es fehle an angemessener Lüftung und Heizung, das Trinkwasser sei oft ungenießbar, das Essen unzureichend, ebenso die medizinische Versorgung. Eine Brutstätte für "Covid19": bisher sind offiziell 20 Infektionsfälle gemeldet. Ukrainische Medien berichten immer wieder von vereinzelten Fällen von Überbelegung, Schimmel an den Wänden und Ungeziefer in den Zellen, von Erniedrigung und Gewalt durch das Vollzugspersonal.
Immerhin: Sollte man im Kiewer Untersuchungsgefängnis Lukjaniwska tatsächlich nennenswertes Geld aus der Vermietung der neuen, renovierten Zellen einnehmen, dann will man das investieren: Das ganze 160 Jahre alte Gefängnisgebäude soll auf Vordermann gebracht werden.
Das Zellen-Upgrade läuft zunächst als Pilotprojekt bis 2021. Es soll allerdings auf das Untersuchungsgefängnis beschränkt bleiben und sich nicht auf den regulären Vollzug ausweiten.
Dieses Thema im Programm: BRISANT | 22. Mai 2020 | 17:15 Uhr