Umweltverschmutzung Serbien: Der grüne Aufstand
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04. Mai 2021, 14:30 Uhr
In Serbien ist es plötzlich cool geworden, für saubere Luft oder einen lokalen Park zu kämpfen, den ein Wohnblock ersetzen soll. Einer der Auslöser ist eine extreme Luftverschmutzung in einigen Regionen des Balkanlandes.
Mülltrennung, Wiederverwertung, Umwelt, Ökologie, Verpestung, Klimawandel: Jahrzehnte lang beschäftigte sich die serbische Gesellschaft überhaupt nicht mit solchen Begriffen. Man kam einfach nicht dazu. Das Land litt unter Kriegen, dem internationalen Wirtschaftsembargo, den Luftangriffen der Nato. Und dann folgte der mühselige Wiederaufbau der ruinierten Wirtschaft und der zertrampelten Demokratie.
Doch das änderte sich in den vergangenen Jahren abrupt. Plötzlich sind es nicht mehr nur "grüne Spinner", die gegen Luftverschmutzung und den Erhalt eines lokalen Parks kämpfen. Als rund 60 Umweltorganisationen aus dem ganzen Land Anfang April zum "Ökologischen Aufstand" in Belgrad aufriefen, schlossen sich Tausende Serben dem Massenprotest an. Sie forderten die Regierung auf, alle umweltgefährdende Projekte einzustellen, hart gegen alle vorzugehen, die sich nicht an ökologische Vorschriften halten und kündigten einen unerbittlichen Kampf für "unsere Luft, unsere Flüsse und Wälder" an. Ein Demonstrant sprach vom "ökologischen Aufwachen der Serben".
Kampfankündigung
Während oppositionelle politische Parteien überwältigt vom autokratischen serbischen System fast unsichtbar geworden sind, sieht sich die regierende Machtgarnitur auf einmal gut organisierten, gut vernetzten und vor allem sehr motivierten grünen Aktivisten gegenüber, die sich ihren umweltschädlichen wirtschaftlichen Interessen in die Quere stellen.
Eine direkte Konfrontation mit Umweltorganisationen hat die Regierung in Belgrad bisher vermieden. "Umweltprobleme sind Probleme der ersten Welt", so reagierte Ministerpräsidentin Ana Brnabić auf den "Ökologischen Aufstand". Wenn Menschen keine sozialen Probleme hätten, hätten sie die Zeit sich um die Umwelt zu sorgen. Und dass es den Serben wirtschaftlich so glänzend gehe, hätten sie natürlich ihrer Regierung unter der Führung von Staatspräsident Aleksandar Vučić zu verdanken, lautete die Botschaft von Brnabić. Sie wies die Anschuldigung zurück, dass dem Staat die Umwelt gleichgültig sei.
Nicht zu tief einatmen
Die vereinten Umweltorganisationen Serbiens kündigten nichts desto trotz einen gemeinsamen Kampf überall dort an, wo die Umwelt bedroht wird. Und an Kampfplätzen wird es nicht fehlen. In Belgrad beispielsweise sollte man oft lieber auf einen Spaziergang verzichten. Es kommt schon mal vor, dass man draußen die Luft buchstäblich sehen und riechen kann. Als ich an einem Februarabend zum Wochenmarkt Kalenić in dem zentral liegenden Stadtteil Vračar spazierte, dachte für einen Augenblick, dass ich ersticken würde. Der Smog lag tief, ich atmete etwas Stinkendes und Beißendes ein, das sich kaum als Luft bezeichnen ließ. Der Geruch erinnerte mich an Schwefel, wie ich ihn vom Chemieunterricht in der Grundschule kenne.
Im Winter ist die Luft in der serbischen Hauptstadt besonders verpestet, vor allem weil die Fernwärme aus Kohlekraftwerken stammt, die auch mit minderwertiger Braunkohle betrieben werden. Im Winter verzichte ich deshalb darauf, mein Auto zu waschen. Am nächsten Tag wäre es ohnehin mit einer schwarzen Smogschicht bedeckt.
Am 3. November 2020 löste die App AirVisual einen Luftverpestungsalarm für Belgrad aus. In der App werden Daten aus einer globalen Luftqualitäts-Datenbank gesammelt. Belgrad wurde an jenem Tag als die am meisten verpestete Stadt der Welt eingestuft – noch vor Mumbai und Kalkutta in Indien. An solchen Tagen sehnen sich Belgrader nach dem für die Region charakteristischen Wind Košava, der wie ein von der Natur erschaffenes, riesiges Luftreinigungsgerät Schadstoffe wegbläst und das Atmen wieder zur puren Freude macht.
Umweltunbewusste Chinesen
Dabei haben es Belgrader noch gut, verglichen mit den Einwohnern der "Stadt der schwarzen Dächer" Bor in Ostserbien, in dem das chinesische Unternehmen Zijin Mining das für Serbien strategisch wichtige Kupfer- und Hüttenwerk gekauft hat. Lokale Aktivisten behaupten, dass sich die Chinesen "einen Dreck um die Umwelt kümmern", die Werte von Schadstoffen 13 Mal über dem Erlaubten lägen, die Einwohner "im schwarzen Staub ersticken" und der Staat nichts dagegen unternehme.
Und auch die Einwohner der Stadt Smederevo an der Donau, in der der weltweit drittgrößte Stahlproduzent Hebei Iron and Steel (HBIS) aus China ein Stahlwerk gekauft hat und betreibt, sind leidgeprüft. Die Menschen werden vom dicken, roten Staub geplagt, der alles bedeckt und das Atmen erschwert. Dort setzen sich lokale Aktivisten für den Bau einer "Verpestungsampel" im Zentrum der Stadt ein, die die Luftwerte anzeigen soll.
Laut Weltgesundheitsorganisation und dem serbischen Institut für die öffentliche Gesundheit "Dr. Milan Jovanović Batut" würden in Smederevo jährlich im Schnitt 223 Menschen allein deshalb sterben, weil sie nicht wissen, wann die Luft gesundheitsgefährdend verpestet sei, behauptet die lokale Umweltaktivistin Nataša Rašković.
Der erste Sieg
Die immer lauteren serbischen Umweltaktivisten warnen, dass wegen der "Gier" der Unternehmer und der "unverantwortlichen Umweltpolitik" des Staates nicht nur die Luft verpestet werde, sondern auch Flüsse, Wälder und das Ökosystem in Serbien teilweise bedroht seien.
Besonders erfolgreich in ihrem Kampf für eine saubere Umwelt waren die Aktivisten lange Zeit nicht. Den einzigen großen Sieg feierten serbische Umweltorganisationen, als sie nach jahrelangem Kampf letztes Jahr den Bau von Mini-Wasserkraftwerken im Naturschutzgebiet des Balkangebirges (Stara planina) in Ostserbien verhinderten. Der Staat wich vor der sehr glaubwürdigen Bereitschaft der Aktivisten zurück, auch mit Gewalt ihre Flüsse zu verteidigen. Dieser Sieg sprach sich herum und ermutigte Umweltaktivisten im ganzen Land. "Es wird zu einem allgemeinen Aufstand gegen die Verpestung in Serbien kommen", prophezeit der Umweltaktivist Aleksandar Jovanović Ćuta.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 30. Januar 2021 | 07:15 Uhr