Energiekrise Kohlemangel in Polen: Heizen mit allem, was brennt
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27. September 2022, 14:21 Uhr
Der Kohlemangel ist derzeit ein heikles Thema in Polen. In einem Land, das für 96 Prozent der Kohleproduktion in Europa verantwortlich ist, gibt es in den Kohlelagern lange Schlangen und Wartelisten. Grund ist der Verzicht auf Kohle aus Russland, der in Polen schon im April, knappe zwei Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, vollzogen wurde. Die Regierung verspricht, niemand werde im Winter frieren müssen – doch mit Versprechen kann man nicht heizen.
Von ungefähr 50 Millionen Tonnen Kohle, die in Polen jedes Jahr gefördert werden, taugen nur sieben Millionen Tonnen für die Beheizung der Kohleöfen in den Haushalten. Deshalb mussten die weiteren sieben bis acht Millionen Tonnen aus Russland importiert werden. Trotzdem war Polen mit dem Embargo auf den russischen Rohstoff schneller als die anderen EU-Länder. Für Polen, wo es kaum Russlandfreunde gibt und wo Russland immer als Bedrohung angesehen wurde, war es eine politische, keine ökonomische Entscheidung. Jetzt muss die Lücke, die durch den Importstopp entstand, gefüllt werden, um die rund zwei Millionen Kohleöfen in den polnischen Häusern zu beheizen.
Leere Versprechen der Politiker
Als sich im Sommer lange Schlangen vor den Kohlegruben gebildet haben, war Premierminister Mateusz Morawiecki gezwungen, die Lage im polnischen Parlament zu erklären. Er versuchte, die Schuld für den Kohlemangel auf die EU abzuwälzen und versicherte, dass Polen nun aus anderen Ländern wie etwa Kolumbien, Indonesien und Kasachstan mit Kohle beliefert werde. "Wir tun dies, um die Verluste zu kompensieren, die durch das EU-Embargo gegen russische Kohle entstanden sind", sagte er. Dabei übersah er geflissentlich, dass das EU-Embargo erst seit August gilt, während Polen es auf eigene Faust schon am 13. April verhängt hatte.
Obwohl sich im Juli der Kohlepreis auf den Weltmärkten im Vergleich zum Januar schon verdreifacht hatte, versprach Morawiecki weiter, dass in Polen "der Kohlepreis sinken wird, weil es immer mehr Kohle geben wird." Der Kohlepreis ist aber nicht gesunken, sondern gestiegen. Die Wartelisten bei den polnischen Energieproduzenten und -verkäufern sind nach wie vor lang, auch weil die polnischen Häfen für die Transporte aus den neuen Importrichtungen nicht vorbereitet waren.
Laut verschiedener Schätzungen könnte eine Million von insgesamt 13,6 Millonen polnischer Haushalte ohne Kohlereserve in den Winter kommen. Um die Lage zu entspannen, soll bald jeder Haushalt, der mit Kohle heizt, eine einmalige Zulage von 640 Euro bekommen. Das Geld wird aber nicht viel helfen, wenn es gar keine Kohle zu kaufen gibt.
Die Energiekrise ist ein unbequemes Thema
Mit dem Problem Energieknappheit ist Polen nicht allein. Die Debatten um Energiekrise und Energiesparen sind in vielen Ländern zum Alltag geworden. In Deutschland haben die Politiker kein Problem damit, das Problem mit der Energieversorgung beim Namen zu nennen und Sparmaßnahmen einzuleiten. Die in Polen regierende PiS scheint jedoch zu glauben, dass ein öffentliches Eingeständnis der Energiekrise im Lande dem Image der Partei schaden würde.
Auch PiS-Chef Jaroslaw Kaczyński, der das Land schon jetzt mit Blick auf die Parlamentswahlen 2023 bereist, werden unbequeme Fragen nach der Energieknappheit gestellt. Und auch er versucht, Optimismus zu verbreiten. Anfang September beruhigte er im konservativen Süden seine potenziellen Wähler mit den Worten, sie bräuchten keinen kalten Winter zu fürchten, weil "die Kohle kommen wird und all diejenigen, die es warm haben müssen, sie sicher bekommen werden“.
Was er dann noch hinzufügte, sorgte ganz schnell für Aufregung bei Umweltschützern. "Im Moment muss man mit allem heizen, natürlich nicht mit Reifen und ähnlichen Dingen", sagte Kaczyński und betonte, Polen müsse auf jeden Fall warm gemacht werden.
Polnische Umweltaktivisten schlagen Alarm
Für die Aktivisten vom Polnischen Smogalarm (PAS) sind Kaczyńskis Worte eine Ermunterung zum Heizen mit schädlichen Stoffen – zumal das in Polen ohnehin schon weit verbreitet ist. Und nicht nur das: Häufig wird auch Müll aller Art noch in uralten Öfen verbrannt, die keine Filter haben und deshalb Unmengen krebserregender Substanzen über den Schornstein in die Luft blasen. In Polen soll es rund drei Millionen solcher Öfen geben.
Smogalarm-Aktivist Piotr Siergiej befürchtet, dass in diesem Winter wegen Kohlemangel besonders viel Müll in diesen Öfen landen wird. "Schon jetzt beobachten wir, dass die Abfallmengen nicht mehr in dem Maße wie vor einem Jahr an die Sammelstellen abgeliefert werden", sagt er. Das Gleiche geschehe mit Pappkartons von den Supermärkten, mit alten Möbelstücken oder mit gelben Säcken mit Plastikmüll, die vom Straßenrand verschwinden würden, noch bevor der Müllwagen komme. "Es wird einfach alles gesammelt, was verbrannt werden kann. Das zeigt, dass die Polen den Beteuerungen der Regierung, dass es keine Energiekrise gibt, total misstrauen", sagt er.
Kohleabfälle dürfen nun auch verbrannt werden
Wie groß die Krise sei, zeigt laut Siergiej ein neues Gesetz, dass die Verbrennung von Feinkohle, die als Kohleabfall gilt und auf Halden gelagert wird, wieder legalisiert. Vor zwei Jahren wurde der Verkauf dieses gesundheits- und umweltschädlichen Brennmaterials verboten. "Die Regierung will die Krise schönreden, aber es ist klar, dass diese Lösung nur wegen der Energieknappheit beschlossen wurde", ärgert sich Siergiej.
In Polen, wo etwa 65 Prozent des elektrischen Stroms aus Kohlekraftwerken kommt, dürfen also die Kraftwerke auch schmutzige Kohle von den Halden verwenden, während viele Privathaushalte auf eigene Faust Kohle mit Müll mischen oder einfach die Abfälle verbrennen. Die polnischen Smogwerte gehören schon jetzt zu den höchsten in Europa. In diesem Winter könnte es neue Rekordwerte geben.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 24. September 2022 | 07:30 Uhr