Kohle-Boom in Polen
Hauptinhalt
04. Februar 2020, 12:04 Uhr
Polens Energiewirtschaft ist zu gut 80 Prozent von der Kohle abhängig. Nun will das Land noch mehr fördern, obwohl der Bergbau unrentabel ist und die Polen unter der schlechten Luft im Land leiden.
Ich erinnere mich an die Zeiten, als es hieß, im Bergbau gehen die Lichter aus. Aber hier sehen Sie, dass wir ein neues Bergwerk bauen. Das ist ein sehr guter Tag für die polnische Wirtschaft.
Mit diesen Worten eröffnete die damalige Premierministerin Beata Szydło im Sommer 2016 die Bauarbeiten für ein neues Kohlebergwerk im südpolnischen Jaworzno. Der Termin war ganz im Sinne der Energiepolitik der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Denn die setzt massiv auf den Ausbau der Kohleenergie.
Kohleboom ohne Alternative
Der Kohleboom hat handfeste Gründe. Das Land ist der fünftgrößte Braun- und zehntgrößte Steinkohleförderer der Welt. Etwa 100.000 Jobs hängen direkt am Abbau der Kohle, vor allem in den armen schlesischen Revieren im Süden des Landes. Die meisten der Kumpel sind in Gewerkschaften organisiert, die enormen Einfluss haben. Als die Vorgängerregierung 2015 einige unrentable Bergwerke schließen wollte, kam es zu Massenprotesten und Streiks.
Die Kohle ist aber auch Teil des polnischen Nationalstolzes. Sie steht für Arbeitsethos und die Unabhängigkeit von russischen Energieimporten. Regierungschefin Beata Szydło, selbst Tochter eines Bergmanns, reiste im Wahlkampf 2015 wochenlang durch die Bergbauregionen. Ihre Partei bekam in einigen der dortigen Wahlkreise mehr als 60 Prozent der Stimmen.
Milliarden für eine defizitäre Branche
Und so setzt die PiS auf einen Ausbau der Kohle. Im ganzen Land sind zehn neue Kohlemeiler geplant, wovon sich fünf bereits im Bau befinden. Versorgt werden sollen diese mit Kohle aus Schlesien, wo mehrere neue Bergwerke entstehen. Auch den Export will die Regierung ankurbeln. Doch die Branche ist hochdefizitär. Im Jahr 2015 machte der polnische Bergbau fast 500 Millionen Euro Verlust.
Denn die Kohle ist immer schwerer zu fördern: die meisten Bergwerke sind hoffnungsvoll veraltet, die Flöze zu klein und die Gewinnmargen minimal - wenn der Abbau überhaupt Gewinn abwirft. Denn der wird direkt und indirekt massiv vom Staat bezuschusst. So kauften Kraftwerke und die "staatliche Agentur zur Materialreserve" die Kohle während einer Krise 2015 teils weiter unter dem Förderpreis an, um Teile der Industrie weiter am Leben zu erhalten.
Dass die Bergwerke entweder direkt subventioniert werden oder als Töchter staatlicher Energiekonzerne ihre Verluste an den Staat weitergeben, frisst nach Schätzungen von Aleksander Laszek, dem Chefökonom des Civil Development Forum in Warschau, ein Loch im Umfang bis zu einer halbe Milliarde Euro in den Staatshaushalt.
Dicke Luft
Neben den finanziellen Schwierigkeiten macht den Polen vor allem die dicke Luft zu schaffen. Viele polnische Häuser sind kaum isoliert und die Kohle das billigste Heizmittel. Zudem sind unzählige der privaten Kohleöfen veraltet, Grenzwerte für den Schadstoffausstoß gibt es nicht. Die Folge sind um ein Vielfaches überschrittene Feinstaubwerte. In Warschau erreichte die Luftbelastung im vergangenen Winter das Zehnfache des zulässigen Höchstwertes.
Rund 45.000 Menschen sterben jährlich an den unmittelbaren Folgen der hohen Luftverschmutzung. Doch langsam, aber beständig wächst in der Bevölkerung das Bewusstsein für die katastrophale Luftqualität, vor allem bei jungen Polen. Der Politik reagiert darauf mit kleinen Zugeständnissen: So dürfen laut einem neuen Gesetz ab kommendem Sommer nur noch effiziente, moderne Kohleöfen an Privathauhalte verkauft werden. Die Nachfrage ist bislang äußerst gering.
Rolle rückwärts ohne Zukunft
Eine Abkehr von der Kohleverstromung ist nicht in Sicht. Derzeit liegt im polnischen Parlament ein Gesetz, nachdem die Verbraucher Investitionen in die Kohlewirtschaft über eine Sonderabgabe finanzieren sollen, die gemeinsam mit ihrer Stromrechnung erhoben wird. Erneuerbare Energien will die Regierung hingegen künftig noch weniger fördern. Sie machen jetzt schon lediglich neun Prozent der Stromerzeugung aus. Ein entsprechendes Gesetz hat der Präsident bereits unterschrieben.
Doch der Druck durch europäische Institutionen wächst. Vor allem seit das, 2015 in Paris unterzeichnete Klimaschutzabkommen am 4. November 2016 in Kraft getreten ist. Polen dürften nun Strafen drohen - etwa die Kürzung der Strukturfördermittel, deren Großteil für den Zeitraum von 2014 bis 2020 an moderne Technologien und erneuerbare Energien zweckgebunden ist.
Selbst die Energieindustrie hat sich der Entwicklung ein Stück weit gebeugt. Im April 2017 verkündete der Verband der europäischen Stromerzeuger "Eurelectric", ab 2020 nicht mehr in den Neubau von Kohlekraftwerken investieren zu wollen. Bis 2050 wollen die Mitglieder des Verbands eine CO2-neutrale Stromversorgung gewährleisten. Die Selbstverpflichtung wird von 26 der 28 EU-Staaten mitgetragen. Die einzigen Ausnahmen sind Griechenland und Polen.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: Heute im Osten - Reportage | 18.11.2017 | 18:00 Uhr