Gegen den Trend Höheres Tempolimit auf tschechischen Autobahnen
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05. Januar 2024, 15:19 Uhr
Tempo 150 auf der Autobahn – das macht die neue Straßenverkehrsordnung möglich, die Anfang 2024 in Kraft getreten ist. So mancher Deutsche dürfte sich nun fragen: Haben die Tschechen den Schuss nicht gehört? Zugegeben, die neue Höchstgeschwindigkeit soll nicht überall, sondern nur auf ausgewählten Autobahnabschnitten gelten. Dennoch scheint die Entscheidung dem Zeitgeist in Deutschland zu widersprechen.
Tschechien hat das derzeitige flächendeckende Tempolimit von 130 km/h um eine Sonderregelung ergänzt: Auf einigen besonders gut ausgebauten Autobahnabschnitten sollen 150 km/h erlaubt sein. Damit ist Tschechien neben Italien das zweite Land in der EU, dass sich gegen den Trend stellt, die zulässige Höchstgeschwindigkeit aus Klimaschutzgründen zu reduzieren.
Tempo 150 an Bedingungen geknüpft
Die Einrichtung einer Tempo-150-Zone ist nach dem neuen, Anfang des Jahres in Kraft getretenen Straßenverkehrsrecht allerdings an Bedingungen geknüpft: Es muss sich um relativ gerade und übersichtliche Autobahnabschnitte handeln. Sie dürfen außerdem keine übermäßige Steigung und kein starkes Gefälle aufweisen.
Außerdem müssen die Strecken vorher mit einem sogenannten Telematik-System ausgestattet werden, das den Verkehrsfluss überwacht und bei Bedarf eingreift. So soll es bei ungünstigem Wetter, wie zum Beispiel Regen oder Nebel, möglich sein, das Tempo mit Hilfe variabler Geschwindigkeitsschilder zu drosseln.
Welche Tempolimits gelten in Tschechien?
Innerhalb geschlossener Ortschaften gilt in Tschechien dasselbe Tempolimit wie in Deutschland: 50 km/h. Außerorts sind für Pkw 90 km/h zulässig, auf Schnellstraßen 110 km/h und auf Autobahnen 130 km/h. Führt die Autobahn oder Schnellstraße durch eine geschlossene Ortschaft, liegt das Tempolimit bei 80 km/h. Seit Jahresbeginn 2024 ist es zudem auf ausgewählten Autobahnabschitten möglich, mit Hilfe von Verkehrsschildern eine Tempo-150-Zone ausziweisen.
Für das Überfahren von Bahnübergängen gilt ein Tempolimit von 30 km/h, bei blinkendem weißen Lichtsignal 50 km/h. Für Lkw liegt die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei 80 km/h, auch auf Autobahnen und Schnellstraßen. Interessant für Autofahrer ist auch die ungeschriebene Regel, dass die Polizei Geschwindigkeitsüberschreitungen bis 15 km/h in der Regel nicht ahndet.
Verkehrsminister Martin Kupka versprach einige Monate vor Inkrafttreten der Neuregelung, dass wenigstens eine der in Frage kommenden Strecken im Laufe des Jahres 2024 mit der nötigen Sicherheitstechnik nachgerüstet und für Tempo 150 freigegeben wird. Weitere sollen später folgen. Welche Autobahnabschnitte das sein werden, ist momentan allerdings noch nicht bekannt.
Pro und Contra des höheren Tempolimits
Die tschechischen Autofahrer dürften die Neuregelung begrüßen. Das Verkehrsministerium hat bereits im Januar 2022 eine Internetumfrage zum Tempo 150 gestartet – fast 5.000 User gaben ihre Stimme ab, 80 Prozent waren dafür.
Kritik gibt es dagegen seitens einiger Verkehrsexperten, Lobbyisten und Journalisten. Neben Umweltschutzaspekten wie höhere CO2- und Lärm-Emissionen machen sie geltend, dass die Zeitersparnis durch das höhere Tempolimit nur gering sei, die Unfallgefahr aber gleichzeitig steige.
Der Nutzen des höheren Tempolimits bleibe außerdem aus mehreren Gründen gering, argumentieren Kritiker der Neuregelung. Erstens seien die meisten Autobahnabschnitte nicht für Geschwindigkeiten jenseits von 130 km/h entworfen worden – technische Parameter wie Kurvenradien, Steigung oder Gefälle würden 150 km/h dort nicht erlauben. Außerdem befänden sich viele Autobahnabschnitte noch im Bau, das Netz sei dadurch fragmentiert, wodurch keine durchgehende Fahrt mit dem höheren Tempolimit möglich sei.
Als weiteres Argument wird schließlich angeführt, dass die tschechischen Autofahrer auf Autobahnen keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zum Vordermann einhalten und dieser gesetzlich gar nicht festgelegt ist.
Befürworter des höheren Tempolimits entgegnen, dass die Autobahnen statistisch gesehen zu den sichersten Straßen gehören. So starben im Jahr 2023 nach Angaben der tschechischen Polizei 455 Menschen bei Verkehrsunfällen auf tschechischen Straßen – davon nur 31, also knapp sieben Prozent aller Opfer, auf Autobahnen. Die Zahl der Unfälle lag bei 94.945, davon ereigneten sich 4.623, also knapp fünf Prozent, auf Autobahnen.
Auch Umweltargumente lassen Befürworter des höheren Tempolimits nicht gelten: Verkehrsabgase würden nur einen geringen Anteil aller CO2-Emissionen ausmachen und bei Lärmemissionen gehe der größte Teil auf Lkw zurück, für die auch nach der Reform ein Tempolimit von 80 km/h bestehen bleibt – höhere Geschwindigkeiten von Pkw würden den Lärmpegel deshalb nur wenig beeinflussen.
Schnellfahrstecken bleiben eine Ausnahme
Wer auch immer Recht haben möge – Fakt ist: Strecken, auf denen Tempo 150 erlaubt sein wird, werden in Tschechien vorerst eine Ausnahme bleiben. Verkehrsminister Kupka sprach von zunächst insgesamt einigen Dutzend Kilometern, die entsprechend nachgerüstet und beschildert werden – und das ist nur ein Bruchteil des tschechischen Autobahnnetzes, das derzeit 1.3683 Kilometer zählt (Stand: 21.12.2023). Und: Tschechien steht mit dieser Entscheidung keineswegs allein da – auch Italien will die Höchstgeschwindigkeit auf einigen Autobahnabschnitten von 130 auf 150 km/h anheben.
Teil des neuen Verkehrsrechts ist auch eine drastische Erhöhung von Bußgeldern für Tempolimit-Sünder auf tschechischen Straßen.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 05. Januar 2024 | 19:00 Uhr