Verkehr Polen: Illegale Autorennen als Volkssport
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09. September 2020, 05:00 Uhr
In Polen sind die meisten Autofahrer zu schnell unterwegs, illegale Autorennen gelten als Volkssport. Das kostet viele Menschen das Leben. Um den Rasern das Handwerk zu legen, hat die Polizei eine Spezialeinheit gegründet.
Pawel ist rasant unterwegs: "Manchmal fahre ich sehr schnell. Mit diesem Auto bin ich schon mal 331 Stundenkilometer gefahren", erzählt der 25-jährige Pole und ist sichtlich stolz auf seinen getunten Audi. Pawel heißt eigentlich anders. Er ist einer von vielen, meist jungen Männern, die nachts über Polens Straßen rasen, um sich mit anderen zu messen. "In der Stadt versuche ich, mich an die Verkehrsregeln zu halten. Es sei denn, ich bin am Abend mit anderen Fahrern verabredet - dann missachten wir alle Verkehrsregeln", sagt Pawel.
Solche Straßenrennen gibt es auch in Deutschland – aber in Polen sind im europäischen Vergleich besonders viele Verkehrsrowdies unterwegs. Laut European Transport Safety Control sind die polnischen Straßen die gefährlichsten in Europa: Hier gibt es die meisten Verkehrstoten im Verhältnis zu der Zahl der gefahrenen Kilometer. Insgesamt 2672 Verkehrsteilnehmer ließen im vergangenen Jahr auf Polens Straßen ihr Leben.
Die Straße steht für den Überlebenskampf in der Gesellschaft, sagt der Verkehrspsychologe Andrzej Markowski: "In Italien oder Frankreich wollen die Raser imponieren, zeigen, wie toll sie sind. Anders in Polen: Hier geht es darum, wer wen schlagen kann, es geht nur um das Gewinnen."
Wenige Blitzer, milde Strafen, viele Raser
Aber auch abseits der Straßenrennen sind die Autofahrer in Polen gerne rasant unterwegs: 85 Prozent fahren innerorts regelmäßig schneller als die erlaubten 50 km/h, ganze 90 Prozent der Fahrer überschreiten regelmäßig das Tempolimit von 70km/h, das außerorts gilt. Die Gefahr, dabei erwischt zu werden, ist indes recht gering: Denn in Polen gibt es die wenigsten Radarkontrollen innerhalb der EU: Genau 518 Stück. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es rund 4.000 Blitzer – knapp achtmal so viele.
Auch die Strafen sind relativ gering – fährt ein Autofahrer außerhalb von Ortschaften 50 Stundenkilometer schneller als erlaubt, zahlt er gerade mal 500 Zloty, umgerechnet etwas mehr als einhundert Euro. Um seinen Führerschein loszuwerden, muss man innerorts mindestens 50 km/h zu schnell fahren. "Die Geldstrafen sind schon seit zehn Jahren auf dem gleichen Niveau", sagt Robert Opas, Sprecher der Warschauer Verkehrspolizei.
Eine neue Polizeieinheit namens SPEED
Weil aber das Rasen inzwischen auch in Polen als großes Problem wahrgenommen wird, ist die Polizei deutlich aktiver geworden. So wurde im vergangenen Jahr sogar eine neue Polizeieinheit mit dem passenden Namen SPEED gegründet. "Die Polizisten sind super ausgebildet und haben genauso schnelle Autos wie die Raser", sagt Polizeisprecher Robert Opas. In jeder Woiwodschaft sind die Beamten der Sondereinheit unterwegs, und sie haben gut zu tun: Zwischen ihrer Gründung im Juli 2019 und Juni 2020 haben die SPEED-Einheiten bereits 308.728 Fälle von Geschwindigkeitsüberschreitung geahndet.
Im vergangenen Jahr hat die Verkehrspolizei in Polen inklusive der neuen SPEED-Einheiten 87.452 Fahrern den Führerschein entzogen. Über die Hälfte davon waren innerhalb einer Ortschaft zu schnell. Die Zahl der Fahrer, die die Polizei als gefährliche Raser einschätzt, lag im vergangenen Jahr zwischen 25.000 und 30.000.
Dieses Jahr wird diese Zahl um einiges höher ausfallen, prognostizieren die SPEED-Einheiten. In den ersten acht Monaten des Jahres lag die Zahl der Führerscheinentzüge 35 Prozent über dem Vorjahreszeitraum. Ein Grund dafür, ist dass dank der neuen Polizeieinheit mehr Raser erwischt werden. Ein anderer, nicht ganz so offensichtlicher Grund ist die Covid-19-Pandemie: Die hat dafür gesorgt, dass die Straßen leer sind – was die Raser genutzt haben.
Auch der junge Warschauer Pawel rast weiter durch die Nacht: "Unbescheiden gesagt, ich bin ein hervorragender Autofahrer, ich kenne keinen besseren, auch nicht unter meinen Freunden. Ich sage das nicht, um anzugeben. Ich weiß was ich kann und ich habe viel Erfahrung am Steuer." Trotzdem hat er ein Abbild des heiligen Christopherus, Schutzpatron der Reisenden und Autofahrer, dabei. Sicher ist sicher.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 12. September 2020 | 07:15 Uhr