Kinderarzt und Baby mit Stethoskop zur Untersuchung
Medikamentenengpässe in Bulgarien: Diabetiker und Kinder mit bestimmten Infektionskrankheiten müssen oft darum bangen, ob sie ihr verschriebenes Arzneimittel in der Apotheke auch wirklich bekommen. Der Großhandel verkauft viele Präparate lieber ins westliche EU-Ausland, wo es dafür mehr Geld gibt(Symbolbild). Bildrechte: IMAGO / Zoonar II

Illegale Exporte Krumme Geschäfte der Pharmabranche: Medikamentenmangel in Bulgarien

16. August 2024, 00:16 Uhr

In Bulgarien sind Medikamente wie Insulin und manche Antibiotika Mangelware. Hauptursache sind illegale Exporte, denn in anderen EU-Ländern bekommen Großhändler für dieselben Arzneien oft deutlich mehr Geld. Sie machen Gewinne auf Kosten der Patienten – und die fragile politische Lage im Land verhindert eine dauerhafte Lösung des Problems. Eine Mitschuld trägt auch die EU, die auf dem freien Warenverkehr auf den Binnenmarkt pocht. Doch sind lebenswichtige Medikamente nur eine Ware?

Vessela Vladkova
Bildrechte: Vessela Vladkova

Engpässe bei Insulin und Antibiotika

"Haben wir nicht" – vor dieser Antwort hat die 70-jährige Diabetes-Patientin Janka Petrowa die größte Angst, wenn sie in die Apotheke geht, um sich die monatliche Dosis Insulin zu besorgen. So geht es vielen Zuckerkranken in Bulgarien. Seit der Corona-Pandemie kämpft das Land mit Lieferengpässen bei bestimmten Medikamenten, darunter Insulin, Arzneimittel für die Behandlung von Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Antibiotika für Kinder. Für viele der fehlenden seltenen Medikamente gibt es keinen wirklichen Ersatz, sagen bulgarische Ärzte.

Cefazolin, auch bekannt als Cefazolin oder Cephazolin, ist ein Cephalosporin-Antibiotikum der ersten Generation
Medikamentenengpässe in Bulgarien – es fehlen u.a. manche Antibiotika. Bildrechte: IMAGO / Zoonar

Für Elisaweta Kotowa vom Verband der Diabetes-Kranken steht der Grund für die Arzneimittelknappheit fest: "Die Ausfuhr von Diabetes-Medikamenten aus Bulgarien macht vielen zuckerkranken Menschen das Leben schwer." Und deshalb fordert sie: "Die Exporte müssen kontrolliert werden – als Allererstes sollten die Mengen für die Patienten in Bulgarien gesichert werden. Erst dann sollen Hersteller und Großhändler die überschüssigen Mengen exportieren dürfen", sagte sie dem MDR. Es sei ein Verbrechen, Gewinne von den höheren Preisen im Ausland auf dem Rücken der bulgarischen Patienten einzufahren, sagte Kotowa.

Ausfuhrverbot gegen Medikamentenmangel

Damit spricht die Verbandschefin das Problem direkt an: den Export von Medikamenten, hauptsächlich in andere EU-Staaten, wo Hersteller und Apotheker für dasselbe Medikament höhere Preise bekommen. Dies führt zur Arzneimittelknappheit, und so verhängte Bulgarien im Oktober 2023 ein Ausfuhrverbot für Insulin. Im April dieses Jahres folgten Einschränkungen beim Export von manchen Antibiotika für Kinder. Die Maßnahmen werden Monat um Monat erneuert. "Das hilft erstmal. Derzeit gibt es kaum Engpässe, nur hier und da werden Einzelfälle gemeldet. Es ist aber keine Dauerlösung", findet Maja Wiktorowa, die für die Rechte der Patienten kämpft.

Blutzuckerspiegel wird gemessen
Diabeteskrankes Kind – auch Insulin ist in Bulgarien gelegentlich Mangelware (Symbolbild). Bildrechte: IMAGO / Addictive Stock

Die Maßnahmen greifen, aber wie lange noch? Das fragt sich auch Dimitria Stajkowa, stellvertretende Vorsitzende des Pharmazeutikerverbands in Bulgarien. "Die Apotheken haben einen Online-Zugang zur Information über die Lagerbestände, aber die Großhändler verweigern Lieferungen an die Apotheken im Inland, weil sie die vorhandenen Mengen lieber ins Ausland zu besseren Preisen verkaufen." So funktioniert nun mal der freie Markt, räumt Stajkowa ein. Und weist darauf hin, dass die Großhändler oft auch Arzneimittelhersteller und Besitzer von hauseigenen Apotheken sind.

Behörde deckt illegalen Export auf

Bevor das Exportverbot kam, hatte die Staatliche Agentur für Nationale Sicherheit (DANS) ermittelt, dass drei Großunternehmen illegal Medikamente exportiert haben, die auf der Liste kritischer Arzneimittel stehen, ohne dies zu melden. Ex-Gesundheitsminister Kostadin Angelow, der die DANS mit der Analyse beauftragt hatte, zitierte aus dem Bericht, dass es keinen Automatismus in der Form gibt, das Medikamente auch wirklich an Apotheken geliefert werden, wenn der Computer sie als "auf Lager" anzeigt.

Auch Angelow bestätigt: Es sei ein offenes Geheimnis, dass es sich dabei um Präparate handelt, die in Bulgarien zu einem niedrigeren Preis verkauft werden als im westeuropäischen Ausland. Deshalb schlagen Apotheker vor, die rund 180 kritischen Medikamente vom Export gänzlich auszuschließen. "Egal, wie die rechtlichen Verordnungen verändert werden, es finden sich immer Möglichkeiten, sie zu umgehen", warnt der Vorsitzende des Apothekerverbands, Nikolaj Kostow.

Eine Person öffnet ein Fach des sog. Generalalphabets in einer Apotheke
Immer wieder hören Patienten in bulgarischen Apotheken die Antwort "gibt es nicht", wenn sie ein Rezept einlösen wollen (Symbolbild). Bildrechte: IMAGO/photothek

Grund für seine Skepsis ist auch die politische Krise, in der Bulgarien seit Jahren steckt. Im Herbst finden wieder vorgezogene Parlamentswahlen statt – zum siebten Mal innerhalb von nur drei Jahren. Aus diesem Grund wird das Exportverbot bald nicht erweitert werden können. Das Gesetz verbietet derzeit die Ausfuhr eines bestimmten Präparats, wenn die Bestände weniger als 65 Prozent dessen betragen, was zur Deckung des monatlichen Versorgungsbedarfs erforderlich ist. Die im März auseinandergebrochene Regierungskoalition wollte diese Quote auf 100 Prozent aufstocken. Aus Brüssel kam jedoch Kritik – die Europäische Kommission fürchtet um den freien Warenverkehr innerhalb der EU. Apotherverbandschef Kostow versteht diese Kritik jedoch nicht: "Wertvoller als der freie Warenverkehr ist das Menschenleben", sagte er dem MDR.

Medikament-Schmuggel aus der Türkei

"Viele Patienten sind so verzweifelt, dass sie sich ihre Arzneimittel im Ausland selbst besorgen und Selbsthilfegruppen in den sozialen Netzen einrichten, um sich gegenseitig über verfügbare Mengen zu informieren", berichtet Penka Georgiewa von der Patientenorganisation "An deiner Seite". Und da der Markt kein Vakuum duldet, blüht neben illegalen Exporten auch der illegale Import von Medikamenten, vor allem aus der benachbarten Türkei. Immer wieder deckt der Zoll an der bulgarisch-türkischen Grenze den Schmuggel großer Mengen Arzneimittel auf, vor allem Mittel gegen Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Faecher mit Medikamenten in einer Apotheke
Eine Folge der Engpässe ist der Medikamentenschmuggel aus der Türkei. Doch viele der Präparate sind nicht für den EU-Markt zugelassen und unterliegen keinerlei Kontrollen. Bildrechte: IMAGO/photothek

Oft handelt es sich dabei um Präparate, die auf dem EU-Markt nicht zugelassen sind, weil sie den hohen europäischen Standards nicht entsprechen. "Im Internet werden Medikamente verkauft, die zum Teil gesundheitsschädlich sind. Meistens fehlt auch eine bulgarische Übersetzung des Beipackzettels", berichtete Borjana Marinkowa, Expertin für Arzneimittelhandel, gegenüber Journalisten. Sie ist überzeugt: Der illegale Online-Handel ist auf die Arzneimittelknappheit in Bulgarien zurückzuführen. Und so schließt sich der Teufelskreis. Eine Lösung des Problems ist wegen der labilen politischen Lage in Bulgarien nicht in Sicht.

MDR (baz)

Podcast Kekulés Gesundheits-Kompass 50 min
Bildrechte: MDR/Stephan Flad

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 24. August 2024 | 07:19 Uhr

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