Arbeitsmarkt Warum in Bulgarien so viele Frauen in IT-Berufen arbeiten

01. Juni 2021, 04:20 Uhr

In Bulgarien arbeiten so viele Frauen in hochspezialisierten IT-Berufen wie sonst nirgendwo in der EU. Das verdanken sie einerseits der sozialistischen Vergangenheit ihres Landes, andererseits einer fundierten Ausbildung an den Universitäten Bulgariens. Doch auch ein günstiger IT-Arbeitsmarkt spielt den Bulgarinnen derzeit in die Hände.

Technikerin lötet Hauptplatine
In Bulgarien typisch: Frauen, die in technischen Berufen arbeiten. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Westend61

Swesdelina Borissowa ist 43 Jahre alt, lebt in Sofia und arbeitet als technische Leiterin in einem internationalen IT-Unternehmen, das seinen Kundendienst in die bulgarische Hauptstadt verlegt hat. Im Team von Swesdelina Borissowa arbeiten elf Ingenieure und zwei Ingenieurinnen. Wenn die bei einem technischen Problem der Kunden nicht weiter wissen, übernimmt stets die Chefin. In Bulgarien durchaus kein ungewöhnlicher Vorgang.

In der bulgarischen IT-Branche arbeiten viele Frauen

In Bulgariens IT-Branche arbeiten tatsächlich überdurchschnittlich viele Frauen. Sie machen gut 28 Prozent der Beschäftigten in den IT-Unternehmen aus, so viele wie in keinem anderen Land der EU. Deutschland beispielsweise liegt mit rund 17 Prozent lediglich im europäischen Durchschnitt. Hierzulande sollen etwa mit dem "Girls-Day", an dem sich Mädchen in typischen Männerberufen ausprobieren dürfen, sowie Initiativen wie dem nationalen Pakt "Komm mach MINT", Frauen für technische Berufe begeistert werden.

Der Grund für den hohen Frauenanteil in der bulgarischen IT-Welt ist vor allem in der Geschichte des Landes zu suchen. In den Jahrzehnten des Sozialismus wurden auch in Bulgarien Frauen nicht nur allgemein zur Berufstätigkeit, sondern auch ausdrücklich dazu aufgerufen, technische Berufe zu ergreifen. Mit einem Nachbau des amerikanischen Apple-Rechners produzierte Bulgarien zudem einen großen Teil der Computer für die sozialistischen Staaten. Dies mag auch dazu beigetragen haben, dass sich schon seit den 1960-Jahren viele bulgarische Frauen mit Technik befasst haben. So auch Swesdelina Borissowas Mutter, die als Maschinenbauingenieurin arbeitete. Swesdelina Borissowa selbst hat auf Anraten ihres Vaters das Berufsgymnasium für Mikroprozessortechnik besucht.

Technikerin löted unter Mikroskop
Im sozialistischen Bulgarien wurden Frauen ausdrücklich dazu ermuntert, technische Berufe zu ergreifen. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / Westend61

Frauenquote und hervorragende Ausbildung

Seit dem EU-Beitritt 2007 ist Bulgarien ein Magnet für Ableger internationaler IT-Firmen geworden. Das für EU-Maßstäbe niedrige Lohnniveau kombiniert Bulgarien mit einer erfolgreichen Ansiedlungspolitik. Ein weiteres Plus sind die an den Universitäten des Landes hervorragend ausgebildeten IT-Spezialisten.

Als Swesdelina Borissowa in den 1990er-Jahren an der Technischen Universität Sofia Kommunikationstechnik studierte, existierte bereits eine Frauenquote. Die sorgte dafür, dass sich ebenso viele Frauen wie Männer in ihrem Studiengang zusammenfanden.

Einen Chef finden, der an einen glaubt

Derzeit brauche man für einen IT-Job jedoch nicht einmal ein Informatikstudium, weiß Biljana Baumgartner. Bevor die Bulgarin mit ihrem deutschen Mann nach München zog, arbeitete sie fast zehn Jahre lang als technische Beraterin für einen amerikanischen Hardware-Hersteller in Sofia. Für technisch anspruchsvolle Jobs wie den ihren, sei ein Studium aber durchaus notwendig, sagt Swesdelina Borissowa. Dennoch müssten selbst Frauen mit einer guten Ausbildung bei der Jobsuche eine große Hürde nehmen: "Man muss einen Chef finden, der an einen glaubt. Denn die Vorurteile, Frauen würden anders denken und könnten nicht so strukturiert arbeiten, die gibt es leider auch heute noch in Bulgarien." Als sie Anfang der 1990er-Jahre ihre erste Stelle in Sofia antrat, war sie die einzige Frau in einem Team von 15 Ingenieuren.

Junge Geschäftsfrau arbeitet 2008, auf dem Boden liegend, am Laptop.
Seit dem EU-Beitritt 2007 ist Bulgarien ein Magnet für Ableger internationaler IT-Firmen geworden. Bildrechte: IMAGO / blickwinkel

Auswandern lohnt sich für bulgarische IT-Spezialisten nicht

Biljana Baumgartner wird jedoch bald wieder nach Sofia zurückkehren. Sie hat Heimweh. Die bulgarische Geselligkeit und die Sonne fehlen ihr München. Hinzu kommt, dass die Lebenshaltungskosten in Bulgarien weitaus niedriger sind.

Für ein höheres Gehalt das Land Richtung Westen zu verlassen, lohne sich für bulgarische IT-Spezialisten daher kaum, meint Swesdelina Borissowa in Sofia. Da viele Bulgaren sich eine Wohnung kaufen oder vererbt bekommen, bliebe unterm Strich für IT-Leute im Heimatland mehr vom Lohn zum Leben übrig.

Frauen trotz Rekordgehältern in der Branche schlechter bezahlt als ihre Kollegen

Daten des Nationalen Statistikamts Bulgariens belegen, dass IT-Spezialistinnen- und Spezialisten in Bulgarien am meisten verdienen. Ihre monatlichen Brutto-Gehälter liegen aktuell mit umgerechnet etwa 1.800 Euro mehr als doppelt so hoch wie die Durchschnittseinkommen im Lande.

Dennoch deutet vieles darauf hin, dass die IT-Frauen weniger verdienen als ihre Kollegen. In der IT-Branche, sagt Biljana Baumgartner, sei es so: "Je technischer der Job, desto höher das Gehalt." Und Frauen arbeiteten eben mehrheitlich in weniger technischen Positionen.

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Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell | 05. April 2021 | 18:00 Uhr

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