Rumänien Lehrermangel auf siebenbürgisch
Hauptinhalt
15. November 2019, 22:41 Uhr
Rumänien hat dank seiner deutschen Minderheit zahlreiche Schulen, in denen auf Deutsch unterrichtet wird. Sie gelten als Kaderschmieden und sind bei rumänischen Eltern äußerst beliebt. Doch haben diese Schulen in den vergangenen Jahren viele Lehrer verloren.
Mit 66 Jahren könnte Martin Bottesch seinen Ruhestand genießen, mehr Zeit für seine Familie haben, vielleicht auf Reisen gehen. Doch Bottesch unterrichtet lieber am deutschsprachigen Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium im siebenbürgischen Hermannstadt (Sibiu). Der pensionierte Mathelehrer sagt: "Man braucht mich hier".
Seit Jahren setzt sich der Siebenbürger Sachse in der Landesschulkommission des Demokratischen Forums der Deutschen (DFDR) - dem politischen Interessenverband der Minderheit - für die deutschsprachigen Schulen im Land ein. Dass sie erhalten bleiben, hat sich Bottesch zur Lebensaufgabe gemacht. Auch deshalb unterrichtet er vorerst weiter - solange, bis ihn ein deutschsprachiger Mathelehrer ersetzen kann.
Lehrerberuf kaum attraktiv
Seit Jahren mangelt es den Schulen in Rumänien an Mathe- und Physiklehrern. Im digitalen Zeitalter wollen viele Abiturienten nicht mehr die Fächer auf Lehramt studieren, sondern lieber als Informatiker oder Ingenieure in die freie Wirtschaft gehen, wo sie das Zwei- bis Vierfache eines Lehrergehaltes verdienen können. Davon träumt auch Daria Souca, die bei Lehrer Bottesch Mathe hat. Besteht die 18-Jährige im Sommer ihr Abitur, will sie in Deutschland Fahrzeugtechnik oder Jura studieren. Lehramt kommt für sie jedenfalls nicht in Frage, weil sie sich nicht "zur Pädagogin berufen fühlt und auch das Lehrergehalt nur mittelgroß ist".
Krisengeschütteltes Schulsystem
Dass Rumänien deutschsprachige Schulen wie das Brukenthal-Gymnasium hat, kommt nicht von ungefähr. Die deutsche Minderheit, die schon seit dem 12. Jahrhundert im Land ansässig ist, hat auf diese Weise ihre Muttersprache über die Zeit erhalten und weitergeben können.
Gut 19.000 Schüler zählt derzeit das deutschsprachige Schulsystem, über 60 Schulen gibt es von der Grundschule bis zum Gymnasium. Eine Größenordnung, die ihresgleichen in Osteuropa sucht.
Doch seit 1990 erlebt das deutschsprachige Schulsystem immer wieder Krisen. Nach dem Sturz des Ceausescu-Regimes wanderten in kürzester Zeit gut drei Viertel der in Rumänien lebenden Deutschen aus. "Viele hatten sich für die Auswanderung schon lange zuvor entschlossen. Als sie durch die Grenzöffnung plötzlich möglich war, verließen sie das Land umgehend - ohne Rücksicht auf den Schulabschluss", erzählt Gerold Hermann, Chemielehrer und ehemaliger Schuldirektor.
Baustein für spätere Karriere
Die deutschsprachigen Schulen wurden durch die Abwanderung vor die Existenzfrage gestellt. In über 100 kleineren Ortschaften sei der Unterricht vollständig zusammengebrochen, erzählt Hermann.
Wer von den Lehrern blieb, wechselte zumeist an eine Stadtschule, wo es immer noch deutsche Klassen gab, wenngleich sie deutlich geschrumpft waren. Das hat sich nun völlig gewandelt. Deutsche Schulen sind wieder "in", auch wenn ein Großteil der Schüler Rumänen sind.
Denn inzwischen gelten diese Schulen unter rumänischen Eltern als Kaderschmieden, weil die Kinder dort nicht nur eine gute Schulbildung erhalten, sondern auch fließend Deutsch sprechen lernen. "Die Eltern unserer Schüler sind stark leistungsorientiert", sagt Lehrer Hermann, "sie sehen in der Auswahl der Schule einen Baustein für die spätere Karriere". Dass sie ihren Schützlingen bei den Hausaufgaben in der Fremdsprache oft gar nicht helfen können, stört die wenigsten Eltern. Sie engagieren Privatlehrer, wenn nötig. Sie glauben fest daran, dass sich das eines Tages auszahlt.
Deutsche Firmen angezogen
In und um Sibiu haben sich in den vergangenen Jahren gut 200 deutsche Firmen angesiedelt, die Hunderte Jobs brachten. Sie sind nach Siebenbürgen gekommen, weil hier mehr Deutsch gesprochen wird als andernorts in Rumänien. Allein drei Gymnasien in Sibiu unterrichten in dieser Sprache.
Ihre Schulabgänger sind nach einem Studium begehrte Arbeitskräfte, die auch der Autozulieferer Marquardt gern für sich gewinnen würde. Als die deutsche Firma 2006 ins rumänische Sibiu kam, startete sie mit 156 Mitarbeitern. Inzwischen beschäftigt sie rund 2.800 Menschen in der Region. Im Drei-Schicht-Betrieb entstehen im Werk unter anderem Autoschlüssel für Porsche, VW und Audi. Regelmäßig dürfen Schüler des Brukenthal-Gymnasiums als PraktikantInnen in die Produktion schnuppern. Die Firma will die jungen Leute so früh wie möglich an sich binden, auch weil man immer wieder deutschsprachige Fachkräfte braucht, sagt Produktionsprogrammierer Mihai Nicolau Banciu: "Viele unserer Kunden in Deutschland können kein Englisch, da ist es wichtig, dass wir in ihrer Muttersprache mit ihnen kommunizieren können."
Samuel von Brukenthal (1721-1803)
Er gehört zu den wichtigsten historischen Persönlichkeiten Siebenbürgens. Die ersten Schuljahre verbrachte er auf dem Hermannstädter Gymnasium, das heute seinen Namen trägt. Später studierte er an den Universitäten zu Halle, Jena, Berlin und Wien. 1777 ernannte ihn Kaiserin Maria Theresia zum Gouverneur Siebenbürgens am Habsburger Hof in Wien.
Wirtschaft ist wichtigster Konkurrent
Die Industrie lässt die Stadt Sibiu und den gleichnamigen Kreis seit Jahren florieren. Die Arbeitslosigkeit war im September mit 1,65 Prozent laut einer Statistik des Arbeitsministeriums eine der niedrigsten in ganz Rumänien. Für die deutschsprachigen Schulen ist die Wirtschaft jedoch ein ernstzunehmender Konkurrent geworden, wenn es um die Suche nach Lehrer-Nachwuchs geht.
Wer als studierter Berufseinsteiger in der Industrie anheuert, kann in Sibiu monatlich netto gut 1.000 Euro und mehr verdienen - mehr als zweimal so viel wie ein Junglehrer erhält. Die Mehrheit der Lehrer kommt selbst nach vielen Berufsjahren nicht auf ein solches Gehalt, außer sie geben in ihrer Freizeit Nachhilfestunden. "Viele Kollegen sind weg, die gerne Lehrer waren", sagt Ex-Schuldirektor Hermann, "sie wollten einfach nicht mehr die Idealisten spielen."
Iohannis - Ex-Lehrer und Präsident
Der prominenteste Weggang vom Gymnasium ist Klaus Iohannis. Der 60-jährige Siebenbürger Sachse ist seit fünf Jahren rumänischer Präsident. Er hat gute Chancen, in knapp einer Woche bei einer Stichwahl im höchsten Amt des Landes bestätigt zu werden.
Schuldirektorin Monika Hay wirbt gern mit ihm: "Wer vom Brukenthal kommt, kann praktisch alles werden: Arzt, Ingenieur, Informatiker oder eben Präsident des Landes."
Iohannis, einst selbst Brukenthal-Schüler, unterrichtete in den 1990er-Jahren in seiner Heimatstadt Physik. Bis heute konnte die Schule in Sibiu keinen deutschsprachigen Nachfolger für Physik finden. Bei anderen Lehrern, die das Gymnasium verlassen haben, ist das nicht anders. Die Folge: Die Hälfte des Unterrichts muss inzwischen auf Rumänisch gehalten werden. Dabei weiß Direktorin Hay ganz genau: "Je mehr Input die Schüler auf Deutsch haben, umso sprachkompetenter werden sie. Fehlt wieder ein Fach, spürt man das umgehend."
Unterstützung aus Deutschland
Damit nicht weiter Lehrer in die Wirtschaft abwandern, versucht neben dem rumänischen Staat auch Deutschland ein wenig gegenzusteuern - es schickt seit Jahrzehnten Lehrer nach Rumänien, es unterstützt die einheimischen Kräfte seit jüngstem auch finanziell.
Gut 1,35 Millionen Euro bewilligte der Bundestag im vorigen Jahr an Förderung für das Land. Damit erhalten all jene Lehrer und Erzieher, die die deutsche Sprache in Rumänien am Leben halten, durchschnittlich gut 100 Euro Gehaltszuschuss pro Monat.
Für Botteschs junge Kollegen am Brukenthal-Gymnasium ist das ein Viertel ihres monatlichen Nettogehalts. "Viele Lehrer empfinden den Zuschuss als Anerkennung und Motivation", sagt Bottesch. Auch habe man dadurch zwei deutschsprachige Lehrer gewinnen können, heißt es von der Schulleitung. Ein Mathelehrer, der Rentner Bottesch ersetzen kann, war bislang aber nicht darunter.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 15. November 2019 | 17:45 Uhr