Der Kampf um sexuelle Aufklärung in Rumänien
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15. November 2017, 15:33 Uhr
In Rumänien gibt es europaweit die meisten Teenager-Geburten. Doch während sich aufgeklärte Bürger für einen verbindlichen Sexualunterricht an den Schulen stark machen, kämpfen Konservative verbissen dagegen.
In Rumänien gibt es neben Bulgarien die meisten Teenagerschwangerschaften in Europa. 2015 brachten 18.000 unter 20-Jährige ein Kind zur Welt. 600 von ihnen waren jünger als 14 Jahre. Wie viele Teenager heimlich abtreiben, ist unbekannt. Kenner der Szene gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Für die jungen Mütter und ihre Partner ist das Leben schwer. Vom Staat bekommen sie zehn Euro Kindergeld und 50 Euro Sozialhilfe im Monat. Nicht selten haben weder Mutter noch Vater eine abgeschlossene Ausbildung, mitunter nicht mal einen Schulabschluss. Keine gute Perspektive.
Große Unwissenheit
Dass in Rumänien so viele Minderjährige schwanger werden, hat vor allem mit einer völlig unzureichenden sexuellen Aufklärung zu tun. Wenn sie auch nicht gerade an den Klapperstorch glauben: Wie man Kinder empfängt, ist jungen Rumänen oft nicht so richtig klar. Deshalb wird auch zu selten verhütet. Wie das mit dem Schwangerwerden gehe, habe man ihr erst im Krankenhaus bei der Geburt ihres ersten Sohnes erzählt, berichtet beispielweise die 19-jährige Gabriela. Sie war 16 Jahre alt, als sie ihr erstes Kind bekam. Mittlerweile ist sie zweifache Mutter. Gabriela lebt in einem Dorf in der Donauebene westlich von Bukarest. Der Vater ihrer Kinder schlägt sich als Tagelöhner durch, sie baut Gemüse im Garten an, damit die Familie über die Runden kommt.
Sexualaufklärung auf der Straße
Der vor allem durch internationale Fördergelder finanzierte Verein "Jugendliche für Jugendliche" hat sich seit vielen Jahren der Sexualaufklärung verschrieben und führt auf diese Weise den Kampf gegen ungewollte Schwangerschaften in Rumänien. Die meisten der Vereinsmitglieder sind selbst noch sehr jung. Sie sprechen Jugendliche auf der Straße an, klären auf, verteilen kostenlos Kondome und produzieren Aufklärungsvideos. Der Verein wirbt dafür, Sexualkundeunterricht als Pflichtfach an rumänischen Schulen einzuführen. Bislang ist dies freiwillig. Mitglieder des Vereins "Jugendliche für Jugendliche" haben lange Zeit an Schulen aufgeklärt. Doch das ist inzwischen Geschichte. Denn der Widerstand gegen die sexuelle Aufklärung wächst.
Heftiger Gegenwind von Konservativen und der Kirche
Heftiger Gegenwind kommt von verschiedenen konservativen Organisationen. Sie gehen sehr direkt vor. So verschicken sie Briefe an Schulen und fragen, welche NGOs bei ihnen Sexualaufklärung betreiben. Das verunsichert Direktoren und Lehrer häufig. Um keine Probleme zu bekommen, verzichten deshalb viele Schulen auf Kurse des Vereins "Jugendliche für Jugendliche". Besonders aktiv im Kampf gegen eine Sexualaufklärung von Kindern und Jugendlichen sind die "Koalition für die Familie" und die "Allianz für die Nationale Würde". Für deren Chef Julian Capsali geht es um nicht weniger als den Fortbestand der rumänischen Gesellschaft. Kinder von klein auf mit sexueller Offenheit zu erziehen, hält er für grundfalsch. Deshalb müsse man sich dagegen einsetzen. "Wenn wir die Sexualaufklärung nicht stoppen, fürchte ich einen gesellschaftlichen Kollaps", meint der Vater von neun Kindern, der stark auf religiöse Werte setzt. Die orthodoxe Kirche in Rumänien unterstützt die Arbeit der Gegner der Sexualaufklärung.
Laut sein und immer weiter kämpfen
Im Kampf für eine aufgeklärte rumänische Gesellschaft verbünden sich Vereine wie "Jugendliche für Jugendliche" mit Gleichgesinnten, vor allem mit Frauenrechtsorganisationen. Mit Demonstrationen tragen sie ihre Forderungen offen und lautstark in den öffentlichen Raum. Durchaus erfolgreich. Ein "Gesetz zur Erhaltung der Unschuld von Jugendlichen", das Lehrern mit Gefängnisstrafen gedroht hätte, wenn sie ohne Zustimmung der Eltern Sexualaufklärung machen, ist vorerst vom Tisch. Doch die Konservativen geben nicht auf. Mit Unterstützung der Kirche haben sie gerade drei Millionen Stimmen für ein Referendum gesammelt. Eine Verfassungsänderung soll die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare verbieten. Abgestimmt werden soll noch in diesem Jahr.
(voq)
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: MDR | 16.06.2017 | 17:45 Uhr