Hassposting auf X auf einem Smartphone 3 min
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Social Media Schleichender Rückzug von Twitter/X: Verrohtes Klima stört Thüringer Nutzer

19. Dezember 2024, 16:16 Uhr

Vor etwa zwei Jahren übernahm der Milliardär Elon Musk den Kurznachrichtendienst Twitter. Und feuerte nach kürzester Zeit das Moderationsteam. Er hat Rechtsradikale und Verbreiter von Verschwörungsnachrichten weltweit eingeladen, nach Sperrungen ihrer Konten zurückzukehren. Inzwischen quillt der Dienst über mit Falschmeldungen, Drohungen und Beleidigungen. Das bewegt einen Teil der Nutzer dazu, dem Dienst, der inzwischen X heißt, den Rücken zu kehren - auch in Thüringen.

Am 18. Dezember 2024 hat Elon Musk in den USA gezeigt, über wie viel Macht er inzwischen verfügt. Einen mühevoll ausgehandelten Haushaltskompromiss zwischen Republikanern und Demokraten brachte er mit einer Reihe von Einträgen auf seinem sozialen Netzwerk X zu Fall. Aufgeladen mit einer ganzen Reihe von Lügen über vermeintliche Inhalte des Gesetzes, die gar nicht enthalten sind - etwa zur Höhe der Abgeordnetenvergütung oder zu einem angeblich milliardenteuren Stadionbau in Washington.

Die Folge des Scheiterns: Zehntausende Regierungsbeamte dürften bis zur Amtseinführung Donald Trumps nicht mehr bezahlt werden und bekommen teilweise ein Arbeitsverbot, Behörden verlieren teilweise ihre Arbeitsfähigkeit, Nationalparks werden geschlossen - unter anderem.

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Milliardär Elon Musk und Donald Trump 6 min
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Die menschliche Dimension auf dem Netzwerk hat sich ebenfalls verändert, seit Musk Eigentümer des Dienstes ist. Beleidigungen und Drohungen haben zugenommen - auch, weil sie inzwischen fast gar nicht mehr durch die Plattform selbst entfernt werden.

Der Milliardär hat die dafür zuständigen Mitarbeiter entlassen und verweist auf Meinungsfreiheit. Die offenbar bei X deutlich über das hinausgeht, was im normalen zwischenmenschlichen Umgang üblich ist. Zur Wahl Mario Voigts zum Thüringer Ministerpräsidenten schreibt ein Nutzer: "Ihren Schädel hänge ich mir an den Schlüsselbund".

Lilli Fischer im Stadtrat
Auch die Thüringer CDU-Politikerin Lilli Fischer ist auf X beleidigt worden. Bildrechte: MDR/Daniel Beck

Die Thüringer CDU-Politikerin Lilli Fischer hatte sich über den Sieg Voigts gefreut und bekommt zu lesen: "Sie haben echt Scheiße im Hirn. Schickt mal jemand der Irren das Jugendamt, wenn sie Kinder hat." Auch einer der aktivsten Twitterer in Thüringen, der frühere Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), hat viele schlechte Erfahrungen gesammelt. "Ich habe es einmal erlebt mit tatsächlich einer üblen Verfremdung von Pornobildern, die dann eingebaut das Gesicht meiner Frau hatten."

X - wichtig für viele Politiker

Twittern will er trotzdem weiter. Wohl auch, weil X ein Medium ist, in dem sich viele Politiker austauschen, debattieren, streiten. Mario Voigt hat als Ministerpräsident gerade ein neues Konto eingerichtet, SPD-Innenminister Georg Maier twittert ebenso wie die Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuss oder der Altenburger Oberbürgermeister André Neumann (CDU). Die meisten Follower auf X hat aus Thüringen Björn Höcke (AfD) mit etwa 160.000.

Bodo Ramelow
Thüringens Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagt, Beleidigungen auf X haben zugenommen. Bildrechte: IMAGO / foto2press

Beleidigt werden sie auf dem Dienst alle - und das hat zugenommen, sagt Ramelow. "Standards sind verloren gegangen, Sicherheitsmechanismen wurden aufgegeben." Der Algorithmus sei geändert worden, sagt er. Früher hätten andere Nutzer sein Konto markiert und dann erfahren, wenn es von ihm etwas Neues gibt.

Das ist so geändert worden, "dass jeder Nutzer, der was Beleidigendes über mich in den letzten Tagen und Stunden verbreitet hat, sofort alle Nachrichten von mir kriegt, auch wenn ich das gar nicht will." Das soll Nutzer zu mehr Aktivität animieren - und animiert sie zusammen mit kaum noch vorhandener Regulierung mitunter zu Drohung oder Beleidigung.

Wir können heute posten, was wir wollen. Wir können sicher sein, dass wir Reaktionen kriegen, die mit dem Thema nichts zu tun haben.

Sebastian Großert MDR THÜRINGEN-Onlineredaktion

Änderungen beobachtet auch die MDR THÜRINGEN-Onlineredaktion. Sie ist neben X auch auf Instagram und Facebook unterwegs. "Wir haben schon früher negative Reaktionen auf Beiträge bei X bekommen. Aber dass wir auf fast jeden Beitrag solche Reaktionen bekommen, das haben wir vor zwei drei Jahren nicht erlebt", erklärt Chef vom Dienst Sebastian Großert.

Aus Großerts Sicht sind es nicht nur Beleidigungen - auch die kommen natürlich vor. "Wir können heute posten, was wir wollen. Wir können sicher sein, dass wir Reaktionen kriegen, die mit dem Thema nichts zu tun haben."

Debatten werden oft ins Gegenteil verkehrt

Jüngstes Beispiel: Ein Bericht über die stille Stunde auf dem Jenaer Weihnachtsmarkt kommentiert Nutzer @Adolphadi1488, dessen Nutzername einen Rückschluss auf die politische Einstellung zulässt: "Könnte es diese Tage nicht auch quasi Migrantenfrei geben, aus Rücksicht der Menschen gegenüber, die sich durch Merkels rechtswidrige Asylpolitik nicht mehr sicher und wohl fühlen ob der täglichen Vergewaltigungen und Messerangriffe, Amokläufe auf deutschen Strassen, Plätzen usw?!".

Konsequenz nach Einschätzung Großerts: "Das Thema komplett umgedreht. Dann entsteht natürlich keine sinnvolle Diskussion über das eigentliche Thema." Gerade bei Twitter/X sei das früher anders gewesen, die Diskussionen sachlicher.

Schauspieler, Wissenschaftler, Fußballclubs gehen

Manche wollen das nicht länger hinnehmen. Das Lindenau-Museum etwa in Altenburg mit seinen 2.400 Followern will nicht mehr bei X auftreten. "Aufgrund der Entwicklungen auf dieser Plattform." Die Fachhochschule Erfurt will ebenfalls nicht mehr auf X präsent sein, ebenso die Ernst-Abbe-Hochschule in Jena.

Es gibt offene Briefe zu Austritten von Schauspielern, Journalisten, Wissenschaftlern. Auch Stephen King, Autor Dutzender erfolgreicher Romane, findet: "Die Atmosphäre ist einfach zu toxisch geworden." Die Fußballclubs Werder Bremen und FC St. Pauli, zusammen mit etwa 700.000 Followern, sind ebenfalls weg.

Polizei und Feuerwehr brauchen die große Reichweite

Aber nicht alle können X verlassen. Manche brauchen die Reichweite für ihre Arbeit. Zum Beispiel Feuerwehren oder Polizei, die im Krisenfall über X schnell Informationen verbreiten konnten. Jedenfalls als X grundsätzlich noch von allen gelesen werden konnte - auch ohne Anmeldung.

Smartphone-Bildschirm mit dem Logo von Bluesky neben dem Logo von „X“ und dem Logo von Donald Trumps Truth Social-App. In der oberen Reihe von links nach rechts ist das Logo von YouTube neben dem von WhatsApp und TikTok zu sehen. In der unteren Reihe von links nach rechts sind die Logos für Facebook, Threads, Instagram, LinkedIn, Snapchat und Messenger zu sehen.
Die Plattform X erzielt teilweise hohe Reichweiten. Bildrechte: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Kristian Tuxen Ladegaard Berg

Inzwischen bekommt man Aktuelles nur noch mit Anmeldung angezeigt. "Wir haben es häufig bei großen Versammlungslagen genutzt, um auf Versammlungsteilnehmer zu wirken", sagt Patrick Martin, Erster Polizeihauptkommissar der Landespolizeidirektion Thüringen und Polizeisprecher. "Dass man sich nicht vermummen soll, dass man keine Bewaffnungsgegenstände aufnehmen soll, dass man keine Absperrungen durchbrechen soll. Wir haben Informationen an Verkehrsteilnehmer gegeben, welche Strecken noch nutzbar sind".

Um dabei eine große Reichweite zu erzielen, braucht es regelmäßige Informationen über Polizeiarbeit. Zu Karrieremöglichkeiten, zur Nachwuchsgewinnung. "Wir müssen Reputationsmanagement betreiben, um unsere Arbeit darzustellen. Das zielt darauf ab, möglichst hohe Follower-Zahlen zu erreichen. Damit wir die für Einsatzzwecke nutzen können."

Dafür brauche man soziale Medien. Aber besonders bei X stelle man "fest, dass es zu einer Verrohung der Sprache kommt. Dass hetzerische Beiträge ungefiltert durchgehen."

Instagram wird wichtiger

Auf X werden eigene Beiträge inzwischen heruntergefahren. "Aber wir müssen es weiter pflegen, weil wir sonst nicht mehr an die Leute auf X herankommen", sagt Patrick Martin. Man setze inzwischen mehr auf Instagram. Über einen Weggang von X werde bei den deutschen Polizeien aber nachgedacht, die britischen haben ihn bereits vollzogen.

"Wir sind im Gespräch mit der Hochschule der Polizei, mit dem Bereich Medien- und Kommunikationswissenschaften." Dort laufen die Fäden der deutschen Polizeien in Sachen Kommunikation zusammen. "Wenn es so kommen sollte, dass man sich entschließt, diese Plattform zu verlassen, werden es alle gleichzeitig machen."

Blick auf den Weihnachtsmarkt in Jena
Die Stadt Jena hat nach eigenen Angaben ihre Aktivitäten auf X reduziert. Bildrechte: Stadt Jena / C. Worsch

Die Stadt Jena hat nach eigenen Angaben ihre Aktivitäten auf X reduziert - und bedient häufiger Facebook und Instagram. Aber schon allein um Debatten zur Stadtpolitik auf X verfolgen zu können, behalte man einen eigenen Auftritt, schreibt Stadtsprecherin Stefanie Braune auf MDR THÜRINGEN-Nachfrage.

Rückzüge bisher kein Massenphänomen

Wenn jetzt ein Teil der Nutzer geht - ist das nur Symbolpolitik oder könnte das Netzwerk irgendwann seine Bedeutung verlieren, wenn wichtige Teilnehmer es verlassen? Sebastian Großert vom MDR sagt "Das macht die Attraktivität des Netzwerks für die breite Masse auch zunichte. Wenn jene, die ernsthaft über Inhalte sprechen wollen, nicht mehr dort stattfinden." Dann verliere das Netzwerk tatsächlich Bedeutung.

Twitter/X sei vor Jahren ein ernsthafter Kanal für Nachrichten und Debatten gewesen. Jetzt nicht mehr, weil da "zu viel Unfug stattfindet und weil sich ernsthafte Player zurückziehen." Eine Massenbewegung sei das bisher allerdings nicht. Aber es sei ein Anfang.

Es geht nicht ums Zensieren oder das Ausschalten unliebsamer Meinungen.

Bodo Ramelow (Linke) Ex-Ministerpräsident von Thüringen

Ramelow indes will erstmal weiter auf der Plattform bleiben. Er hat mehr als 80.000 Follower - und mehr als 20.000 Nutzer hat er geblockt. Meist, weil sie ihn beleidigt haben. "Erst wenn die Zahl der geblockten Nutzer die Zahl der Follower überschreitet, wird es Zeit für 'time to say goodbye'", sagt er. Bis dahin wolle er kämpfen. Auch um eine stärkere Regulierung. "Es geht nicht ums Zensieren oder das Ausschalten unliebsamer Meinungen."

Er sei alt genug, um Hass und Hetze auszuhalten. "Ich kann einen Screenshot machen und der Polizei geben, wenn Grenzen überschritten werden, wenn es an Mobbing geht, wenn Menschen unter Druck gesetzt werden." Junge Leute oder im Netz unerfahrene Leute aber, wenn die auf einmal in so einer Situation seien, die würden gar nicht verstehen, was vor sich geht.

Künftige US-Regierung macht Druck - gegen jede Regulierung

Längst gebe es Netzwerke von Bots, gesteuert von Künstlicher Intelligenz, die gezielt Debatten beeinflussen und vielen Nutzern vorgaukeln, dass bestimmte Meinungen vorherrschen, obwohl gar keine Menschen dahinterstecken. Journalismus unterliege auch Regeln. Die künftige US-Regierung hat bereits gedroht: Es könne Konsequenzen für Staaten geben, die Dienste wie X regulieren wollen, zum Beispiel einen Nato-Austritt. "Bei so einer Drohung auch gegen Nato-Partner sehen wir, welche Macht die Tech-Milliardäre inzwischen haben", sagt Ramelow.

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Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 19. Dezember 2024 | 19:00 Uhr

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