![Zwei Frauen in Kieselbacher Trachten | Bildrechte: Fotostudio bySandra/Sandra Abt Zwei Frauen in Kieselbacher Trachten](https://www.mdr.de/index-transparent_h-2_w-3_zc-8cdb29ec.gif)
Traditionspflege "Tracht 2.0" im Wartburgkreis: pflegeleicht und alltagstauglich
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28. Dezember 2024, 05:00 Uhr
Die Tracht soll künftig wieder stärker das Ortsbild in Kieselbach prägen, das hofft der Verein der "Optimisten". Dazu wollten sie einiges ändern an der traditionellen Kleidung, die trotzdem erkennbar bleiben sollte. Nicht ganz einfach. Sie haben lange beraten, diskutiert und mit einer Schneiderin getüftelt. Nun ist die Frauentracht fertig.
Dieser Verein ist dafür bekannt, dass er Dinge anpackt, von denen andere sagen: "Das klappt doch nie!". Der Vereinsname "Optimisten" sei ihnen aus dem Dorf angeheftet worden, sagt Katrin Biermann. So haben die Optimisten schon bei heftigen Minusgraden open air die Weihnachtsgeschichte nach Charles Dickens gespielt, eine lange Frühstückstafel quer durchs Dorf aufgebaut und einen Tanzmarathon gestemmt.
Natürlich mit Hilfe von vielen anderen in Kieselbach. Aber der Schubs kommt aus den Reihen des sehr kleinen, aber rührigen Vereins der Optimisten. "Etwas für das Dorf tun und mit dem Dorf tun", so beschreibt Diana Engelhardt das Anliegen. Das jüngste "optimistische" Projekt: Die Tracht zurückholen in den Kieselbacher Alltag, als "Tracht 2.0".
Nur zwei Tage im Jahr Trachten sichtbar
Die Tracht wird derzeit nur zwei Tage im Jahr von den Kirmesmädchen getragen: langer dunkler Rock, weiße Bluse mit Weste, Tuch und Schürze als Farbtupfer. Die Kleidung ist umständlich und schwer zu waschen, fanden die Optimisten. Was über Generationen weitergegeben wurde, ist kostbar und der Stoff manchmal schon etwas mürbe. Nichts, was zum häufigeren Tragen einlädt. Die Vereinsfrauen kennen das gut, waren selbst Kirmesmädchen oder haben Töchter, die einmal im Jahr in die traditionellen Trachten schlüpfen.
Schlitz und Gewurschtel
Da ist zum Beispiel der lange Schlitz oben im Rock, der dafür sorgte, dass man ihn problemlos in der Taille weiten kann, früher sinnvoll bei Schwangerschaften, denn damals hatten Frauen nicht viele Röcke. Es braucht die Schürze auch dazu, diesen Schlitz zu verdecken. Oder die Bluse, die keine Knöpfe hat, gewickelt und festgesteckt wird. "Ein Gewusel und Gewurschtel", sagt Sandra Abt und schüttelt den Kopf.
Noch dazu ist die Bluse recht kurz, bauchnabelfrei, was durch die Weste verdeckt wird. Die Weste wiederum hat am unteren Rand einen Wulst, durch Watte aufgepolstert. Darauf lag der Rock, der so besser hielt. Außerdem wirkte die Trägerin voluminöser in der Taille - andere Zeiten, anderes Schönheitsideal.
Es gab also aus Sicht der Optimisten einiges zu tun. Sie gingen es gründlich und systematisch an, trafen sich mit Landfrauen und Kirmesmädchen, allen, denen an der Tracht liegt und besprachen jedes einzelne Teil vom Rock bis zur Schürze. Was ist wichtig, charakteristisch für die Kieselbacher Tracht? Was muss erhalten bleiben? Und wo kann man ändern und vereinfachen, was sollte praktischer werden?
Reißverschluss, Knöpfe, Platz fürs Handy
Die Ergebnisse besprachen sie mit Schneiderin Anke Neuhaus, die aus dem Nachbarort Tiefenort stammt und in Treffurt arbeitet. Sie hat großen Anteil an der Tracht 2.0, setzte die Ideen aus Kieselbach in Stoff um. Den Prototyp hat sich Diana Engelhardt schneidern lassen.
Auf den ersten Blick sieht er nicht anders aus als bisher. Es sind Details, die diese Tracht moderner, gefälliger und praktischer machen. Der Schlitz im Rock wurde durch einen Reißverschluss geschlossen. Das bot Raum für eine zweite große Innentasche, "mit Platz fürs Handy, das haben junge Frauen heute immer dabei", sagt Sandra Abt.
Erhalten blieben am Rock das glatte Stück vorn und das stark gekräuselte hinten. Die seitlichen Falten springen etwas tiefer aus, das macht eine schlankere Figur. Die Länge, die Bordüren - alles erhalten.
Auch der Stoff der Bluse ist wie bisher auf der Schulter in kunstvoll-eng gelegten Falten gelegt, am Ärmel ein gesticktes Band. Aber nun hat sie verdeckte Knöpfe bekommen und sitzt besser. Weil sie länger geschnitten ist, kann Diana Engelhardt sie nun auch ohne Weste tragen oder zu einer Jeans.
Tracht zur Lederjacke
Das war ohnehin Teil des Plans: die Tracht 2.0 verstehen die Optimisten als Module, die sie auch einzeln in Kombination mit heutiger Kleidung tragen können: der lange Rock mit Pullover oder zur Lederjacke, die Bluse zu Jeans - alles ist möglich. "Wir würden gern sehen, dass mehr Leute Tracht tragen, dass das eher zum Alltag gehört", sagt Kirsten Mey, "damit die Tracht nicht verschwindet, dass sie bleibt."
Dabei sollen pflegeleichte Stoffe helfen, die sich in der Waschmaschine waschen lassen und nicht einmal gebügelt werden müssen. "Man kann den ganzen Abend feiern und der Rock ist nicht zerknittert", freut sich Katrin Biermann, "der sieht noch so aus, wie als man aus dem Haus ging." Auch das kann die Tracht attraktiver machen.
Schnittmuster für alle
Die Schneiderin hat vom Prototyp ein Papier-Schnittmuster geschaffen. Das wird jetzt von einer weiteren Fachfrau, einer Schnittdirektrice, für alle anderen benötigten Größen variiert - so dass es am Ende für jede Interessierte einen Schnitt gibt, digital oder in Papier. Der Plan ist, sagt Jutta Biermann, "die Schnittmuster allen im Dorf zugänglich zu machen und auch eine Anleitung zu verfassen, dass man das zuhause nachnähen kann." Die Anleitungen - möglichst noch mit kleinen Videos - sind ihr Part, nicht unkompliziert.
Gleichzeitig suchen die Vereinsfrauen nach passenden Accessoires - woher bekommt man Rosentücher, welche Fransen braucht es? Wer nicht sticken kann, dem wird eine eigens entworfene maschinell gestickte Rosenborte angeboten mit dem verschlungenen Schriftzug "Kieselbach". Welche Schuhe passen zur Tracht? Die alten bestickten "Kommoden" müssen es nicht mehr unbedingt sein - und auch für die dicken Trachtenstrümpfe mit eingestricktem Zwickel haben sie dünnere Alternativen gefunden.
Bei Wettbewerb erfolgreich
Viele Stoffproben haben sie sich schicken lassen, einiges ausprobiert. Die Ergebnisse des zurückliegenden Jahres, die vielen Recherchen, wollen sie anderen Interessierten zugänglich machen in einem Kieselbacher Köfferchen. Mit ihrer "Tracht 2.0" haben sich die Optimisten erfolgreich am ostdeutschen Engagement-Wettbewerb "Machen" beteiligt und 5.000 Euro gewonnen, mit denen sie die beteiligten Fachfrauen bezahlen und manche Sachkosten bestreiten. Die Trachten für sich finanziert jede selbst.
Das nächste Projekt ziehen Kirsten Mey und Diana Engelhardt aus den mitgebrachten Tüten, eine Herrentracht. Die wird gar nicht mehr in Kieselbach getragen, zur Kirmes gehen die Burschen im dunklen Anzug. Einst trugen die Männer im Ort dreiviertellange helle Ziegenlederhosen - Diana Engelhardt breitet die ihres Urgroßvaters auf dem Boden aus. Die bestickten Hosenträger und die Weste stammen aus dem Heimatmuseum. Auch diese Tracht wollen sie ins 21. Jahrhundert katapultieren - Arbeit für das kommende Jahr.
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Morgen | 28. Dezember 2024 | 06:00 Uhr
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