Abschluss Warum Eisenach keine "Stadt der Schulabbrecher" mehr ist
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25. Januar 2023, 11:55 Uhr
Auf diesen Rekord war niemand stolz: Eine Studie der Caritas sah Eisenach bundesweit vorn bei der Zahl der Schulabbrecher. Auch wenn bis heute keiner genau erklären kann, warum 2016 fast 19 Prozent der Jugendlichen die Schulen ohne Abschluss verließen - seit damals ist Einiges vorangekommen. Sozialpädagogen unterstützen zwei Schwerpunkt-Schulen, um Kindern und Jugendlichen das Lernen zu erleichtern und auch bei privaten Problemen zu vermitteln. Der Erfolg ist jetzt auch in den Zahlen messbar.
Freideriki Gkeka und Juel Shehu haben viel erreicht: Sie besuchen mittlerweile die zehnte Klasse der Goetheschule in Eisenach und wollen im Sommer den Realabschluss schaffen. Die 19-jährige stammt aus Griechenland, der 17-jährige aus Albanien. Dass sie so weit gekommen sind, klare Zukunftspläne haben und Lernfreude und Optimismus ausstrahlen, liegt vielleicht auch daran, dass sie in ihrer früheren Hauptschulklasse "Teamteaching" erlebt haben: Eine Sozialpädagogin begleitete den Unterricht, half den Schülern und entlastete die Lehrer.
Offenes Ohr und mehr Lust auf Schule
"Sie hat uns unterstützt, wenn wir etwas nicht verstanden haben", erzählt Freideriki. "Und sie war immer da, wenn wir angerufen oder eine Nachricht per WhatsApp geschickt haben. Teamlehrer haben auch die Rolle eines Freundes, mit dem wir persönlich sprechen können." Ähnliches berichtet Juel: "Sie hatte immer ein offenes Ohr, wenn uns etwas am Herzen lag."
Für ihre frühere Klasse sei diese Doppelbesetzung, Lehrer und Sozialpädagogin, im Unterricht sehr wichtig gewesen, sagen beide, weil viele noch nicht so gut hätten Deutsch sprechen können. Das "Teamteaching" habe auch bei der Motivation geholfen, die Lust auf die Schule gestärkt, sagt Juel.
Hohe Zahl von Jugendlichen ohne Abschluss
Möglich gemacht haben das Fördermittel der Europäischen Union (EU) für 46 Thüringer Regel- und Gemeinschaftsschulen mit einem Anteil von mehr als zehn Prozent an Schulabbrechern. Von diesen 46 befinden sich zwei in Eisenach, die Oststadtschule und die Goetheschule. In Eisenach waren die Zahlen besonders drastisch. Allein die drei Regelschulen und die Gemeinschaftsschule verließ im Schuljahr 2016/17 fast jeder Vierte ohne Abschluss (46 von 194 Schulabgängern).
In einer Studie der Caritas wurde für alle Eisenacher Schulen (inklusive Förderzentrum) eine Quote von knapp 19 Prozent festgestellt, der höchste Wert bundesweit. Das trug Eisenach in der "Süddeutschen Zeitung" im Herbst 2019 den Titel als "Stadt der Schulabbrecher" ein.
Bildung überall verankern
Ein Schock sei das gewesen, sagt der Eisenacher Bildungsdezernent Ingo Wachtmeister, Hauptamtlicher Beigeordneter der Stadt. Man habe sich die hohen Zahlen nicht recht erklären können. Ein deutlich gestiegener Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, soziale Schwierigkeiten in den Elternhäusern – das gab es anderswo auch. Doch die Stadt könne sich nicht leisten, "Menschen zu verlieren, egal aus welchen Gründen", sagt Wachtmeister.
Junge Menschen seien das Kapital der Zukunft, und dem müsse man sich stellen. Die Stadt versuche, das Thema Bildung in allen städtischen Strukturen zu verankern, trotz schwieriger Haushaltslage in Schulen zu investieren, damit Kinder gern dorthin gehen und lernen möchten. Experten wurden konsultiert, Bildungskonferenzen veranstaltet und Steuergruppen eingerichtet.
Statistik weist ersten Erfolg aus
"Nur reparieren reicht nicht", sagt Wachtmeister, Schule müsse sich auf völlig veränderte Bedingungen einstellen: "Wir können nicht mit Schulgebäuden des letzten Jahrhunderts mit Methoden des vorletzten Jahrhunderts Zukunft für das 22. Jahrhundert konstruieren, das funktioniert einfach nicht." Ist die Stadt auf dem Weg vorangekommen? "Ja", sagt Wachtmeister mit Blick auf die städtische Statistik. Diese verzeichnet für das Schuljahr 2021/22 bei den Regelschulen und der Gemeinschaftsschule nur noch zehn Prozent Schulabgänger ohne Abschluss (22 von 219). Aber Wachtmeister sagt auch: "Der Weg ist langwierig."
Teamteaching und Lerncoaches
Teamteaching für zwei Klassen hat dabei an der Goetheschule geholfen. Sozialpädagogin Jennifer Thiersch arbeitet als "Teamteacherin" in einer sechsten Klasse. Anfangs sei es vor allem darum gegangen, Beziehungen aufzubauen zu Kindern und Eltern. Ihr sind auch Angebote außerhalb des Unterrichts wichtig, um die Kinder zu motivieren. Ihr Kollege Christoph Holze arbeitet als Lerncoach in der Schule. Er begleitet einzelne Schülerinnen und Schüler im Unterricht, arbeitet aber auch individuell mit ihnen beispielsweise in Freistunden. Ihm sei wichtig, dass die Schule als positiver Lernort wahrgenommen werde, sagt Holze.
Dabei helfen Projekte wie "Mach Dich fit“ in der Sporthalle, wo sich die Kinder und Jugendlichen auspowern könnten. Manchmal gehe es auch einfach nur darum, zusammen zu sitzen, eine Runde zu spielen und über das zu reden, was nicht so gut läuft.
Mehr Berufe nötig an der Schule
"Wir setzen da an, wo es die anderen Professionen braucht", sagt Wolfgang Bitter. Er leitet das Regionalteam West der Kindersprachbrücke Jena. Der Verein ist Träger des sozialpädagogischen Teamteaching, beschäftigt in der Goetheschule insgesamt drei Sozialpädagogen.
Es gibt einfach Kinder und Jugendliche, denen es zuhause, salopp gesagt, nicht gut geht. Die bringen das natürlich auch mit in die Schule. Dass das Lehrerinnen und Lehrer alles auffangen können, ist meiner Meinung nach schier unmöglich.
Von daher sei es gut, dass es da andere Professionen gibt. Statt "Einzelkämpfer Lehrer" lieber ein gemischtes Team. Nicht nur Sozialpädagogen, auch Psychologen hält Bitter in den Schulen für sinnvoll.
Unterricht öffnen durch mehr Freiarbeit
Für Schulleiterin Julia Durner sind die Teamteacherinnen und der Lerncoach eine "absolute Erleichterung im Alltag". Ohne sie mag sie sich das Schulleben nicht mehr vorstellen. Teamteaching weiß sie auch aus dem eigenen Unterricht zu schätzen - als große Stütze, aber auch zur Rückmeldung, wenn die Stunde mal nicht so gelaufen ist wie gedacht.
Was müsste sie beim nächsten Mal noch anders machen? Die Goetheschule hat sich auf den Weg gemacht, sich weiter zu entwickeln, Unterricht zu öffnen und mehr Freiarbeit anzubieten, um das individuelle Lernen zu stärken. Auch dabei wird die Schule weiter mit Fördermitteln unterstützt.
Und was würde sich die Schulleiterin noch wünschen? "Dass alle unsere Klassen das Teamteaching bekommen könnten. Das würde ich auch allen Schulen wünschen!" Denn die Herausforderungen werden gerade nicht kleiner, im Gegenteil.
MDR (jml)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Vormittag | 28. Januar 2023 | 10:15 Uhr
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