Schlachtbetriebe Das harte Geschäft mit dem Tod: Warum immer weniger in Thüringen geschlachtet wird
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28. April 2023, 05:00 Uhr
Beim Fleischkonsum gehört Thüringen zu den Spitzenreitern - doch tatsächlich geschlachtet werden im Freistaat immer weniger Tiere. Naht das Ende der echten Thüringer Bratwurst? Zu Besuch beim mittelständischen Schlachtbetrieb "Thüringer Landstolz".
Noch dampfen die zartrosa Leiber. In Hälften hängen sie an Haken in der Schlachthalle, um auf einer Schiene gleich zur nächsten Station weitergeschoben zu werden. Seit wenigen Minuten sind die Schweine erst tot - manche ihrer borstigen Artgenossen am Eingang der Halle quietschen noch. Auch wenn die Produktion hier im südthüringischen Schmalkalden bei der Firma "Thüringer Landstolz" nicht auf Masse setzt: So ganz lässt sich der Stress für die Tiere nicht vermeiden. Hier entsteht die Thüringer Bratwurst. Oder vielleicht sollte man sagen, hier stirbt die Thüringer Bratwurst.
In der Stunde schlachten wir hier so 45 Schweine.
Geschäftsführer Kevin Holland-Moritz führt die Produktionskette entlang, vorbei an Männern mit Sägen, Messern oder Kontrollgeräten, mit denen zum Beispiel der Magerfleischanteil der Tiere gemessen wird. Es stinkt nicht, aber die Luft ist feucht von den Verarbeitungsprozessen und dem ganz eigenen Geruch von frischem Fleisch. Jeder Arbeiter hier habe eine Aufgabe, erklärt der Chef. "In der Stunde schlachten wir hier so 45 Schweine", sagt er, "an Freitagen machen wir auch ein paar Rinder."
Schlachtbetrieb mit 340 Mitarbeitern vermarktet in der Region
Holland-Moritz hat den Betrieb 2018 von seinem Vater übernommen und führt das Unternehmen mit seinen 340 Mitarbeitern durch eine Zeit, in der immer weniger Fleisch gegessen wird und die Qualitätsansprüche vieler Konsumentinnen und Konsumenten gleichzeitig steigen. Landstolz schlachtet pro Woche nicht nur rund 800 Schweine, sondern zerlegt das Fleisch und bietet die Leberwürste oder Grillfackeln unter anderem direkt in seinen 34 Filialen in der Region an.
"Neben der Fleischerlehre habe ich damals ein Betriebswirtschaftsstudium gemacht und dann aufbauend noch Lebensmitteltechnologie studiert", sagt Holland-Moritz. In der Ausbildung hat auch er gelernt, die Tiere mit einem Elektroschock zu betäuben und anschließend die Blutversorgung zu durchtrennen. "Das war schon echt wichtig, um zu wissen, was hier in der Produktion täglich abgeht", sagt der junge Chef.
Schlachtmengen sinken seit Jahren deutlich
Derzeit gibt es laut Landwirtschaftsministerium 103 zugelassene Schlachtbetriebe in Thüringen: Neben einigen kleinen, lokalen Metzgereien, die noch selbst schlachten, bestehen Kevin Holland-Moritz zufolge nur noch eine Handvoll mittelständischer Schlachtbetriebe wie Landstolz. Wie viele Betriebe über die Jahre dicht gemacht haben, kann die Landesregierung nicht genau erheben. Fest steht: Seit Jahren sinkt die gewerbliche Fleischproduktion. Gemessen zum Jahr 2016 in Thüringen sogar um mehr als die Hälfte.
Beim Fleischkonsum gehört Thüringen bundesweit zu den Spitzenreitern, das geht aus dem sogenannten "Fleischatlas" der Heinrich-Böll-Stiftung von 2016 hervor. Trotzdem sinkt der Fleischkonsum beständig: Im vergangenen Jahr aß der deutsche Durchschnittsbürger noch 52 Kilogramm pro Person, immerhin 4,2 Kilogramm weniger als 2021. Doch lässt sich damit auch der Rückgang der regionalen Schlachtung der Tiere erklären, während Regionalität bei der Kaufentscheidung an Bedeutung zu gewinnen scheint?
Ein Großkonzern dominierte Schweinemarkt in Thüringen
Wer nach dem Hauptgrund für den Rückgang der Schlachtungen und der Schlachtmenge in Thüringen sucht, stößt zunächst einmal schnell auf die Vion Food-Gruppe. Der niederländische Konzern schlachtet an verschiedenen Standorten in Europa und zählte, Stand 2018, laut Statistischem Bundesamt zu den Top drei der deutschen Schweineschlachter. Hinter Tönnies und vor Westfleisch. Auch im ostthüringischen Altenburg hält Vion einen Standort: Eigenen Angaben zufolge wurden dort in den vergangenen drei Jahren jährlich 88.600 Rinder geschlachtet, was einer verwertbaren Menge von gut 27.000 Tonnen Fleisch entspricht.
Der in der Grafik dargestellte Rückgang bei den Schlachtmengen in Thüringen hängt dabei mit der "konzernweiten Umstrukturierung" des Konzerns aus dem Jahr 2020 zusammen, am Altenburger Standort überhaupt keine Schweine mehr zu schlachten. Diese strategische Entscheidung der Niederländer, von 2019 auf 2020 die Schweineproduktion komplett herunterzufahren, ist demnach der Hauptgrund für den Rückgang in den Statistiken.
Thüringer Bratwurst eine Illusion?
Einen großen Unterschied, ob dadurch beispielsweise weniger Thüringer Schwein in einer originalen Thüringer Bratwurst drin ist, dürfte das aber ohnehin nicht machen. Denn der Fleischmarkt ist fluide. Oft entscheidet der Preis, von wo Metzgereien ihr Fleisch beziehen - auch, wenn das Tier dann weiter weg geschlachtet wurde. Wie überall im Lebensmittelhandel ist das Pflaster hart.
Ein Großteil der Produkte, die in Thüringen erzeugt werden, ist aus Fleisch, das nicht hier erzeugt wurde.
"Ein Großteil der Produkte, die in Thüringen erzeugt werden, ist aus Fleisch, das nicht hier erzeugt wurde", sagt Kevin Holland-Moritz. Zu viele Schlachtkapazitäten seien in den letzten 20 Jahren zentralisiert worden. In seinem Unternehmen bemühten sie sich beispielsweise mit der Marke "Strohschwein", Produkte komplett aus regionalem Fleisch zu vermarkten.
Für die "normalen" Produkte müssen aber auch sie Fleischteile auf dem nationalen Markt zukaufen: "Die Mengen, die wir und auch andere zum Beispiel an Bratwurst vermarkten, die sind teilweise so hoch, dass das nicht aus der eigenen Zerlegung abgebildet werden kann."
Wettbewerbsnachteile für kleine und mittelständische Betriebe
Auf politischer Ebene sind sich zunächst einmal alle einig: Sowohl der Thüringer Bauernverband als auch das Landwirtschaftsministerium unter Susanna Karawanskij (Linke) in Erfurt beobachten mit Sorge, dass regionale Schlachtmöglichkeiten seit Jahren verschwinden. "Sehr überschaubar" sind sie, sagt der Bauernverband auf Anfrage. Und das Ministerium urteilt über die "negative Entwicklung": "Lange Transportzeiten sind nicht im Sinne des Tierwohls. Da zunehmend außerhalb Thüringens geschlachtet wird, geht Wertschöpfung in der Region verloren. Es besteht zudem die Gefahr, dass das traditionelle Fleischerhandwerk immer mehr zurückgeht und damit auch die regionalen Wurstspezialitäten schwinden."
Die großen Betriebe haben vergleichsweise geringere Kosten.
Schlachter Holland-Moritz kann die Wettbewerbsnachteile gegenüber den Großunternehmen klar benennen. Mit dem Absatz seiner Firma ist er zufrieden und auch vor einer sinkenden Nachfrage hat er keine Angst. "Aber die großen Schlachtbetriebe haben den Vorteil, dass sie pro Tier weniger Kosten haben und die Preissteigerungen nicht so ins Gewicht fallen wie bei uns."
Als Beispiel nennt der Chef die deutlich gestiegenen Kosten für Veterinäre und für die Entsorgung von "Nebenprodukten". Ein Beispiel: In einer Produktionshalle wird das frisch geschlachtete Schwein bereits zerlegt. Die Schädelreste der Tiere muss Holland-Moritz aber fachgerecht entsorgen lassen.
Land Thüringen stellt Förderung in Aussicht
Doch der einzige Anbieter für Schlachtabfallbeseitigung in Thüringen, die SecAnim GmbH, hat zu Jahresbeginn die Preise mit Verweis auf die Energiekosten hochgefahren. "Die Kosten sind für uns um 300 Prozent gestiegen", erklärt Holland-Moritz, "wir haben vom Land Thüringen, das die Entsorgung ausschreibt, viel zu spät davon erfahren."
Seit Wochen pochen die Betriebe wie auch der Bauernverband auf eine bessere Unterstützung vom Land. Das Landwirtschaftsministerium verweist auf diverse Bemühungen, wie beispielsweise gemeinsame Workshops mit der Industrie, um die regionale Schlachtung voranzutreiben. Bemühungen, denen der Bauernverband und auch Schlachter-Chef Holland-Moritz kaum einen Effekt attestieren.
Allein bei der Beseitigung von kranken Tierkadavern signalisiert das Land Thüringen nun konkrete Unterstützung. Wie das zuständige Thüringer Gesundheitsministerium auf Nachfrage mitteilte, soll das sogenannte Tierische-Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz so geändert werden, dass die Gebühren für die Tierkörperbeseitigung bis auf Weiteres zu je einem Drittel vom Tierhalter, den Landkreisen und kreisfreien Städten und dem Freistaat Thüringen getragen werden. Die Änderung würde aber nur komplette Tierkörper betreffen - also explizit nicht die Beseitigung von einzelnen Schlachtabfällen.
Bisher mussten die Tierhalter zwei Drittel der Kosten übernehmen. Sollte die Änderung beschlossen werden, sollen die Mittel dafür laut Gesundheitsministerium aus dem Landeshaushalt ab 2024 kommen.
Fleischproduktion unter Anpassungsdruck
Seit Jahren steht die Fleischproduktion, und eben auch die Schlachtindustrie, unter Anpassungsdruck. Bereits vor sieben Jahren haben Kevin Holland-Moritz und sein Vater die Produktion halbiert. Zu oft musste übrig gebliebenes Fleisch eingefroren und für weniger verkauft werden. Jetzt, so sagt der Chef, "ist am Ende der Woche alles frisch vermarktet".
In Zukunft geht es für Kevin Holland-Moritz zunächst erst einmal darum, weiterhin genügend Fachpersonal zu finden. "Der Fleischabsatz ist da gar nicht so das Problem, sondern wir müssen genug Leute haben, um unsere Prozesse abzudecken", sagt er. Um auch in Zukunft den Rohstoff für die Thüringer Bratwurst zu produzieren, setzt seine Firma seit Jahren verstärkt auch auf Leute aus dem Ausland - denn die Jungen aus der Region hätten oft keine Lust auf den Knochenjob in der Schlachterei.
Als er sich die Hände am Ende der Produktion-Besichtigung wäscht, erzählt Holland-Moritz noch, wie er das Arbeitsklima vor Ort, vor allem für die internationalen Kollegen, gerne verbessern und die Integration beschleunigen möchte: Er überlegt, sagt er, wie er ein KI-Übersetzungstool so einsetzen kann, dass es über ein Headset automatisch zwischen vietnamesischen, polnischen und Thüringer Arbeitern hin und her übersetzt.
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 28. April 2023 | 10:00 Uhr
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