Oper Von Meiningen nach Bregenz: Philipp Stölzl inszeniert den "Freischütz" bei Festspielen
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17. Juli 2024, 12:31 Uhr
Regisseur Philipp Stölzl ist bisher vor allem für Musikvideos und große Kinofilme wie "Der Medicus" oder "Goethe!" bekannt, er ist aber auch seit vielen Jahren Opernregisseur. Am Theater Meiningen hat Stölzl 2005 bereits den "Freischütz" von Carl Maria von Weber inszeniert. Jetzt darf sein "Freischütz" die Bregenzer Festspiele eröffnen, die vom 17. Juli bis 18. August 2024 zu erleben sind. Klassische Opernkritiker werden sein Werk als Schändung empfinden, vermutet Stölzl.
- Seine Inszenierung des "Freischütz" in Meiningen war für Regisseur Philipp Stölzl der Auftakt im Bereich Oper, nachdem er u.a. Musikvideos für Madonna und Rammstein produziert hatte.
- Stölzl versucht, die Oper völlig neu zu denken und den "Freischütz" wie einen Kinofilm zu erzählen.
- Veraltete Frauenbilder will der Regisseur nicht mehr auf der Bühne sehen und hat sie deshalb überarbeitet.
2005 inszenierte er den "Freischütz" am Theater Meiningen. Es war der Start seiner Karriere im Opernfach. Nun gibt er auf der Bregenzer Seebühne dem Opernstoff von 1821 ein zeitgemäßes Update und sagte MDR KULTUR: "Wir müssen den Mut haben, ohne Tabus Oper neu zu denken." Und genau das hat er getan und gleich beim Bühnenbild begonnen. "Du kommst im heißen Sommer hierher und hoffentlich fängst du an zu frieren, wenn dann der Ton pfeift."
Wir müssen den Mut haben, ohne Tabus Oper neu zu denken.
Ein Dorf in menschlicher Schieflage
Philipp Stölzl lässt Gewitter aufziehen, Donnergrollen und Sturm – post-apokalyptisch wirkt die Szenerie, in der sein "Freischütz" spielt. Schiefe Holzhütten, umgestürzte Balken, herumliegende Möbel, ein Turm, halb versunken, halb eingestürzt, ragt aus dem See. Nicht einmal das Kreuz auf dem Kirchturm ist noch heil geblieben.
Es ist die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, in die der Regisseur sein Publikum versetzt. Ein Dorf in kräftiger Schieflage – vor allem menschlich. Max liebt Agathe. Doch Max muss sich beweisen und vor allem dem potentiellen Schwiegervater zeigen, dass er mit einem Gewehr alles treffen kann, was ihm vor die Flinte kommt.
"Max will in der Dorfgemeinschaft ankommen, die Tochter des Försters heiraten", erzählt Stölzl. "Es ist der Kampf von Max in der Männerwelt der Jäger." Dort empfängt man ihn mit Argwohn, hänselt ihn. Es geht um Seelendruck, um äußere und innere Kämpfe. "Es hat viel mit Angst zu tun, mit Trauma in dieser Post-Kriegswelt." Und genau daraus speisen sich die Aggressionen.
Stölzls erste Oper in Meiningen
Ein düsteres Szenario hat der 57-jährige Philipp Stölzl kreiert und trotzdem ist der Opernstoff etwas, was ihn fasziniert. 2005 hat er diesen – mehr aus Zufall – am Theater Meiningen inszeniert und das Bühnenbild entworfen. Ein großer Erfolg, denn 15 Jahre lang lief das Stück mit seiner Handschrift. Und manch ein Künstler habe ihn in dieser Zeit eine E-Mail geschickt, erzählt Stölzl, mit Gruß an die Regie.
Für Philipp Stölzl, den Sohn des vor anderthalb Jahren verstorbenen Historikers und ehemaligen Präsidenten der Weimarer Hochschule für Musik, Christoph Stölzl, war das der Anfang im Opernfach und etwas, was ihn seitdem begeistert. Jürgen Flimm holte ihn zur Ruhr-Triennale, es kamen Aufträge aus Amsterdam, Salzburg, von vielen großen Häusern. Einen "lucky shot" nennt es Philip Stölzl, der ihm damals – von Meiningen aus – die großen Türen öffnete.
Oper komplett neu gedacht
Jetzt also der "Freischütz", von ihm inszeniert und als Bühnenbild umgesetzt auf der Seebühne in Bregenz. Der Stoff mit neuem Libretto wurde auf zwei Stunden gekürzt. Es gibt mehr Dialoge, mehr Sprechtheater. Auch an die Musik habe man sich gewagt, gekürzt, an manchen Stellen verbunden und Bezüge geschaffen.
Da ist eine Menge Experiment drin in dem Abend und eine Menge Wetten, dass man Oper einfach mal komplett anders denken kann.
"Schauerromantik ohne Biedermeier-Dialoge", nennt es Philipp Stölzl, denn wer wolle noch diese alten Figuren mit dem Firniss des 19. Jahrhunderts sehen? "Da ist eine Menge Experiment drin in dem Abend und eine Menge Wetten, dass man Oper einfach mal komplett anders denken kann", sagte er MDR KULTUR.
Nicht als modernes Regietheater, will Stölzl die Geschichte erzählen, sondern schon nah am Stoff, aber doch als Kontrast, vor allem was manche Figuren anbelangt. Ein Teufel – er klettert galant auf die letzten Baumwipfel des Dorfes, springt, hüpft, säuselt und sprüht sein verbales Gift in die Gedankenwelt der Guten.
Von Musikvideos und Kinofilmen zur Oper
"Wir erzählen alles wie einen Kinofilm", so Philipp Stölzl. Jemand wie er, der muss es wissen. Für Madonna und Rammstein hat er Musikvideos produziert, große Kinofilme wie 2010 "Goethe!", 2013 "Der Medicus", 2008 "Nordwand" und etliche TV-Werbesports.
Wir erzählen alles wie einen Kinofilm.
Philipp Stölzl ist als Mensch bescheiden, eher zurückhaltend und ohne viel Getöse am Set oder eben jetzt in Bregenz bei den Proben. In Jeans, T-Shirt, Basecap stand er wochenlang zwischen seinem Team. Stuntmänner und -frauen übten die Choreografien auf der Bühne, die sich mitten im Wasser befindet und selbst einen Teich enthält.
Immer wieder tauchen sie in das Wasser ein und formen dann Figuren rund um die Sängerinnen und Sänger. Licht, Ton – alles muss sitzen und auch dem Wasser trotzen. Erst recht, wenn man eine neblige Wolfsschlucht-Szene ohne viel Wald bauen will.
Stölzl gegen altes Frauenbild auf der Bühne
"Es ist einfach an der Zeit, dass diese ganzen Frauen, die sich opfern und sterben, dass man diese neu denken muss", sagte Stölzl MDR KULTUR.
Die Zofe und die Frau, die eben aus dem Fenster schaut und bangt, dass ihr Mann nach Hause kommt ... das sind Figuren, die man heutzutage nicht mehr sehen will auf der Bühne.
Ob Ännchen, die Zofe oder Agathe, die Angebetete – Frauen dürfen, ja müssen hier selbstbewusster sein. "Ich glaube, es ist ein Wagnis, die Frauenfiguren komplett anders zu erzählen und sie ganz neu zu bauen, dialogisch mit ihren Zielen, Prämissen, Nöten", führt Stölzl aus. "Die Zofe und die Frau, die eben aus dem Fenster schaut und bangt, dass ihr Mann nach Hause kommt…. Das sind Figuren, die man heutzutage nicht mehr sehen will auf der Bühne. Also ich will sie nicht mehr sehen und ich glaube, viele andere Leute auch nicht mehr."
Ein Albtraum für Fans der klassischen Oper?
"Ich bin mir ganz sicher, für diese Aufführung gibt's bestimmt Ärger. Klassische Opernkritiker und Operngänger werden das bestimmt als Schändung empfinden, dass man so ein Werk nimmt und einfach mal durch die Waschmaschinen haut und neu zusammenbaut und versucht, ohne viel Tabu neu zu denken und zu erzählen. Das ist für Opernpuristen ein Albtraum."
Vielleicht aber auch nicht. Denn immerhin: 7.000 Menschen werden in jeder Vorstellung bis Mitte August die Chance haben, den "Freischütz" von Philipp Stölzl zu sehen. Und vielleicht schwingt auch ein bisschen vom Komponisten mit. Carl Maria von Weber habe angeblich 1821 nach seiner erfolgreichen Premiere in Berlin gejubelt: ... "ins Schwarze getroffen". Dabei ist bekannt, dass gerade er von Ängsten und Zweifeln geplagt war und nicht selten sehr nachdenklich und einsam lange Wege zwischen Dresden und Hosterwitz, seinem Sommersitz, zurücklegte.
Weitere Informationen:
"Der Freischütz" – Oper von Carl Maria von Weber
17. Juli bis 18. August 2024
Bregenzer Festspiele, Österreich
Inszenierung, Bühne: Philipp Stölzl
Musikalische Leitung: Enrique Mazzola, Erina Yashima
(redaktionelle Bearbeitung: sg)
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 17. Juli 2024 | 10:15 Uhr