Tanztee Wenn auf dem Dorf die Senioren steppen

17. März 2024, 09:00 Uhr

Wenn Gaststätten und Treffpunkte im Dorf verschwinden, kann das Leben auf dem Dorf besonders für ältere Menschen einsam werden. In Henneberg sorgt eine Frau mit ihren ehrenamtlichen Veranstaltungen für Lachfalten auf den Gesichtern der Senioren – beim gemeinsamen Tanzen.

Die Lippen glänzen bereits rot. Nach dem Lippenstift nimmt die 74-Jährige den Kamm in die Hand. Die Rentnerin lebt allein in Fambach in Südthüringen. Seit 26 Jahren ist Anneliese Arnold verwitwet. An diesem Sonntag will sie zum Tanztee – um sich mit anderen Senioren auszutauschen und sie hofft, dort einen Mann kennenzulernen. Es ist eine der wenigen Veranstaltungen in der Region, wo das möglich ist.

Eine Frau vor dem Spiegel
Anneliese Arnold macht sich schick für den Tanztee. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Dann wird sich schick angezogen. Nicht einfach nur Jeanshose oder so. Man ist das eigentlich gewöhnt von unserer Jugend. Da hat man sich auch schick gemacht", sagt Anneliese Arnold und schaut ein wenig verschmitzt durch ihre schwarze Brille. Während sie vor dem Spiegel steht, zischt es aus der Haarspray-Dose und ein dünner grauer Nebel verflüchtigt sich in den Haaren. 

Vor Anneliese Arnold liegen knapp 45 Minuten Autofahrt. Auf dem Weg zum Tanztee holt sie ihre Freundin Helga Jurgella ab. Die hat sie vor neun Jahren beim Tanztee kennengelernt. Mittlerweile hat sich eine enge Freundschaft entwickelt. Seitdem fahren sie regelmäßig ins 35 Kilometer entfernte Henneberg zum Tanzen. Die meisten Besucher kommen aus einem Umkreis von 20 Kilometern.

Auch beim Senioren-Tanz fehlt Nachwuchs – für die Organisation

Als die beiden Frauen angekommen sind, umarmen sie einige Besucher, es werden Hände geschüttelt und gelacht. Man kennt sich. Viele kommen seit zehn Jahren dorthin, als es losging mit der monatlichen Tanz-Veranstaltung. Das Parkett in der Mitte ist noch leer, aber an den Tischen im hellen, holzvertäfelten Saal, ist fast kein Platz mehr frei. 120 Senioren warten darauf, das Tanzbein zu schwingen. Als die Band auf der kleinen Bühne in die Tuba bläst und das Akkordeon drückt, füllt sich die Tanzfläche rasant. Anneliese Arnold tanzt erstmal mit ihrer Freundin.

Das ganze organisiert Anja Schneider. Das Ziel: alte Menschen aus der Einsamkeit holen. Der Name der gemeinnützigen Organisation dahinter: "LachfALTen". Anja Schneider veranstaltet neben dem Tanztee in Henneberg jeden Monat noch zwei weitere Senioren-Events. Um die 30 Stunden steckt sie in jede Veranstaltung – die meisten davon ehrenamtlich. Doch so langsam lassen ihre Kräfte nach, sagt sie: "Deshalb bin ich auch gerade in der Umdenkphase. Ich muss noch Hilfe finden oder mir was ausdenken, wie es noch optimierter wird."

Ihr fehlen vor allem junge Leute, die ehrenamtlich mitarbeiten. "Das Problem hier ist, dass die jungen Leute nichts für die alten machen, weil sie mit der Musik nichts zu tun haben", sagt Anja Schneider. Ihre derzeitigen Helfer sind im Alter zwischen 70 und 80 Jahren. "Die können es halt nicht dauerhaft. Da ist das Problem."

Austausch und gemeinsame Hobbys – wenige Möglichkeiten auf dem Land

Ein Besucher beim Tanztee
"Das baut einen auf", sagt der Besucher und lacht. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Das ist fantastisch, dass es das noch gibt für unser Alter", sagt eine Besucherin der Veranstaltung. "Das baut einen auf. Ich meine, ich bin jetzt schon 86 und da brauche ich das einfach", sagt ein Besucher und zieht sein Lächeln in die volle Breite. Wenig später kommt auch auf Anneliese Arnold ein Mann zu, beugt sich vor, reicht ihr die Hand und bittet sie zum Tanz. Zusammen schwingen sie sich im Takt auf dem Parkett.

Ich meine, ich bin jetzt schon 86 und da brauche ich das einfach.

Tanztee-Besucher

Austausch und gemeinsame Hobbys – für Ältere auf dem Land gibt es oft nicht mehr viele Möglichkeiten. Fambach, die Heimat von Anneliese Arnold, hat knapp 2.000 Einwohner. Viele Versuche, etwas gegen das Aussterben sozialer Treffpunkte zu unternehmen, sind gescheitert. Eine von drei Gaststätten ist übriggeblieben. Die letzte Einkaufsmöglichkeit ist ein Fleischer, der einmal wöchentlich öffnet. Einst gab es noch einen Laden mit Imbiss. Hier haben sich viele Ältere zum Mittagessen getroffen. Doch das Angebot wurde nicht ausreichend genutzt. Vor vier Jahren hat der Imbiss zugemacht.

"Die Leute vereinsamen", sagt der Fambacher-Bürgermeister Ralf-Peter Schmidt (CDU). "Klar gibt es heutzutage Essen auf Rädern, ich kann den Caterer bestellen und die werden auch angefahren und die kriegen ihr Essen pünktlich geliefert. Aber dann sitzen sie ja trotzdem allein zu Hause."

Religion

Leonore Pengel ist 91 Jahre alt und lebt in Schernikau, ein kleines Seelendorf in der Altmark. Als ihr Mann verstarb, zog ihre Tochter zu ihr, damit sie in ihrem Familienhaus bleiben kann.
Leonore Pengel ist 91 Jahre alt und lebt in Schernikau, ein kleines Seelendorf in der Altmark. Als ihr Mann verstarb, zog ihre Tochter zu ihr, damit sie in ihrem Familienhaus bleiben kann. Bildrechte: MDR/LONA Medi

Die Bevölkerung des kleinen Ortes im Landkreis Schmalkalden-Meiningen ist überdurchschnittlich alt. 27 Prozent der Einwohner sind älter als 65. Zum Vergleich: In Leipzig sind nur etwa 20 Prozent im Rentenalter. Deutschlandweit sind es 22 Prozent.

Was Gemeinschaft für Senioren schafft

In ländlichen Regionen, aus denen junge Menschen wegziehen, wird Einsamkeit zum Problem, sagt Sozialforscher Oliver Huxhold vom Deutschen Zentrum für Altersfragen. Erst recht, wenn dann auch noch Begegnungen wie das kurze Gespräch beim Bäcker wegfallen. "Wir haben festgestellt, dass gerade diese tagtäglichen Interaktionen mit Menschen, die nicht zu meinen engen Kontakten gehören, die Interaktionen sind, die dafür sorgen, dass mein persönliches Wohlgefühl irgendwie über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten wird."

Huxhold beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit den Folgen sozialer Isolation und Einsamkeit: "Wenn Einsamkeit chronisch wird, dann hat man den ganzen Tag mit chronischen Stress zu tun. Das führt zu einer Verringerung der Effektivität des Immunsystems. Das hängt mit Schlafstörungen zusammen. Einsame Menschen sterben im Durchschnitt früher."

Einsame Menschen sterben im Durchschnitt früher.

Oliver Huxhold Sozialforscher
Eine Frau beim Tanzen
Anneliese Arnold tanzt ein paar Runden. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Senioren in Henneberg tanzen dagegen. Drei Lieder lang haben Anneliese Arnold und der Mann die Beine geschwungen. Nach den gemeinsamen Runden durch den Saal verabschieden sich die zwei. Beim Tanz wird es wohl erst mal bleiben: "Danke dir für den Überfall", sagt Anneliese Arnold. Ihr Tanzpartner antwortet: "Keine Ursache, gern gemacht."

Stattdessen vergnügt sich Anneliese Arnold wieder mit ihren Freundinnen und während sie mit ihnen tanzt, sagt sie: "Ja, dann blüht man auf. Da vergisst man alles andere mal." Ihre Freundin ergänzt: "Das bedeutet, dass wir Abwechslung haben. Lustig sein dürfen. Juhu!"

Als sich der Nachmittag gegen 18 Uhr dem Ende nähert, ist Organisatorin Anja Schneider erleichtert: "Die Leute sind zufrieden. Und das Schönste ist beim Abschied, wenn sie uns dankbare Worte mitgeben. Da sage ich immer, es ist unser Lohn." Ihr Plan, ältere Menschen in Gemeinschaft zu bringen, scheint aufzugehen. Hier hoffen alle, dass es noch viele dieser Tanztees geben wird – aber auch dafür braucht es Nachwuchs.

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