Corona-Relativierer Gratis-Blatt "Südthüringer Rundschau" in der Kritik

17. Dezember 2021, 16:53 Uhr

Seit Wochen ist der Landkreis Hildburghausen der Kreis mit der höchsten Corona-Inzidenz in Thüringen. In der Gratis-Zeitung "Südthüringer Rundschau" aber wird die Gefährlichkeit des Virus verharmlost und Misstrauen nicht nur gegen den Staat geschürt.

In der Gratis-Zeitung Südthüringer Rundschau wird die Gefährlichkeit von Corona-Infektionen verharmlost und Misstrauen gegen Regierungen, die Wissenschaft und etablierte Massenmedien geschürt. Auch "Reichsbürger" kommen in dem kostenlosen Anzeigenblatt (Auflage 20.000) zu Wort. Das Thüringer Amt für Verfassungsschutz sieht die Publikation, die an verschiedenen Stellen im Landkreis Hildburghausen ausliegt, kritisch.

"Das traurigste Weihnachtsfest aller Zeiten"

In der Südthüringer Rundschau von dieser Woche denkt der rechtskonservative Publizist Ramin Peymani über die anstehenden Feiertage im Zeichen der Corona-Pandemie nach: "Das traurigste Weihnachtsfest aller Zeiten steht uns bevor", schreibt er, "jedenfalls all jenen, die merken, dass unsere Demokratie ans Kreuz geschlagen wird". Nachdem das Grundgesetz "zwanzig Monate lang sturmreif geschossen" worden sei, werde "die dauerhafte Einschränkung der Grundrechte" nun endgültig besiegelt. Peymanis Text wurde auch auf dem islamfeindlichen Portal "PI News" veröffentlicht, das vom Verfassungsschutz als "gesichert extremistischer Blog" eingestuft wird.

Ausgabe des Anzeigen-Blattes "Südthüringer Rundschau" vom 15.12.2021
Das Anzeigenblatt hat eine Auflage von 20.000 Stück. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Peymani, ehemaliger Büroleiter von DFB-Präsident Theo Zwanziger, kommt in der "Rundschau" regelmäßig zu Wort. Im November erschien der Artikel: "Tatort Corona: Von aufgeblasenen Zahlen, falschen Werten und verschleierten Fakten". Darin bezeichnet der in rechten Kreisen reichweitenstarke Autor die "7-Tage-Inzidenz" als "Mogelpackung" sowie als "Messzahl, die keinerlei wissenschaftlichen Anforderungen" genüge. Der "Wert in seiner blamablen Einfältigkeit" hätte - ginge es nach Peymani - "niemals als Steuerungselement" herangezogen werden dürfen.

Misstrauen gegen den Staat schüren und die Corona-Schutzmaßnahmen verächtlich machen. Dieses Programm wird in einer Mehrheit der Texte, die in der Gratis-Zeitung zum Thema Covid-19 veröffentlicht werden, verfolgt. In geringerem Umfang erscheinen dort Beiträge, in denen sachlich über die Entwicklung der Corona-Regeln informiert wird ("3G-Regelung für Besucher des Landratsamtes ab 1. Dezember"). In manchen Ausgaben erscheinen Texte von Lesern, die anderen Autoren widersprechen. Diese Stimmen verteidigen die Schutzmaßnahmen und machen sich für Demokratie und Rechtstaat stark ("Wir schaffen den Weg aus der Pandemie nur gemeinsam").

MDR THÜRINGEN hat dem Geschäftsführer des Kurier-Verlags, der die "Rundschau" herausgibt, konkrete Fragen - mit Quellenangaben und Zitaten - gestellt. Diese hat er dem MDR allerdings nicht beantwortet. Der Geschäftsführer legt jedoch Wert auf die Feststellung, dass sein Blatt noch nie wegen Falschberichterstattung verurteilt wurde.

Leserbriefe zu Corona

In einer deutlichen Mehrheit der zu Corona veröffentlichten Artikel und Leserbriefe wird die Corona-Politik von Bund und Ländern scharf angegriffen. Leserbriefe tragen Überschriften wie: "Die Maske als Symbol der Unterwerfung: Der moderne Weg in die Sklaverei" oder "Wie Politiker und Medien uns mit unbewiesenen Halbwahrheiten und Lügen manipulieren wollen". In mehreren Beiträgen von Lesern wird die Gefährlichkeit des Virus verharmlost: "Hat man in der Politik schon mal darüber nachgedacht, dass jedes Jahr im November eine Grippewelle über Deutschland hinwegrollt?" An anderer Stelle wird behauptet, dass "noch nie ein Virus isoliert wurde, und seine Existenz niemals wissenschaftlich bewiesen" worden sein soll.

Daneben wird auch in den Briefen der Leser Misstrauen geschürt: "Wir warten nur darauf, dass dieses Lügengebäude eines Tages krachend zusammenbricht", heißt es beispielsweise. Ein anderer Leser meint: "Die plumpe Meinungsmanipulation und Desinformation in den Medien nimmt mittlerweile ein erschreckendes Ausmaß an." Oder es wird gefragt: "Dachtet ihr, wir merken es nicht, dass wir in einer Diktatur mit vorgeschriebenen Atemzügen leben?" Solchen Positionen wird in dem Blatt nur sporadisch widersprochen.

"Gift unters Volk zu bringen"

Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN sagte der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, über die Südthüringer Rundschau: "Solche Lokalblätter mit hoher Auflage - und dieses insbesondere - wird von der Querdenkerszene und bekannten Extremisten benutzt, um ihr Gift unters Volk zu bringen." Kramer meint damit unter anderem Leserbrief-Schreiber, die mittels "Rundschau" "Reichsbürger"-Positionen verbreiten.

"Reichsbürger" Die sogenannten Reichsbürger erkennen das Grundgesetz und die deutschen Behörden nicht an und behaupten die Bundesrepublik sei kein Staat, sondern eine Firma.

In der Südthüringer Rundschau heißt es in diesem Sinne: "Gemäß Urteil vom Bundesverfassungsgericht ist das 'Deutsche Reich' von vor 1918 nicht untergegangen, die BRD ist nicht ihr Rechtsnachfolger, sie ist lediglich identisch mit dem 'Völkerrechtssubjekt' 'Deutsches Reich' (unter Adolf Hitler)!" In einem weiteren Leserbrief wird behauptet, dass "die Mitarbeiter im Landrats(amt?) Hildburghausen nur bei einer Firma" angestellt seien. Ein überlanger "Reichsbürger"-Leserbrief - in dem unter anderem gefragt wird, ob Hitler ein Erfüllungsgehilfe des Vatikans war - zog sich über drei Ausgaben. Dazu passt, dass der "Kopp-Verlag" Werbung in der "Rundschau"-Online-Ausgabe schaltet. Der Verlag führt pseudowissenschaftliche und verschwörungstheoretische Literatur.

Neben dem Verfassungsschutz sieht auch Johannes Kiess, Extremismusforscher an der Universität Leipzig, die publizistische Ausrichtung der Südthüringer Rundschau kritisch. Der Soziologe erkennt in manchen Leserbriefen "eindeutige Falschnachrichten".

Diese sind in der breiten Öffentlichkeit immer wieder Ausgangspunkt für die verbreiteten Verschwörungserzählungen über die Covid19-Pandemie. Dabei handelt es sich aus meiner Sicht weniger um Meinungen, als um eindeutige Versuche, die Debatte zu eskalieren. Gefährlich werden diese Äußerungen, wenn diejenigen, die die Einhaltung der Corona-Schutzmaßnahmen kontrollieren sollen, verleumdet werden.

Johannes Kiess, Extremismusforscher an der Universität Leipzig

Organisierte "Querdenker" finden in der "Rundschau" zumindest wohlwollende Erwähnung. In einem redaktionellen Artikel beispielsweise wurde nach "Zeugen"-Aussagen gesucht. Damit solle "Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof wegen Corona Schockmaßnahmen" gestellt werden. Zur Begründung ist die Rede von "unzähligen Opfern der sogenannten Impfung". Ein angebliches "Verbrechen gegen Menschlichkeit" müsse untersucht werden. Der redaktionelle Beitrag endet mit dem Aufruf: "Bitte senden Sie das unterschriebene Dokument schnellstmöglich an: Dr. med. Walter Weber." Weber gehört der Gruppierung "Ärzte für Aufklärung" an, die wiederum zum Netzwerk von "Querdenken711" zählt, das vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Die Methode Leserbrief

Verantwortlich für die Inhalte der Südthüringer Rundschau ist Chefredakteur und Verlagsgeschäftsführer Alfred Emmert. Hinter jeden Leserbrief setzt er den Hinweis: "Leserbriefe spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wieder". Emmert übersieht dabei allerdings, dass seine Verantwortlichkeit nicht nur für den redaktionell bearbeiteten Teil gilt, sondern eingeschränkt auch für Leserbriefe oder Anzeigen. So bleibt Emmert aus presserechtlicher Sicht mindestens als Verbreiter der Inhalte verantwortlich. Aus dieser sogenannten Verbreiterhaftung können sich presserechtliche Ansprüche Betroffener ergeben.

Um die Aufmerksamkeit auf Leserbriefe zu lenken, verwendet Emmert diese Texte nicht selten als "Aufmacher" auf der ersten Seite. Auch online werden Leserbriefe - in der Rubrik "Aktuelle Nachrichten" - tagelang an oberster Stelle gehalten. Bei dieser Methode kommt es zwar auf jeden Einzelfall an, dennoch fragt sich, ob Emmerts distanzierende Hinweise, der Verwendung von Leserbriefen als "Aufmacher" widersprechen. Auf MDR-Anfrage teilte Emmert dazu mit: "Kommentare unserer Leser - egal ob sie stimmen oder nicht - machen wir uns genauso wenig zu eigen, wie sich der MDR jeden Stuss zu eigen macht, den irgendjemand in MDR-Kameras spricht. Wir gewähren aber jedermann das Recht, seine Meinung zu äußern und zwar selbst dann, wenn er Unsinn redet." Nach eigenen Angaben liegen weder der Thüringer Landesmedienanstalt (zuständig für die Online-Ausgabe) noch dem Deutschen Presserat Beschwerden über das Blatt vor. Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN finden sich darin keine strafbaren Inhalte, die nicht von der Pressefreiheit gedeckt sind.

Auslagestellen distanzieren sich

Laut Kurier-Verlag liegt oder lag die "Rundschau" zur kostenlosen Mitnahme in Tankstellen, Rathäusern, Geschäften oder Supermärkten im Landkreis Hildburghausen aus. Inzwischen aber sind mehrere Auslagestellen auf Distanz zu dem Blatt gegangenen und untersagen die weitere Auslage in ihren Einrichtungen. So wie die Deutsche Post AG, die mit einem Partner eine Filiale in Brattendorf betreibt. Ein Konzern-Sprecher teilt auf Anfrage mit: "Der Partner wird die besagte Publikation ab sofort nicht mehr in seiner Post-Partnerfiliale auslegen. Wir haben eine deutliche Verwarnung ausgesprochen, aber der Partner bleibt im Spiel, weil er sich künftig an die Spielregeln halten will. Damit ist das Thema aus unserer Sicht erst einmal geklärt; wir werden aber weiter genau hinschauen."

Landrat Müller: Auslage der Südthüringer Rundschau kontraproduktiv

Landrat Thomas Müller (CDU), in dessen Amt die Gratis-Zeitung schon seit Längerem nicht mehr ausliegt, hält es für "höchst bedenklich", dass "in manchen Teilen der Gesellschaft die Augen vor der Wahrheit, den nachweislichen Fakten wie dem enormen Infektionsgeschehen oder der Sinnhaftigkeit der Schutzimpfung" verschlossen werden. "Da die Meinungen und Ansichten des Blatts und die unserer Kreisbehörde stark voneinander abweichen", ergänzt Müller, "betrachten wir eine Auslage in unserem Haus als kontraproduktiv und würden darauf verzichten." Auch der Bürgermeister von Masserberg, Denis Wagner (CDU), distanziert sich gegenüber MDR THÜRINGEN deutlich von dem Blatt. Dem Kurier-Verlag habe er untersagt, die Publikation weiterhin an sein Rathaus zu liefern.

Andere Töne sind hingegen aus Heldburg zu hören. Dort liegt die Südthüringer Rundschau in der Touristeninformation aus. Auf MDR-Anfrage spricht sich Bürgermeister Christopher Other (CDU) dafür aus, daran nichts zu ändern. Wörtlich teilt Other mit: "Das Serviceangebot der 'Südthüringer Rundschau' erstreckt sich auf alle Ortsteile der Stadt. Es belebt mit Sicherheit die Debatten um aktuelle Streitpunkte in der Gesellschaft, und das ist ja nicht schädlich. Es sollte jeder Leser einfach selbst beurteilen können, wie er die Texte und Leserbriefe aus der 'Südthüringer Rundschau' in seine eigene Meinungsbildung einfließen lässt."


Anmerkung der Redaktion: Der Autor Ramin Peymani legt Wert auf die Feststellung, dass das Portal "PI News" Beiträge von ihm ohne sein Wissen veröffentlicht habe. Er habe die Redaktion nach Veröffentlichung des MDR-Beitrags aufgefordert, sämtliche seiner Texte zu löschen. Dieser Aufforderung sei die Redaktion umgehend nachgekommen.

Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 17. Dezember 2021 | 18:00 Uhr

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