Migration Dreckige Klos, keine Privatsphäre: Wie Flüchtlinge den Alltag in der Hermsdorfer Unterkunft erleben

19. Dezember 2023, 08:13 Uhr

Verschimmeltes Essen, dreckige Klos und Schlägereien: Auf engem Raum sind am Rande von Hermsdorf mehr als 600 geflüchtete Männer in einer Halle untergebracht. Sie warten darauf, dass es weitergeht. Ein Besuch vor Ort.

David Straub schaut in die Kamera.
Bildrechte: Privat

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Ein gutes Dutzend Männer sitzt um den Tisch. Erschöpft sehen sie aus. Wütend werden sie, wenn sie vom "Camp" erzählen. Wir treffen die Männer, fast alle Syrer und kaum einer älter als 40 Jahre, in einem geschützten Raum in der Hermsdorfer Innenstadt. Ein Dolmetscher ist dabei. Die Männer sind Flüchtlinge und kommen an diesem Abend direkt aus der Halle am Stadtrand, in der sie untergebracht sind. "Drei Monate bin ich schon dort", sagt einer - andere berichten von vier oder sieben Monaten. 

Seit Wochen wird in Thüringen und im ganzen Land wieder einmal über die Flüchtlings- und Asylpolitik diskutiert. Es geht um schnellere Abschiebungen, die zügige Integration der Migranten in den Arbeitsmarkt oder das Ächzen der Kommunen bei der Unterbringung der Menschen. Selten kommen dabei aber die Menschen zu Wort, die all das direkt betrifft: die Geflüchteten selbst. 

Asylbewerber kritisieren Unterbringung

Weil uns das zuständige Thüringer Landesverwaltungsamt mit Blick auf eine "bestehende Infektionslage" nicht erlaubt, die Halle zu betreten und dort Interviews zu führen, sind wir auf die Schilderungen der Geflüchteten angewiesen. Alle Männer wollen anonym bleiben, sie fürchten negative Konsequenzen. In diesem Text haben sie deshalb andere Namen. 

Sie eint Unverständnis und Wut: "Wir sind Hunderte da drin, es gibt sechs Waschmaschinen und vier davon sind momentan kaputt", sagt zum Beispiel Kenan. Noch deutlicher wird Hakim: "Auch das Gefängnis ist besser als ein Lager." Sogar die Bewohner, die erst ein paar Tage da seien, wollten sofort wieder raus. 

Kaum Privatsphäre 

Die Männer beschreiben, wie sie seit Monaten leben. In der offenen, ehemaligen Lagerhalle sind mit Bauzäunen kleine Bereiche abgesteckt. Darin stehen Doppelstockbetten für je acht Menschen. Privatsphäre gibt es eigentlich nicht - der Lärmpegel in der Halle schwillt selten ab.

Du hast hier nichts und man kann nichts machen.

Asylbewerber in Hermsdorf

Die Bewohner versuchen, ihre Betten mit Decken oder Laken abzuhängen, um zumindest etwas Ruhe zu bekommen - so zeigen es auch Fotos aus der Halle. "Wenn ich alleine sein möchte, gehe ich raus. Aber es ist kalt und die Straßen sind leer. Du hast hier nichts und man kann nichts machen", erzählt einer der Männer.

Außerdem kritisieren die Männer die Essensausgabe. Es gebe zu wenig oder schlechtes Essen. Ein Foto aus der Halle zeigt beispielsweise eine Toast-Packung. Die Scheiben darin sind teilweise angeschimmelt.

Das Foto ist schon ein paar Wochen alt. Und so betont das Thüringer Innenministerium auf MDR-Anfrage, dass die Probleme mit dem Caterer mittlerweile abgestellt seien. Generell habe sich die Essensversorgung zuletzt verbessert. Bei dem schimmligen Brot habe das Landesverwaltungsamt sofort gehandelt und die Gespräche mit dem Caterer gesucht.

Adventskalender für mehr Aufmerksamkeit

Unterstützerinnen und Unterstützer der Asylbewerber aus Jena und Erfurt wollen auf die Lage der Männer in der Halle aufmerksam machen. Sie posten derzeit täglich ein Video in den sozialen Medien - den Adventskalender "Behind Closed Doors". Die Videos stammen von den Geflüchteten selbst und werden auch uns zugespielt.

Sie machen ein weiteres Problem deutlich: die Hygiene. Überquellende Mülleimer oder verdreckte Böden scheinen an der Tagesordnung zu sein. Auch die Toiletten und Duschen seien selten sauber, berichten sie an diesem Abend. "Einen Reinigungsdienst gibt es", sagt einer, "aber der kommt nur, wenn das Fernsehen da ist oder eine wichtige Person vorbeischaut."

Hier widerspricht das Landesverwaltungsamt auf Anfrage: "Die Sanitäranlagen werden regelmäßig, mehrmals täglich von einem beauftragten Reinigungsunternehmen gereinigt. Die Bewohner sind auch selbst in der Pflicht, Verschmutzung und Vermüllung zu vermeiden und persönliche Abfälle zu beseitigen." Mangelnde Privatsphäre sei zudem nicht ein spezifisches Problem in der Hermsdorfer Halle, sondern gebe es auch in den "anderen Erstaufnahmeeinrichtungen bzw. Gemeinschaftsunterkünfte". 

Streits sind vorprogrammiert 

Während des Interviews führt das Thema Sauberkeit zu Diskussionen. Manche der Männer in der Runde fordern die anderen auf, in Zukunft besser zusammenzuarbeiten und gemeinsam den Ort sauber zu halten. Andere beschuldigen Mitbewohner, nicht sauber genug zu sein und nicht mitputzen zu wollen. Bei mehr als 600 oft jungen Männern aus unterschiedlichen Nationen auf engem Raum scheint Streit nicht weit. Das weiß auch Kenan: "Die Stimmung ist hitzig. Es gibt viel Streit."

Zuletzt endete das in einer großen Schlägerei. Auch der MDR berichtete darüber. 15 Bewohner wurden daraufhin in die eigentliche, aber ebenfalls volle Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl geschickt, um die Lage zu beruhigen.

Ein weiteres internes Video zeigt, wie eine Gruppe Bewohner mit zwei Mitarbeitern der Sicherheitsfirma diskutiert. Einer der Wachmänner wird wütend, tritt gegen einen Stuhl - sein Kollege schleudert ihn daraufhin sogar durch den Raum. Worum es geht, wird nicht klar. Ein weiterer Mitarbeiter kann die Situation beruhigen. Doch die Aufnahme macht das Konfliktpotenzial in der Halle deutlich.

Flüchtlinge kritisieren ärztliche Versorgung 

Im Interview kritisieren die Geflüchteten auch die Gesundheitsversorgung vor Ort. "Wenn wir zum Arzt wollen", sagt Mohanad, "ist das ganz schwierig. Sie holen nur in ganz schweren Fällen jemanden." Die Männer berichten übereinstimmend, dass sie ansonsten nur in die Unterkunft nach Eisenberg könnten, wo eine einzige Pflegekraft Tabletten ausgebe. Tabletten, so sagen sie, die immer dieselben seien und nichts bewirkten. 

Das Landesverwaltungsamt bestätigt auf Anfrage, dass es in der Hermsdorfer Unterkunft für die mehreren hundert Männer keine "akute Versorgung" gibt. "Eine notwendige akute Versorgung" gebe es nur in der anderen Außenstelle, in Eisenberg. Oder "in den örtlichen medizinischen Einrichtungen". Wie sich die Asylbewerber, die oftmals kein Wort Deutsch oder Englisch sprechen, dort helfen lassen sollen, bleibt aber offen. 

Wie so oft scheint dem zuständigen Landesverwaltungsamt dabei vor allem wegen des Geldes die Hände gebunden zu sein: Denn das gebe es nur "im Rahmen der Asylbewerberleistungen, die nur in akut notwendigen Fällen gewährleistet" werden. Es klingt, als ob bei Verletzungen, Allergien oder nicht akuten Krankheitsfällen, die beispielsweise auch von einer langen Flucht herrühren können, der deutsche Staat nicht einspringt.

Nadelöhr nach Thüringen verstopft

Hermsdorf ist neben Eisenberg und der eigentlichen Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl ein sehr zentraler Ort für alle Asylsuchenden: Ein Nadelöhr, wo sie registriert und wo die Interviews vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) geführt werden sollen. Ein verstopftes Nadelöhr könnte man sagen.  

Laut Thüringer Landesverwaltungsamt schwanken die Zahlen der Bewohner in Hermsdorf. Momentan sind es die bereits genannten gut 600, ein paar weniger als noch vor wenigen Wochen. Dass nur Männer dort untergebracht sind, begründet das Amt damit, dass die ehemalige Produktionshalle "nicht über das Maß an Privatsphäre verfügt, das besonders schutzbedürftigen Geflüchteten wie Frauen und Kindern gewährt werden soll".

Hermsdorf ist ein Notquartier und wir sind dort immer nur von einer Aufenthaltsdauer von drei bis vier Tagen ausgegangen.

Frank Roßner Thüringer Landesverwaltungsamt

Verschiedene Gründe für lange Wartezeiten

Doch warum dauert es oft so lange, bis die Menschen dezentral in den Kommunen unterkommen können? Der "Deutschen Presseagentur" sagte der Präsident des Thüringer Landesverwaltungsamtes Frank Roßner Mitte dieser Woche: "Hermsdorf ist ein Notquartier und wir sind dort immer nur von einer Aufenthaltsdauer von drei bis vier Tagen ausgegangen." Seine Behörde würde daher am liebsten die Zahl der Geflüchteten vor Ort nach unten bringen. Roßner setzt deshalb unter anderem auf die neue Unterkunft in Gera, wo ab dem neuen Jahr bis zu 200 Menschen zusätzlich unterkommen sollen.

Ein Grund für die Verzögerungen seien Fälle von Krätze in den vergangenen Wochen und auch ein Fall von Tuberkulose, der noch aufgeklärt werden müsse. Doch es ist nicht der einzige Grund: Dem MDR teilt das Verwaltungsamt mit, dass auch die begrenzten Aufnahmekapazitäten der Kommunen zu den langen Wartezeiten führten.

Bewohner widersprechen Landesverwaltungsamt 

Bezogen auf die beschriebenen Erkrankungen passt die Darstellung des Landesverwaltungsamtes jedoch nicht ganz zu den Schilderungen der Asylbewerber. Die Männer beschreiben, dass zwar immer wieder Tuberkulose-Tests gemacht würden. Dabei sei bislang aber noch nie ein Ergebnis herausgekommen, sagen sie. Alle der vermeintlichen Tuberkulose-Betroffenen seien gesund. Außerdem hätten sie noch nie mitbekommen, dass vermeintliche Krankheitsfälle zu Konsequenzen geführt hätten: "Wenn die Leute es hätten, warum wurde bislang niemand abgetrennt, in Quarantäne gebracht?"

Migranten fühlen sich schlecht informiert 

Im Interview klingt durch, wie allein gelassen und schlecht informiert sich die Männer fühlen. Ein Teil von ihnen hätte bereits die obligatorischen Interviews mit dem Bamf gehabt, sagen sie. Andere hätten erst in einigen Wochen einen Termin, "aber niemand weiß, wann wir rauskommen". Und es gibt auch diejenigen, die bereits einen gültigen Aufenthaltstitel haben, aber immer noch in der Halle leben. Weil sie nicht wüssten, wohin. "Es ist einfach nicht klar, wie es weitergeht", erklärt Mohanad. 

Die Unzufriedenheit der Bewohner gipfelte vor zwei Wochen sogar in einem Hungerstreik. Sie hätten das Essen boykottiert, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und einen "Transfer" zu erzwingen, erklären sie. Sprich: um also endlich aus der Unterkunft rauszukommen.

Doch der Streik dauert nicht lange. Bereits nach einem Tag brechen sie ihn ab: "Nach 24 Stunden kam die Polizei und die Heimleitung", erklärt Kenan. "Sie haben gesagt, morgen lösen wir das Problem und wir geben euch Tickets, damit ihr nach Erfurt fahren könnt, zum Hauptstandort des DRK, um euch dort zu beschweren. Aber passiert ist das nicht."

Seitdem hätten sie in die Heimleitung und in das DRK, das vor Ort der soziale Dienstleister ist, das Vertrauen verloren. Über all das hätten wir gerne mit dem zuständigen DRK Kreisverband Gera-Stadt gesprochen. Doch anders als mit der "Ostthüringer Zeitung" wollte das DRK in dieser Woche nicht mit dem MDR über die Situation in der Hermsdorfer Halle reden. 

Wir verschwenden unsere Zeit.

Khaled

Direkt nachdem wir das Interview in Hermsdorf beenden, holt einer der Männer einen Zettel hervor und liest ihn uns vor. Wir nennen den Mann Khaled. Im Gespräch hatte er sich kaum geäußert, doch jetzt will Khaled seine Gedanken und Wünsche, ordentlich notiert, noch loswerden. "Ich bin aus Syrien wegen des Kriegs geflohen. Ich bin nicht nach Deutschland gekommen, um einfach nur Essen zu bekommen", sagt er. "Wir sind Kriegsflüchtlinge und auf der Suche nach Sicherheit hierhergekommen. Deswegen sind wir in Deutschland und nicht in einem anderen Land."

Wie alle anderen Männer an diesem Abend betont auch Khaled seine Dankbarkeit, in Deutschland sein zu dürfen. Aber: "Wir wollen endlich richtig ankommen und arbeiten. Wir verschwenden unsere Zeit."

Mehr zur Situation von Asylbewerbern in Thüringen

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 13. Dezember 2023 | 14:00 Uhr

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