Interview Kassablanca Jena: 30 Jahre Subkultur in Ostdeutschland
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12. März 2023, 16:05 Uhr
Seit mehr als 30 Jahren ist das Kassablanca in Jena eine Institution - als soziokulturelles Zentrum, als Veranstaltungsort, als Freiraum. Unter dem Titel "... man war ja noch jung" hat der Autor und Journalist Christian Gesellmann der Geschichte des Clubs ein Buch gewidmet. Neben historischen Dokumenten und Bildern aus der Vergangenheit des "Kassas" kommen vor allem Zeitzeugen zu Wort, die ihre ganze eigene Sicht auf einen von Thüringens bekanntesten Veranstaltungsorten schildern. Ein Interview.
Inhalt des Artikels:
- Wie sind Sie dazu gekommen, ein Buch über das Kassablanca in Jena zu schreiben?
- Was erwartet die Leserinnen und Leser in dem Buch?
- Was hat es mit dem Titel "man war ja noch jung" auf sich?
- Welche Bedeutung hat das Kassablanca Ihrer Meinung nach für die Stadt Jena?
- Gab es schon Feedback zum Buch?
- Wie geht es bei Ihnen jetzt weiter? Gibt es schon neue Projekte?
Über das Kassablanca
Der Kassablanca Gleis 1 e.V. bemüht sich seit 1990 um die Bereicherung der lokalen und überregionalen Musik- und Kulturlandschaft. Neben festen Klubabenden in den Bereichen House/Techno, Drum and Bass, HipHop und Darkwave gibt es Konzerte jeglicher musikalischer Couleur. Dazu gehören unter anderem Ska, Reggae, Punk, Indie und Rap. Zum Kassablanca als soziokulturelles Zentrum gehören aber nicht nur Tanz- und Musikveranstaltungen. Zum Programm gehören darüber hinaus etwa Kinovorstellungen, Literaturabende, Workshops sowie Kollaborationen mit dem Jenaer Theater und ein Tagescafé.
Quelle: kassablanca.de
Wie sind Sie dazu gekommen, ein Buch über das Kassablanca in Jena zu schreiben?
Ich habe in Jena studiert. Es ist aber nicht so, als wäre ich dauernd im Kassa gewesen. Nach meinem Studium bin ich weggezogen, später hat es mich aber noch mal nach Jena verschlagen. Ich war zu der Zeit als freier Journalist tätig und habe eine Reportage gemacht, die mit dem Kassa im Zusammenhang stand. Vor ein paar Jahren hatte eine Gruppe Schülerinnen einen offenen Brief verfasst, in dem sie sich über sexuelle Belästigung in den Jenaer Clubs beschwerte. Das ging ziemlich groß durch die Medien. Ich selbst bin aber erst ein Jahr später auf den Brief gestoßen und habe mich gefragt, was daraus geworden ist.
Es geht auch drum, mal Lösungen zu zeigen. Also das, was nach dem Meckern kommt.
Eigentlich hatte ich erwartet, dass das Übliche passiert. Dass es halt viel Widerstand gibt und die Diskussion sich immer weiter vom eigentlichen Thema entfernt. Und ja, auch hier wurde dann irgendwann über Migration diskutiert. Es gab da aber noch eine andere Seite - ganz anders, als ich erwartet hatte. Das ist eine unglaublich positive Geschichte gewesen, weil diese Schülerinnen sehr direkt und schnell Antwort bekamen.
Nur ein paar Tage später hat sie Jenakultur (Anm. d. Red: ein städtischer Eigenbetrieb) mit den Klubs an einen Tisch gebracht, um zu reden. Die Clubs nahmen die Kritik an und reagierten auf die Vorschläge, wie Dinge künftig besser gemacht werden könnten. Das war alles so konstruktiv. Und das fand ich einfach bemerkenswert und habe das dann mal aufgeschrieben.
Der erste Club, der auf den Brief reagierte, war das Kassablanca. Und dass quasi der "Kulturamtsleiter" das Treffen mit den Clubs arrangiert, hat man sicher auch nicht in jeder Stadt. Hier war das möglich, weil er früher selbst im Kassablanca Türsteher war und auch im Buch zu Wort kommt.
Eine andere Erfahrung, die ich mit Journalismus gemacht habe, ist, dass kritischer Journalismus zwar wichtig ist. Aber es ist ja nicht alles, was Journalismus kann und tun sollte. Nein, es geht auch drum, mal Lösungen zu zeigen. Also das, was nach dem Meckern kommt.
Wie das alles zusammenhängt? Einige Monate nach dem offenen Brief schrieb die Stadt Jena ihr nach Clara und Eduard Rosenthal benanntes Stipendium neu aus. Erstmals war das mit einem konkreten Arbeitsauftrag verbunden: die Geschichte von 30 Jahren Kassablanca Jena näher beleuchten und Zeitzeugen interviewen. Ich bewarb mich darauf und hatte, glaube ich, durch meinen Artikel eine ganz gut Ausgangsposition. Ich habe das Stipendium dann bekommen.
Was erwartet die Leserinnen und Leser in dem Buch?
Hauptinhalt des Buchs sind Interviews mit Menschen, die irgendwie mit der Geschichte des Kassas in Verbindung stehen. Da sind Leute dabei, die das Kassablanca 30 Jahre lang verfolgt haben und es in die Lokalgeschichte einordnen können. Es sind Leute dabei, die hier als Jugendliche praktisch ein Obdach gefunden haben, nachdem ihre besetzten Häuser in den 90er-Jahren von Neonazis verwüstet wurden.
Und es sind auch Leute dabei, die arbeiten im Kassablanca seit 30 Jahren als Booker - sie organisieren unter anderem für Bands und Musiker Auftritte. Ebenso kommen Künstler zu Wort, wie Clueso oder Rainald Grebe. Die sagen: "Das war künstlerisch für mich eine Zeit...die hat meine ganze Karriere geprägt." Ich habe eben versucht, möglichst viele Aspekte irgendwie abzudecken. Und tatsächlich sind ja viele auch noch aktiv, machen Veranstaltungen, legen Musik auf oder sind in Jena geblieben. Das war ein riesen Vorteil.
Auch mit im Buch ist der ehemalige und erste Sozialbürgermeister nach der Wende, weil er viel über die Nachwende-Zeit berichten und einordnen kann. Wer hat eigentlich Sozialarbeit gemacht und was waren die Voraussetzungen dafür? Wer hat bestimmt, wie Sozialarbeit aussieht? Welchen gesetzlichen Rahmen gab es und wie sahen die Realitäten aus?
Was hat es mit dem Titel "man war ja noch jung" auf sich?
Das ist eigentlich ein Zitat von Clueso. Wir haben uns in Erfurt am Zughafen getroffen und er hat das super auf den Punkt gebracht, wie wichtig das Kassablanca war, dass sich überhaupt so etwas wie eine Kreativwirtschaft etablieren konnte. Und zweitens hat er beschrieben, wie er und seine Freunde früher unterwegs waren. Klar war das auch wild und es ging mal was zu Bruch. Er hat beschrieben, dass es ganz wenige Orte gab, wo sich junge Menschen bewegen konnten, ohne gleich Straftäter zu sein. Weil neben dem ganzen Mist, der zu Wendezeiten für viele Jugendliche auch passiert ist - Eltern keine Zeit, trübe Aussichten, viel Gewalt - "war man ja auch noch jung".
Es läuft eher so: Leute haben eine Idee und suchen einen Raum dafür - und können ihn im Kassablanca bekommen.
Man wollte auch noch irgendwie ein bisschen feiern, ein bisschen kreativ sein - einfach jung sein. Das ist eine Sache, die mich auch überrascht hat und die ich so nicht vorausgesehen habe - die ich aber ganz wichtig finde an vielen Stellen im Buch, bei vielen Interviews: Dass Leute, die zur Wendezeit jung waren, mal erzählen, was eigentlich ihre Perspektive war damals. Wie sich das für sie angefühlt hat und wie sie damit umgegangen sind, als sich quasi über Nacht so viel verändert hat. Das hat Clueso mit "man war ja auch noch jung" alles ganz gut auf den Punkt gebracht.
Welche Bedeutung hat das Kassablanca Ihrer Meinung nach für die Stadt Jena?
Es sind drei verschiedene Dinge. So ein Ort wie das Kassablanca kann den Unterschied bei der Entscheidung machen: Ziehe ich weg oder bleibe ich hier? Gibt es einen Ort, wo die Kultur stattfindet, die mich interessiert und die mich bindet - und wo ich mich auch selber ausleben kann? Das ist auch so eine Sache, die vielleicht weniger bekannt ist. Ein Großteil der Veranstaltungen im Kassa sind gar keine Konzerte oder Partys, sondern andere Angebote. Bildungspolitische Veranstaltungen oder Workshops, Veranstaltungen für Jugendliche, bei denen man sich einbringen oder bei denen man etwas lernen kann. Man bekommt hier keinen Stundenplan vorgesetzt. Es läuft eher so: Leute haben eine Idee und suchen einen Raum dafür - und können ihn im Kassablanca bekommen.
Ich glaube, man ist Jena auch ein bisschen zu bescheiden, wie man die Rolle des Kassablanca vermarktet.
Das andere ist der wirtschaftliche Faktor - ein Anker für die Kreativwirtschaft zu sein. Daraus ergeben sich zum Beispiel unglaublich viele Berufsausbildungen, die man im Kassablanca machen kann. Die Menge an Qualität in diesen Veranstaltungsbereichen könnte ohne das Kassablanca nur schwer oder gar nicht abgedeckt werden. Dann ist es natürlich auch ein touristischer Faktor. Leute kommen nach Jena, um Partys, Konzerte und andere Veranstaltungen zu besuchen. Das ist für Jena eigentlich ein riesen Marketing. Ich würde mal behaupten, westdeutsche Städte würden - wenn sie so etwas wie das Kassa hätten - das viel mehr für sich nutzen. Ich glaube, man ist Jena auch ein bisschen zu bescheiden, wie man die Rolle des Kassablancas vermarktet.
Und das Dritte ist das, was man überhaupt nicht überschätzen kann. Das ist die Kompetenz beim Thema Sozialarbeit, die in Jena auch dadurch hergestellt ist, dass man hier viel mehr mit freien Trägern wie dem Kassablanca gearbeitet hat. Und Sozialarbeit funktioniert einfach am besten, wenn Jugendliche nicht das Gefühl haben, sie sind hier in einer Sozialarbeitsmaßnahme. Das lässt sich nicht von einer Behörde planen. Das ist auch das Schöne an dem Interview mit dem Sozialbürgermeister - dass er nochmal anschaulich gemacht hat, warum man sich das heute gar nicht mehr ausdenken kann. Damals gab es auch in der Verwaltung mehr Freiheiten, heute ist alles viel reglementierter.
Gab es schon Feedback zum Buch?
Also, worüber ich mich sehr gefreut habe, waren einerseits die Feedbacks von den Leuten, die ich interviewt habe. Die haben mir zum Beispiel um die Weihnachtszeit oder gegen Ende des Jahres geschrieben, dass sie sich viel aufgeräumter fühlen bei vielen Fragen, die sie lange beschäftigt haben. Und vielleicht haben sie gar nicht gewusst, dass es sie so umtreibt. Dass sie ein bisschen mehr Klarheit gefunden haben, ist ein super persönliches Feedback. Ich finde, das ist die schönste Aufgabe, die man als Journalist haben kann. Wenn man es bei jemandem förmlich "klicken" hören kann.
Was mir persönlich ganz gut getan hat, ist, dass das Buch beispielsweise dem Ata (Anm. d. Red: DJ sowie Label- und Clubbetreiber) vom Robert Johnson (Anm. d. Red: ein bekannter Technoclub in Offenbach) unglaublich gut gefallen hat und er es in seinen Shop aufgenommen hat. Und man kann jetzt über das Robert Johnson das Buch vom Kassablanca in Jena kaufen. Oder auch DJ Tanith - also jemand, der den Club Tresor und Techno in Berlin mitinitiiert und mitgeprägt hat. Der sagt: "Super Buch und super Geschichten. Ganz anders als bei uns, aber trotzdem waren wir ja auch Teil davon und haben was gelernt". Und wenn jemand sagt, der seit 30 Jahren Techno lebt, er lernt aus dem Buch noch etwas - das ist schon schön.
Wie geht es bei Ihnen jetzt weiter? Gibt es schon neue Projekte?
Vielleicht wird es ein Buch über die Ultra-Kultur. Aber da weiß ich nicht, ob das so funktioniert. Was mich jetzt aber schon seit ein paar Jahren immer so nebenbei beschäftigt und was ich gerne als nächstes Projekt machen würde, ist ein Buch über Salman Schocken. Das war ein jüdischer Unternehmer aus Zwickau. Der hat eine Kaufhauskette gegründet und daraus ist ein großes Imperium entstanden. Das war eine der größten Kaufhausketten in Deutschland. Er hat aber auch einen Verlag gegründet, den Schocken Verlag, und ist damit einer der wichtigsten jüdischen Verleger der Moderne geworden. Das wissen nicht viele Leute, auch in Zwickau nicht. In fast jeder ostdeutschen Stadt findet man ähnliche jüdische Geschichten, die heute kaum bekannt sind. Dass man sich heute nicht an sie erinnert, ist eine Kontinuität ihrer Auslöschung durch die Nationalsozialisten. Deshalb ist das ein Projekt, das mir am Herzen liegt.
Über den Autor Christian Gesellmann Christian Gesellmann ist 1984 in Zwickau geboren und lebt derzeit in Leipzig. Er studierte in Jena und Perugia Neue Deutsche Literatur, Politikwissenschaft und Neuere Geschichte. Seit 2011 arbeitet er als Redakteur und berichtet seit 2015 als freier Journalist unter anderem für "Die Zeit", "Tagesspiegel", "Deutschlandfunk" und "Krautreporter". Als Reporter war er unter anderem in Afghanistan, China, Kosovo, Libanon, Russland und der Ukraine. Für die Recherche zum Buch "man war ja auch noch jung" erhielt er das Clara- und Eduard Rosenthal-Stipendium der Stadt Jena sowie das Neustart-Kultur-Stipendium der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.
MDR (cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 05. Januar 2023 | 19:00 Uhr
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