Verkehr Viadukt in Weida: Denkmalschutz fordert neues Gutachten vor Abriss
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19. Mai 2023, 15:41 Uhr
Im Streit um den Erhalt des stillgelegten Eisenbahn-Viadukts über das Oschütztal in Weida hat sich der Denkmalschutz zu Wort gemeldet. Er fordert von der Bahn ein neues Gutachten zum Zustand des vermeintlich abrissreifen Bauwerks.
Nur ein paar platt gedrückte Brennnesseln unter dem Brückenkopf des Viadukts an der Schänkenbergstraße zeugen noch davon, dass dort einige Wochen einige sehr schwere Steine gelegen haben. Am 15. März war ein Lkw mit Ladekran angerückt. "Jetzt reißen Sie wohl die Brücke ab, habe ich die Arbeiter gefragt", erzählt eine Anwohnerin. Namentlich möchte sie nicht genannt werden. "Nein, wir sichern die", soll der Mitarbeiter eines regional ansässigen Abrissunternehmens ihr geantwortet haben. "Die haben mit ihrem Bagger feste gerüttelt und mehr Schaden gemacht", berichtet der Ehemann der rüstigen Seniorin.
Auf Nachfrage erklärt die Deutsche Bahn als Eigentümerin des Viadukts: "Die punktuelle Entfernung von losen Teilen im Auftrag der DB war notwendig, um Fahrzeuge und Bürger zu schützen." Zwei Monate liegen die Steine im Gestrüpp, bis die Baufirma sie am 15. Mai abholt - gut zwei Stunden, bevor ein Kamerateam von MDR THÜRINGEN für Dreharbeiten auftaucht.
Denkmalschutz: Arbeiten haben "eher geschädigt als gesichert"
Bei den Denkmalschutzbehörden in Greiz und Erfurt sorgte das Vorgehen für ungläubiges Kopfschütteln. "Uns wurde nicht Bescheid gesagt. Das Fahrzeug mit dem Bagger rückte an und hat diese Eingriffe vorgenommen. Aus unserer Sicht sehr, sehr unprofessionell. Man hat Steine aus dem Verbund gerissen, hat die nach unten geworfen, teilweise sind Steine zerstört worden. Und man hat den Pfeiler eher geschädigt als gesichert", sagt Jörg Metzner, der Leiter der Unteren Denkmalschutzbehörde im Landratsamt Greiz.
Das Oschütztal-Viadukt ist denkmalgeschützt. Damit müssen auch Sicherungsarbeiten bei der Behörde angezeigt werden. Metzner prüft nun, ob es sich bei dem Vorgang um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Mehrere Vertreter der Bahn, aber auch das Bauunternehmen wurden angeschrieben. Ihnen droht ein Bußgeld. "Wir prüfen auch, ob die Bahn die Schadstelle sichern muss, also abdecken zum Beispiel", erklärt der Leiter der Greizer Denkmalschutzbehörde.
Bahn zweifelt an Denkmalstatus
Das Oschütztal-Viadukt war 1884 nach Plänen des Architekten Claus Köpcke erbaut worden und steht seit 1977 unter Denkmalschutz. Die Deutsche Bahn zweifelt diesen Schutzstatus immer wieder an. Am 26. April beantragte sie beim Eisenbahnbundesamt das Planrecht für den Rückbau des Viadukts. Nach Informationen von MDR THÜRINGEN favorisiert die Bahn eine Sprengung. Eine Interviewanfrage zu den Rückbauplänen lehnt das Unternehmen ab. Der Konzern erklärt, er sei im Austausch mit dem Eisenbahn-Bundesamt und der Denkmalschutzbehörde und wolle keine Zwischenstände kommunizieren. Dies würde die Zusammenarbeit mit den Behörden erschweren.
Schwierige Kommunikation zwischen Bahn und Behörden
Genau diese Zusammenarbeit fand seit Anfang März aber wohl nicht statt. Das haben Nachfragen bei Staatskanzlei, Thüringer Landesamt für Denkmalschutz und Archäologie sowie bei der Unteren Denkmalschutzbehörde in Greiz ergeben.
Am 7. März war die Bundesstraße unter dem Viadukt gesperrt worden, weil nach einem Gutachten der Bahn unter anderem Holz- und Eisenteile herabzufallen drohten. Bis zur Einhausung der Bundesstraße führte die Sperrung zum Verkehrschaos in der Osterburgstadt Weida mit ihren schmalen Straßen, denn kurz zuvor war eine mögliche Alternativroute wegen Brückenbauarbeiten gesperrt worden.
Förderverein: Bahn sah Viadukt schon immer vor dem Kollaps
Martin Titscher, der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Oschütztal-Viadukt, sieht darin keinen Zufall. "Damit sollte Druck gemacht werden", ist er sich sicher. Titscher und seine Mitstreiter kennen das Viadukt wie ihre Westentasche. "Es gab immer wieder Gutachten von der Bahn beziehungsweise der Reichsbahn, die zu dem Schluss kommen, dass das Viadukt übermorgen zusammenfällt", schimpft er.
Dabei erinnert sich der Fördervereinschef an die ein oder andere Episode. "Es gab mal ein Gespräch mit DB Immobilien in Leipzig. Da hat mir der damals zuständige Sachbearbeiter gesagt: 'Ich stelle doch jetzt keine Mittel ein. Wenn ich nächstes Jahr befördert werde, brauche ich eine gute Bilanz. Da werde ich hier kein Geld in dieses Bauwerk stecken'".
Natürlich müsse das Viadukt dringend saniert werden, räumt Titscher ein. "Aber die Schäden sind nicht eklatant." Auch die Thüringer Staatskanzlei erklärt: "Die DB AG hat über Jahrzehnte die Verpflichtungen zum Erhalt des Kulturdenkmals vernachlässigt und scheint sich nun durch einen unangekündigten Abbruchantrag der Erhaltungspflicht aus der Vergangenheit und in der Zukunft entledigen zu wollen."
Metallbau-Experte verweist auf korrosionsträgen Stahl
Dass es um das Viadukt nicht so schlecht steht, wie die Bahn behauptet, glaubt auch Professor Torsten Laufs von der Hochschule Mittweida in Sachsen. Der Bauingenieur und Metallbau-Experte hatte 1996 als junger Mann eine Woche in den Seilen gehangen, jede Verbindung der Brücke geprüft und Schadstellen kartiert. Sein Team untersuchte damals Materialproben und stellte eine hohe Phosphorkonzentration fest. "Phosphor begünstigt Korrosionsträgheit. Wir haben also damals festgestellt, dass diese Brücke korrosionsträge ist, aber trotzdem was gemacht werden muss", sagt Laufs im MDR THÜRINGEN-Interview.
Passiert ist allerdings nichts. Die Bahn untersuchte das Viadukt nach eigenen Angaben regelmäßig im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht. Zuletzt wurde 2022 am Widerlager gearbeitet. Doch da die Brücke seit Jahren nicht mehr belastet wird, geht Laufs davon aus, dass sie noch immer tragfähig ist. Das Gutachten in den 90er Jahren hatte ergeben, dass eine Sanierung für 2 bis 2,5 Millionen D-Mark möglich ist. Laufs rechnet heute mit der gleichen Summe in Euro plus einen Betrag X.
Sanierung des Viadukts aufwändig, aber wohl machbar
Die Idee, wonach die Bahn das Bauwerk wohl sprengen möchte, hält der Ingenieur für gewagt. "Die Brücke auszuheben ist viel einfacher." Ähnlich würde er auch bei einer Sanierung vorgehen: Die Brücke in ihre drei großen und zwei kleineren Einzelteile zerlegen und am Boden liegend oder geschützt in einer Halle entrosten.
Denn in luftiger Höhe hängend über einer befahrenen Bundesstraße sei eine Sanierung durchaus ein schwieriges Unterfangen, nicht nur unter Umweltaspekten. Dabei erinnert sich Laufs noch an seine eigene Untersuchung. "Ich hatte immer Angst, dass ich lose Teile lostrete und die auf die Straße fallen."
Deutsche Bahn schließt eine Sanierung bisher aus
Die Bahn aber hält eine Sanierung für ausgeschlossen. Immerhin kommt nach zwei Monaten Funkstille Bewegung in die Kommunikation zwischen Bahn und Behörden. Nachdem sich die Bahn mehr als zwei Monate nach der Sperrung erstmals telefonisch mit dem Thüringer Landesamt in Verbindung gesetzt hatte, wurde nun auch ein Termin Ende Mai für ein Gespräch gefunden.
Wie Jörg Metzner, der Chef der Unteren Denkmalschutzbehörde Greiz sagte, soll die Bahn bis Ende Juli außerdem ein Gutachten vorlegen, dass den Anforderungen der Behörden entspricht. Dabei muss jede Verbindung, jeder Knotenpunkt, jede Niet in einer Schadkartierung festgehalten werden. Das Gutachten, mit dem die Bahn im März für die Straßensperrung in Weida sorgte, entspreche diesen Anforderungen bei Weitem nicht.
Kostenfrage für mögliche Sanierung in Weida ungeklärt
Sollte dieses neue Gutachten feststellen, dass das Viadukt entgegen der bisherigen Darstellung der Bahn nicht abgerissen werden muss, stellt sich natürlich die Kostenfrage. Da es sich bei der Bahn um ein Privatunternehmen handelt, müssten sich die Sanierungskosten "im Rahmen des Zumutbaren" bewegen. "Da das Viadukt wirtschaftlich kaum nutzbar ist, wird die Wirtschaftlichkeit eine große Rolle spielen", sagt Metzner.
Dabei verweist er auf den möglicherweise unterlassenen Bauunterhalt in den vergangenen Jahrzehnten. Damit könnte die Bahn nicht einfach auf zu hohe Sanierungskosten verweisen. Dass das Unternehmen jahrzehntelang nur die allernötigsten Sicherungsarbeiten durchgeführt hat, könnte ihr in einem Streit auf die Füße fallen.
Unterstützung auch vom Thüringer Kulturminister
Wie die Staatskanzlei MDR THÜRINGEN mitteilte, erfolgte der letzte Schutzanstrich 1930 und an einigen Bauteilen nochmal 1952. "Die Vernachlässigung des Baudenkmals durch die DB AG wurde sowohl vom Ministerpräsidenten als auch dem Kulturminister kritisiert", heißt es. Den Angaben nach will Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) beim Eisenbahnbundesamt für den Erhalt des Denkmals werben.
Das wiederum prüft derzeit, ob es überhaupt noch zuständig ist, weil die Bahnstrecke schon so lange stillgelegt ist. Fördermittel für die Sanierung sind den Angaben nach unter gewissen Voraussetzungen möglich. Mit Spannung wird nun das neue - laut Metzner "fachlich hoffentlich ausreichend vertiefte" - Gutachten erwartet. Mit einer Entscheidung über die Zukunft des Denkmals ist demnach nicht vor Herbst zu rechnen.
MDR (dhl)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 19. Mai 2023 | 18:00 Uhr
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