Ausgrabungen auf künftiger Stromtrasse Unbekannte Siedlung bei Geißen entdeckt
Hauptinhalt
30. Juli 2023, 21:29 Uhr
Geißen ist ein 180-Seelen-Dorf westlich von Gera, erstmals erwähnt 1121. Doch Ausgrabungen lassen vermuten, dass der Ort noch älter ist.
30 Zentimeter reichen, um mehrere tausend Jahre zurückzuschauen. So dicht unter der Grasnarbe lassen sich Menschheitsgeschichten aufspüren, sind Tim Schüler und Andreas Hummel überzeugt. Die Männer vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie sind gerade da unterwegs, wo das Unternehmen 50Hertz den Bau einer Starkstromleitung plant.
Axel Happe lernte Geißen kennen, weil sein Unternehmen beim Bau der Gleichstromleitung Südostlink auch dort Starkstromkabel in den Boden bringen will. Wenn alle Genehmigungen dafür erteilt sind, dann soll nichts mehr die Arbeiten ausbremsen.
Und deshalb erfolgt jetzt, während die Antragsverfahren noch laufen, schon das, was später nicht mehr aufhalten soll: Die archäologische Erkundung des Trassenlaufes. Als die vor zehn Monaten begann, da ahnten auch erfahrene Archäologen nicht, was Geißen offenbaren würde.
Fundstück für Fundstück Geschichte erkunden
Tim Schüler vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie spricht von Keramikscherben. Mehr als 5.000 sind es längst, die bei Geißen gefunden wurden. Keramik ist hilfreich, um das Alter einer Fundstelle zu bestimmen.
Doch auf dem Tisch neben dem mobilen Büro am Ausgrabungsplatz liegen auch Funde, die offenkundig aus anderen Zeiten stammen: Musketenkugeln dürften aus den Jahren stammen, als Napoleons Truppen hier durchzogen. Auch 100 bis 200 Jahre alte Münzen wurden im Ackerboden gefunden.
Am spannendsten aber sind für sie die Funde, die bei Geißen zurückführen bis mindestens ins 12. Jahrhundert, sagen die Archäologen. Manchmal aber geben sie auch Rätsel auf.
Ungewöhnlicher Ort für einen Hausbau
Schülers Kollege Andreas Hummel hat ein Blatt, auf dem kartiert ist, was erstaunlich erscheint: Da ist eine Geländekante sichtbar, die auch heute in der Natur zu sehen ist. Es scheint ein Graben gewesen zu sein. Und folglich war das ein feuchter Boden. Dort würde eigentlich niemand ein Haus gebaut haben.
Wir gehen davon aus, dass es hier vielleicht eine handwerkliche, wirtschaftliche Nutzung in irgendeiner Form gab.
Aber unter einer Schlammschicht werden bei Geißen durchaus Bebauungsspuren erkennbar. Schon vor Monaten legten die Grabungsarbeiter dort gemauerte Drainagekanäle frei. Sie gehörten zu einem Haus, das offenkundig einen Keller hatte.
Andreas Hummel sagt: "Das ist ungewöhnlich. Wenn man ein normales Wohnhaus baut, macht man das eigentlich an einer anderen Stelle. Das heißt: Wir gehen davon aus, dass es hier vielleicht eine handwerkliche, wirtschaftliche Nutzung in irgendeiner Form gab."
Steinprobe ins Labor nach Berlin geschickt
Dazu passt, was Tim Schüler zeigt und erklärt: Das wuchtigste Einzelfundstück in Geißen hat über 40 Zentimeter Durchmesser. Es ist ein Teil eines Mahlapparates und hat unter anderem eine Art Auslaufloch. "Wir reden jetzt von einer Ölmühle. Eben weil hier so eine Abflussöffnung ist. Das heißt, hier ist also das flüssige Produkt dann abgeflossen."
Aber wie lässt sich so eine Vermutung bestätigen? Die Archäologen haben den steinernen Fund angebohrt. Haben eine Probe entnommen und in ein Labor nach Berlin geschickt. Denn mit den modernen Untersuchungsmethoden heute kann sogar festgestellt werden, was in dem Mahlapparat zerkleinert wurde. Im besten Falle könnten sie in Kürze sagen, welche Früchte im Mittelalter bei Geißen angebaut worden sind, sagt Schüler.
Drohnenbilder für 3-D-Dokumentation
Mit jedem Fundstück wird das Bild etwas klarer. Für eine dreidimensionale Dokumentation werden am Ausgrabungsort Drohnen eingesetzt und GPS-Vermessungen gemacht.
Inzwischen hat sich aus einzelnen Funden ein kleines Bild zusammensetzen lassen: Drei Gebäude gab es nachweislich, steinerne Packlager dienten der Befestigung des Untergrundes, Gruben wurden gefunden, auch Stellen, in denen einmal Pfosten standen.
Ins Depot des Landesamtes werden zur weiteren Forschung und musealen Nutzung einzelne Fundstücke gebracht, darunter Reste einer Tierfigur, die damals wohl das Spielzeug für Kinder gewesen sein dürfte. Der Ausgrabungsplatz selbst wird aber schon in Kürze nicht mehr als solcher erkennbar sein. Suchfelder, die abgearbeitet sind, wurden schon wieder mit Erde bedeckt.
Ende August soll das Projekt Geißen endgültig abgeschlossen sein. Dann wird wohl erst wieder im Boden gegraben, wenn die Stromkabel dort eingebaut werden. Bis 2027 soll das geschehen.
MDR (mar/dvs)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 29. Juli 2023 | 19:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/42ccb19c-62f9-4eb5-b315-285163fec782 was not found on this server.