Martina Schweinsburg mit einem Zettel in der Hand.
Martina Schweinsburg auf dem Landesparteitag der CDU Thüringen in Gera im Februar. Bildrechte: picture alliance/dpa | Michael Reichel

Landtag Die Scharfmacherin? Warum die neue CDU-Abgeordnete Schweinsburg AfD-Gesetzentwürfen zustimmen würde

22. September 2024, 05:00 Uhr

Mehr als drei Jahrzehnte war Martina Schweinsburg Landrätin in Ostthüringen. Jetzt zieht die CDU-Politikerin in den Erfurter Landtag ein und provoziert: Eine AfD-Landtagspräsidentin schließt sie nicht aus - AfD-Gesetzesvorschläge zu unterstützen, kann sie sich vorstellen. Was steckt dahinter?

David Straub schaut in die Kamera.
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Es gibt diese Anekdote über Martina Schweinsburg: In ihrem ehemaligen Landrätin-Büro in Greiz soll es eine Glocke gegeben haben - mit dem Schriftzug "Alles hört auf mich" darauf. 34 Jahre lang war Schweinsburg Landrätin in Ostthüringen, zuerst in Zeulenroda, ab 1994 dann in Greiz.

Aber das mit dem Chefin-Sein ist jetzt vorbei. Martina Schweinsburg zieht für die CDU als Direktkandidatin in den neuen Thüringer Landtag ein, der sich in der kommenden Woche konstituieren soll. Neue und erstmalige Abgeordnete gibt es im Landesparlament ab diesem Herbst viele. Martina Schweinsburg aber ist ein spezieller Fall.

Ich war wirklich total blauäugig, was ein Landrat so zu tun hat.

Martina Schweinsburg

Nach ihrem Studium wird sie 1986 Veterinäringenieurin. Heute erzählt sie, das sei ein Job gewesen, in dem sie fast dasselbe wie eine Tierärztin gemacht habe, aber nur den Bruchteil des Geldes bekommen habe. Als politische Vorbilder nennt sie im Interview sofort Willy Brandt und Helmut Schmidt. "Wir wollten die DDR reformieren und nach vorne bringen - alles war nach der Wende offen", sagt sie über die Wendezeit, die sie politisierte. Als sie dann Kohl im Fernsehen die Einheit beschwören hört, sei für sie die Sache klar gewesen: Schweinsburg wird 1990 CDU-Mitglied und ohne Gegenkandidaten Landrätin des damaligen Kreises Zeulenroda. "Ich war wirklich total blauäugig, was ein Landrat so zu tun hat."

Starkes Ergebnis trotz AfD-Sieg in Greiz

Sie wäre gerne auch in diesem Jahr erneut als Landrätin angetreten, sagt Schweinsburg, doch mit 65 ist das laut Gesetz in Thüringen nicht mehr möglich. Als sie erfährt, dass Bodo Ramelow mit 67 noch einmal als Spitzenkandidat der Linke zur Landtagswahl antreten will, sagt Schweinsburg mit einem Zwinkern: "Da gehe ich halt auch in den Landtag." Es sei keine ganz rationale Entscheidung gewesen.

Das Ergebnis in ihrem Wahlkreis Greiz I ist bemerkenswert: Schweinsburg gewinnt vor dem AfD-Kandidaten Thomas Trommer mit 46,7 Prozent; alle anderen Bewerber rangieren unter "ferner liefen". Bei den Zweitstimmen jedoch holt die CDU im Kreis nur 26,7 Prozent und unterliegt deutlich der AfD mit 37,6 Prozent. Viele Leute im Wahlkreis dürften also direkt Schweinsburg gewählt haben - mit ihrer Zweitstimme aber die Partei des Rechtsextremisten Björn Höcke. Sie sei hier eben gut verwurzelt und auch stolz auf dieses Vertrauen ihrer Wähler, erklärt Schweinsburg das. Überrascht ist sie nicht: "Als Kommunalpolitikerin bin ich immer direkt vom Volk gewählt worden, mit 60 Prozent plus."

Als Kommunalpolitikerin - also als Landrätin und als Chefin der Verbandorganisation Thüringischer Landkreistag - nahm Schweinsburg in den vergangenen Jahren kein Blatt vor den Mund, auch wenn es gegen die eigene Partei ging. Die Brandmauer sei eingestürzt, kritisiert sie ihre Partei für den Umgang mit der AfD. Gegen die Grünen schießt sie, wirft ihnen "religiösen Fanatismus" im Kampf gegen den Klimawandel vor. Nicht zuletzt die Wochenzeitung "Junge Freiheit" huldigt ihr für ihren Stil - das Sprachrohr der "Neuen Rechten" betitelte die CDU-Frau dieser Tage als "Mutige Politikerin".

Mario Voigt (l, CDU), Vorsitzender der CDU von Thüringen, Andreas Bühl (r., CDU), Parlamentarischer Geschäftsführer, und Martina Schweinsburg (M), CDU-Abgeordnete, vor Beginn der Fraktionssitzung der CDU im Thüringer Landtag.
Schweinsburg bei einer Fraktionssitzung am 11. September zwischen CDU-Fraktionchef Mario Voigt (l.) und dem parlamentarischen Geschäftsführer Andreas Bühl. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

"Ach, ich will im Landtag nichts mehr werden"

Auf die Frage, ob sie das Landtagsmandat als Krönung ihrer Karriere sieht, wiegelt Schweinsburg ab. "Ach, ich will im Landtag nichts mehr werden. Ich habe immer dort gedient, wo ich hingestellt wurde." Wohl aus dieser Freiheit heraus dauert es nach der Landtagswahl vom 1. September keine 24 Stunden, da schießt sie, die frischgebackene Abgeordnete, gleich wieder gegen die Linie ihrer Partei und ihres Fraktionschefs Mario Voigt. Und fordert Sondierungsgespräche mit Linke und AfD. "Über 30 Prozent der Thüringer haben AfD gewählt. Und das ist ein Respekt vor dem Wähler, mit denen, die sie gewählt haben, auch zu reden."

Es ist schon manch einer entzaubert worden, wenn er in Verantwortung war.

Martina Schweinsburg

Auch einen halben Monat später beim Gespräch ein paar Tage vor der ersten Landtagssitzung sagt Martina Schweinsburg: "Solange die AfD diese Opferrolle hat und sich ein Teil der Bevölkerung damit identifiziert, solange wird auch nicht über Inhalte nachgedacht. Es ist schon manch einer entzaubert worden, wenn er in Verantwortung war."

Martina Schweinsburg würde die pragmatische Zusammenarbeit mit der AfD, die sie als Landrätin kennt, nun auch gerne auf die Landesebene übertragen. Immerhin kenne sie auch den ein oder anderen Vernünftigen in der AfD-Fraktion. Aber dass die CDU dann zwangsläufig auch mit dem Rechtsextremisten Höcke reden müsse? "Ja, Herrgottnochmal. Ich kann ihn ja nicht erschießen. Er sitzt dort, er ist reingewählt worden, und das muss man respektieren, ob es einem gefällt oder nicht."

Martina Schweinsburg (CDU) 4 min
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Normalisierung von AfD-Positionen

Die politische Forschung hat sich in den vergangenen Jahren viel damit beschäftigt, wie andere Parteien mit der AfD umgehen und was das bedeutet. Umfragen zeigen, dass viele Menschen den erstarkenden Rechtsextremismus in der AfD immer öfter unproblematisch sehen - sich also eine Normalisierung eingestellt hat. Gleichzeitig, so schreibt zum Beispiel die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach, zeigt sich eine starke Tendenz, dass ein Sich-Andienen anderer Parteien "an Sprache und Programm am Ende Rechtspopulisten nützt".

Schließt AfD-Landtagspräsidentin nicht aus

Martina Schweinsburg macht klar: Einen Maulkorb hänge ihr in der neuen CDU-Fraktion unter Chef Mario Voigt keiner vor. Und so sagt sie auf die Frage, was dieses "Mit-der-AfD" - sprich die AfD in Verantwortung zu lassen - denn genau für sie bedeutet: "Ich hätte auch kein Problem, einem guten Gesetzesvorhaben von der AfD zuzustimmen, wenn es gut, pragmatisch und vernünftig und vor allen Dingen ideologiefrei ist."

Außerdem sollte es möglich sein, dass die AfD Posten als Ausschussvorsitzende im Landtag besetzt. Und wie sieht es mit einer AfD-Landtagspräsidentin aus? "Da kommt es drauf an, wen die AfD aufstellt." Ob Wiebke Muhsal, die von der AfD vor wenigen Tagen für den Posten aufgestellt wurde, vorstellbar sei, lässt Schweinsburg offen. Sie kenne Muhsal, die 2017 wegen Betruges verurteilt worden war, noch nicht und wolle schauen, wie sie sich präsentiert.

Stand jetzt hat die AfD für die Wahl des Landtagspräsidenten am 26. September das exklusive Vorschlagsrecht zumindest für die ersten beiden Wahlrunden. Umstritten ist, was danach gilt. Zudem haben CDU und BSW angekündigt, die Geschäftsordnung des Landtags noch ändern zu wollen, damit schon in der ersten Runde andere Kandidaten antreten können.

Immer wieder Nähe zu AfD-Politikerin in Ostthüringen

Um Schweinsburgs Offenheit anderen Parteien gegenüber (insbesondere der AfD) zu verstehen, hilft auch ein genauerer Blick in ihre Heimatregion. Dorthin, wo man sich eben kennt.

Da ist zum einen das "Cafe-Haus Graf Zeppelin" in Gera, das von Dieter Laudenbach betrieben wird. Der Gastronom, der früher mit der Stasi zusammengearbeitet haben soll, sitzt seit 2019 für die AfD im Landtag. Einer, der Schweinsburg öfter im "Graf Zeppelin" gesehen haben will, berichtet anonym, wie sie früher bei "Trinkrunden" regelmäßig mit Laudenbach zusammensaß. Sie entgegnet, man kenne sich schon lange - lange vor Laudenbachs Eintritt in die AfD, und habe sich immer gut verstanden. Auch heute sei sie mit ihm noch kameradschaftlich verbunden, auch wenn man sich kaum mehr sehe.

Ein blaues Auto steht vor einem Haus.
Mittlerweile ist auch das Büro von Dieter Laudenbach im selben Haus untergebracht wie das "Graf Zeppelin" in Gera. Bildrechte: MDR/Privat

Außerdem ist da noch die Sache mit dem Rotary Club. Dort ist Martina Schweinsburg viele Jahre lang engagiert gewesen. Listen zufolge, die dem MDR vorliegen, ebenso wie etwa dreißig andere Mitglieder, darunter der heutige Geraer Oberbürgermeister Kurt Dannenberg. Oder auch Harald Frank, Fraktionsvorsitzender der AfD im Geraer Stadtrat und Verleger des rechten Blatts "Neues Gera".

Das toleriert man.

Martina Schweinsburg

Im Rotary Club sind laut eigenem Verständnis Menschen mit unterschiedlichsten Meinungen und politischen Einstellungen willkommen. Seit einiger Zeit wird jedoch auf Bundesebene diskutiert, wie mit AfD-Mitgliedern umgegangen werden soll. Schweinsburg, die laut eigener Aussage seit etwa drei Jahren kaum mehr bei Treffen gewesen ist, sagt mit Blick auf die Geraer Ortsgruppe und Harald Frank: "Das toleriert man. Und wenn man weiß, dass man politisch andere Ansichten hatte, spricht man das Thema nicht an." Sie, die wiederholt Präsidentin des Rotary Clubs Gera war, werde "in meiner kleinen Provinz nicht Freunde und Bekannte vor den Kopf stoßen, indem ich versuche, die Welt zu retten".

CDU-Politiker: "Sie ist ein Typ"

Spricht man andere Thüringer CDU-Politiker auf die neue Abgeordnete Schweinsburg an, erklingt am Telefon gerne erst einmal ein Lacher. "Schweinsburg ist Schweinsburg", heißt es dann. Ob ihre Positionen in der neuen Fraktion wirklich berücksichtig werden, zweifelt einer an. Sie sei auch keine Teamplayerin sagt ein anderer. Aber: "Heute sind alle glatt, politisch korrekt. Sie dagegen ist ein Typ. Auch wenn ich ihre Meinungen nicht teile."

Am Montag diskutiert Martina Schweinsburg in der Sendung Fakt ist! aus Erfurt mit. Das Thema um 22.10 Uhr im MDR-Fernsehen: "Christlich Demokratisch Unentschlossen - Wenn die Brandmauer das Regieren verhindert". Auch der Oberbürgermeister von Alternburg, André Neumann, wird dort zu Gast sein.

Hintergründe zu diesem Text

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | Fakt ist! aus Erfurt | 23. September 2024 | 22:10 Uhr

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