Jubiläum Theaterfabrik Gera – seit 30 Jahren eine Werkstatt der Gesellschaft
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17. Mai 2024, 10:43 Uhr
Mit einer bunten Festwoche wird in Gera noch bis Sonntag das 30. Jubiläum der Theaterfabrik gefeiert. Die Einrichtung startete in den 90er-Jahren als Theater von Jugendlichen für Jugendliche. Von Anfang an dabei war der inzwischen preisgekrönte Regisseur Tilmann Köhler, der aktuell am DNT Weimar ein neues Stück inszeniert. Im Interview bei MDR KULTUR erklärt er, warum die Theaterfabrik im Gera der Nachwendezeit so wichtig war – und warum sie auch in Zukunft dringend gebraucht wird.
- Für Regisseur Tilmann Köhler war die Theaterfabrik Gera in den 90er-Jahren ein Freiraum zum Experimenten – und Scheitern.
- Aus seiner Sicht war das Theater in der Nachwendezeit ein wichtiger Ort für junge Menschen, um Demokratie zu erleben.
- Auch in der heutigen Zeit hält Köhler Theaterfabriken für unerlässlich, um auf Augenhöhe miteinander ins Gespräch zu kommen.
MDR KULTUR: Wie sind Sie zur Theaterfabrik in Gera gekommen?
Tilmann Köhler: Es war so, dass ich mich eigentlich nur indirekt für Theater interessiert habe. Damals gab es in Gera die Jugendtheater-Schule, die war der Anfang der Fabrik. Das war schon wie so eine kleine Ausbildung, die man hätte machen können. Da hatte ich mal einen Aufnahme-Workshop mitgemacht.
Es hat davon gelebt, dass es ein Freiraum war. Ein Ort, wo man experimentieren konnte.
Ein Jahr später war es dann so, dass man nochmal damit in Kontakt kam. Von da an ging es los, dass ich dort in ganz vielen Projekten war. Die Schule hat sich dann Stück für Stück verändert. Sie wurde zur Fabrik, und die war vor allem ein Ort, wo man selber Theater machen konnte. Das war eigentlich das, was so besonders war: dass man spielen und inszenieren konnte.
Sie haben an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch studiert und darüber geschrieben: "Als ich in Berlin in der Ausbildung war, habe ich mich gewundert, wie dogmatisch und antiquiert dort Theater verstanden wird. Ich war aus der Provinz etwas ganz anderes gewohnt." Wie würden Sie denn das beschreiben, was Sie gewohnt waren?
Ich habe in Berlin schon auch sehr viel gelernt, muss ich sagen. Es ist nicht so, dass das nur antiquiert war, sondern es war einfach ein ganz anderer Ansatz. Das, was in Gera möglich war, war ein Nebeneinander von sehr performativen Ansätzen. Man konnte sich selbst erproben. Es hatte etwas sehr Laborhaftes, was natürlich ein ganz anderer Ansatz ist, als eine Regie-Ausbildung, die sehr schulisch ist.
Es hat davon gelebt, dass es ein Freiraum war. Ein Ort, wo man experimentieren konnte, wo Dinge auch nicht funktionieren konnten, was einen natürlich extrem weiterbringt. Das Scheitern-Dürfen und das Scheitern-Können ist ja so ein ganz großer Moment des Theaters, der einen auch am Theater halten kann.
Was hat es für die Stadt Gera bedeutet, dass es die Theaterfabrik damals gab?
Ich könnte gar nicht ganz genau sagen, was es für die Stadt selber gemacht hat. Es hat aber viel für die jungen Menschen gemacht, die mit diesem Ort in Verbindung kamen und die dort eine Gegenöffentlichkeit in einer sehr Demokratie-skeptischen Gesellschaft erlebt haben.
Und es ist so, dass es natürlich ein Ort war, wo man andere Lebensentwürfe ausprobieren konnte. Die Menschen, die sich in der Stadt dafür interessiert haben und die das besucht haben, für die hat das sicherlich auch einen anderen Blick auf die Stadtgesellschaft gebracht. Und dafür war das ein sehr besonderer, sehr guter Ort.
Wer kam denn zu diesem Ort? Wer kam nicht?
Das könnte ich jetzt im Rückblick gar nicht sagen. Es war schon ein sehr offener Ort, finde ich. Der hat sich sehr geöffnet für Menschen, die sich ausprobieren, etwas spielen und Geschichten erzählen wollten. Und die sich natürlich auch mit dem auseinandersetzen wollten, was sie in dieser Stadt, im Gera der 90er-Jahre, erlebt haben.
Es gab kaum Entwürfe innerhalb dieser Stadt, wo man sehen konnte, dass etwas funktioniert. Sondern man hat dort eigentlich immer nur abbrechende Biografien erlebt. Menschen, die sich neu erfinden müssen und das mehr als Last denn als Chance empfunden haben. Die Theaterfabrik war ein Ort, um einen spielerischen Umgang mit einer Zukunft, Welt und Gesellschaft zu finden. Das war ein großes Glück für mich, dass ich das erleben durfte.
Mehr Theaterfabriken für unsere Gegenwart und die Stadtgesellschaften unserer Zeit – wäre das was, Herr Köhler?
Auf jeden Fall. Vor allem in der Zeit, in der wir jetzt sind, wo man so viele Stadtgesellschaften hat, die auf der Kippe stehen. Wo man nicht genau weiß, wohin sich das entwickelt und wo der Dialog, dieses Gespräch miteinander so wichtig ist – dafür sind diese Orte unerlässlich.
Das ist der Grundpunkt, warum eine Gesellschaft so ein Theater braucht, warum das so ein ganz besonderer Ort ist, wo man zusammenkommt und miteinander spricht. Wo man anhand von Geschichten und Lebensentwürfen erlebt, dass es anders auch denkbar ist und man sich vor allem in die andere Position hineinbegeben kann. Man spielt den anderen – und damit fängt man an, den anderen empathisch zu verstehen.
Das komplette Interview können Sie am Anfang des Artikels hören.
Quelle: MDR KULTUR (Ellen Schweda)
Redaktionelle Bearbeitung: vp, hro
Mehr Informationen
30 Jahre Theaterfabrik
Festwoche vom 13. bis 19. Mai 2024
Bühne am Park
Theaterplatz 1, 07548 Gera
Tonhalle
Clara-Zetkin-Straße 1, 07545 Gera
Veranstaltungen:
Samstag, 18. Mai 2024, 17 Uhr: "Bewegende Erinnerung" vor der Bühne am Park
Samstag, 18. Mai 2024, 18 Uhr: "Sind wir schon da? [Wo wollen wir eigentlich hin?]", Bühne am Park
Sonntag, 19. Mai 2024, 14 Uhr: "Sind wir schon da? [Wo wollen wir eigentlich hin?]", Bühne am Park
Sonntag, 19. Mai 2024, 16 Uhr: "Das brommt!", Tonhalle Gera
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 17. Mai 2024 | 07:10 Uhr