Vereine sorgen sich Pandemie trifft offene Jugendarbeit doppelt heftig
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13. April 2021, 05:00 Uhr
Seit 30 Jahren kümmern sich zwei Vereine aus Ostthüringen um Kinder und Jugendliche. "Great Gera Skates" in Gera und "Römer" in Zeulenroda. Doch es ist schwer, die Kids zu erreichen, wenn alle Sportstätten geschlossen sind. Dabei brauchen die gerade jetzt in der Pandemie Hilfe. Und auch die finanzielle Zukunft der Vereine ist unsicher.
Wo sonst Skateboards und BMX-Räder über die Rampen brettern, die Stimmen von Kindern und Jugendlichen durcheinander schwirren und wunderschöne Graffitis entstehen, ist es heute gespenstisch still. In Gera, am Rand des Hofwiesenparks, gibt es seit 2005 einen Skatepark. Seit mehr als einem Jahr ist er jetzt geschlossen. Immer wieder kommen kleine Gruppen von Skatern vorbei und gucken, ob sich etwas geändert hat und immer wieder werden sie enttäuscht.
Sport bringt Menschen zusammen
Ob Sportvereine, Kultureinrichtungen, Obdachlosenhilfe, Nachbarschafts-, Bildungs- oder Jugendprojekte: Sie alle sind darauf ausgerichtet, dass Menschen zu ihnen kommen. Gerade über den Sport kann man besonders Kinder und Jugendliche gut erreichen, kann Hilfe und Beratung mit Spaß verbinden. Doch derzeit ist das nicht möglich.
30 Jahre Tradition in der Jugendarbeit
Der Great Gera Skates e.V. hat vor 30 Jahren als reiner Sportverein angefangen. Das ist er auch heute noch mit seinem Skatepark, den Volleyballern und den "Angels Cheerleadern". Aber mittlerweile nimmt auch die Jugendarbeit großen Raum ein. Eigentlich logisch, denn durch den Sport kommt man immer wieder mit Kindern und Jugendlichen ins Gespräch, lernt sie kennen, sieht ihre Ängste und Sorgen.
Doch das alles funktioniert jetzt nicht mehr. "Normalerweise sind hier bei gutem Wetter manchmal 40 Kids auf dem Gelände" erzählt Sozialarbeiterin Mandy Geisler. "Für manche sind wir inzwischen ein zweites Zuhause geworden."
Corona hat alles geändert
Im März 2020, als der erste Lockdown kam, ging ein riesiger Aufschrei durch die Jugendhilfe. Keiner wusste, was passiert. Kitas und Schulen rückten zwar schnell in den Fokus der Politik, die Jugendhilfe wurde jedoch häufig vergessen. Dabei leistet die, gerade vor Ort, einen wichtigen strukturellen Beitrag, um für Kinder, Jugendliche und ihre Familien, gerade in der Coronazeit, Unterstützung und Hilfe sicherzustellen.
Sie haben hier in Gera das Glück, dass sie Personalkosten und auch Sachkosten gefördert bekommen. Überhaupt nimmt die Stadt die offene Jugendarbeit sehr ernst. Und gerade hier im Skatepark lief das gut. Auf dem Gelände gibt es auch gleich eine Beratungsstelle, die Graffiti-Szene ist seit 2016 eingebunden.
"Sport ist das Medium, über das wir an die Kinder und Jugendlichen rankommen", weiß Vereinsvorstand Dirk Bogisch. Doch jetzt fällt ihnen das auf die Füße. Weil der Skatepark nämlich als Sportstätte zählt, ist er seit März letzten Jahres durchgängig geschlossen.
Offene Jugendarbeit lebt von Freiwilligkeit
"Wir haben dann vor allem überlegt, wie wir Kontakt halten können", erzählt Mandy Geisler. "Als die Beratungsstellen in Phase gelb wieder öffnen konnten, haben wir einfach unser Sofa und den Kram geschnappt und uns einen anderen Raum gesucht."
Das heißt aber nicht, dass die Jugendlichen jetzt da auch hingehen. Schon, dass Termine vereinbart werden müssen, schreckt sie ab. Und sie wollen ja eigentlich auch rollen auf ihren Skates, BMX-Rädern und Scootern. Freunde treffen und am Rande auch mal über Probleme reden. Aber keine "Einzelgespräche".
Immer wieder neue Ideen entwickelt
Über Social Media hat der Verein es versucht, aber die Jugendlichen wollen raus, sie können nicht ausschließlich am Rechner kommunizieren. Deshalb sind Mandy Geisler und ihre Kolleginnen seit Anfang des Jahres auch in der Stadt unterwegs, gehen dahin, wo die Jugendlichen sich jetzt treffen: Am Theater meistens, aber auch anderswo. "Das Problem ist, da hängen dann alle zusammen, trinken aus einer Flasche. Das ist ja nicht Sinn der Sache. Wenn wir öffnen könnten, wäre das sicherer. Wir könnten auf Abstände hinweisen, auf Masken achten und auf Hygiene-Regeln", weiß die Sozialarbeiterin.
Sie macht sich ziemlich große Sorgen darüber, was derzeit hinter verschlossenen Türen passiert und was da noch nachkommt. Aber aufgeben kommt für das Team vom Verein nicht in Frage: "Wir spüren auch eine große Solidarität. Unsere Mitglieder unterstützen uns, die Soldaten der Bundeswehr aus der Kaserne nebenan haben privat Geld gesammelt und uns gespendet", so Dirk Bogisch.
Und der Landes-Sportbund hat für die Cheerleaderinnen ein Portal geschaffen, wo sie thüringenweit online trainieren können. "Da kann man sich auch mal ein paar Tricks und Erfahrungen von den andern abgucken", erzählt er.
In Zeulenroda kommen finanzielle Probleme dazu
Noch schwerer hat es der Kinder- und Jugendhilfeverein Römer in Zeulenroda/Triebes. 2014 hatten sich dort mehrere Vereine zusammengeschlossen, um effektiver arbeiten zu können. Jens Krüger ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender - ehrenamtlich. Er arbeitet als Notfallsanitäter. Sein Verein musste schon vier Leute entlassen, andere sind in Kurzarbeit. Der Verein, der gerade sein 30-jähriges Jubiläum gefeiert hat, bangt um die wirtschaftliche Existenz.
Verschiedene Angebote in mehreren Orten
"Die Jugendarbeit ist hier wie mit dem Hammer abgebrochen worden. Ich fürchte, nach Corona müssen wir bei Null anfangen." Vor der Pandemie kamen etwa 80 Kinder und Jugendliche pro Tag in die verschiedenen Einrichtungen, manchmal sogar doppelt so viele. Tischtennis, eine Skaterbahn, eine spektakuläre BMX-Strecke, ein Kinderballett und jede Menge offene Ohren für Probleme konnten sie hier finden. "Wir haben auch gekocht. Für manche der Kids war das die einzige warme Mahlzeit am Tag" so Krüger.
Ich weiß, dass es derzeit in vielen Familien knallt. Aber anders als sonst werden die Hilfeschreie nicht mehr gehört.
Und so sorgt er sich noch mehr als um den Verein um die Kinder: "Ich weiß, dass es derzeit in vielen Familien knallt. Aber anders als sonst werden die Hilfeschreie nicht mehr gehört." Gerade in jetzt, in der Pandemie, wären aus seiner Sicht Hilfsangebote wichtig. Aber gerade jetzt sind dem Verein die Hände gebunden.
Dazu kommt, dass beispielsweise die offene Jugendarbeit zu den freiwilligen Leistungen der Kommunen gehört, dass viele der Vereine von Projektförderungen leben. Um das wirtschaftliche Aus zu verhindern, werden zusätzliche Fördermittel und Spenden gebraucht.
Vereinen fehlen finanzielle Rücklagen
Die Corona-Krise setzt nicht nur die Wirtschaft unter Druck, auch die Zivilgesellschaft kämpft mit den Folgen. "Corona ist ein Stresstest für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, das werden wir bald an allen Ecken und Enden spüren", sagt Andreas Rickert, Vorstandsvorsitzender der PHINEO gAG. Das ist eine gemeinnützige Beratungsstelle, die Vereine und Organisationen unterstützt.
"Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise kommen in der Zivilgesellschaft mit zeitlicher Verzögerung an, dann aber mit Wucht. Vereine haben keine finanziellen Rücklagen, sie leben in der Regel von Projektförderungen."
Der Politik die Relevanz deutlich machen
Experten sind sich einig: In der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bleibt gerade kein Stein auf dem anderen. Sie ist vom Shutdown ganz besonders heftig betroffen. Daher ist es umso wichtiger, diesen wichtigen Raum für Kinder und Jugendliche nicht aus den Augen zu verlieren. Und so bleibt zu hoffen, dass den Vereinen nicht die Luft ausgeht, bevor sich endlich jemand darauf besinnt, dass Kinder und Jugendliche mehr sind als nur Schülerinnen und notbetreute Kita-Kinder.
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 12. April 2021 | 05:00 Uhr