Thüringer in der Krise "Manchmal wäre ich gern früher geboren": Wie die Energiekrise einen Studenten in Gera trifft
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25. November 2022, 12:09 Uhr
Seit 2020 studiert Jan Koppe Wirtschaftsinformatik in Gera. Er hat uns erzählt, wie sich die Energiekrise auf sein Leben auswirkt, worum er sich Sorgen macht und wofür er die Einmalzahlung für Studierende ausgibt.
Jan Koppe hat heute, es ist die Woche vor dem ersten Advent, eine Prüfung geschrieben. Jetzt sitzt der Student entspannt auf dem Sofa im Wohnzimmer seiner Zweier-WG in Gera, und erzählt, wie es ihm gerade geht. "Ganz gut", sagt er und lächelt.
Der 25-Jährige studiert Wirtschaftsinformatik im fünften Semester. Weil sein Studium ein sogenanntes duales Studium ist, wechseln Praxisteil und klassisches Studium im Zwölfwochen-Rhythmus: Jan Koppe arbeitet und studiert abwechselnd. Sein Studium absolviert er in Gera. Für seine Arbeit bei einem Energieversorger in Mühlhausen, bei dem er schon eine Ausbildung zum Fachinformatiker gemacht hat, bekommt er zurzeit um die 800 Euro Ausbildungsgehalt pro Monat.
Das ist nicht viel, aber dem Studenten hat es bisher gereicht. Vor allem deswegen, weil er so wenig Miete zahle, erzählt er: "Der Vorteil an Gera ist, dass die Mieten recht erschwinglich sind. Ich bezahle für mein WG-Zimmer inklusive Nebenkosten 177 Euro." Er wohnt am Rand der Stadt in einem fünfstöckigen Plattenbau. Der Mietpreis ist ein Glück, gerade in diesen Zeiten, doch wer weiß, wie lange noch. Jan Koppe: "Ich weiß nicht, ob der Preis so bleibt."
800 Euro müssen für alles reichen
Sollte die Miete nicht erhöht werden, sehen die monatlichen Ausgaben des Studenten in etwa so aus: Ein Viertel seines Gehalts zahlt er für das WG-Zimmer. Der Rest muss reichen für alles andere: Lebensmittel, Getränke, Kleidung, Hygieneartikel, Sprit, Freizeit und für all das, was er sonst noch für sein Studium und überhaupt zum Leben braucht. Da ist zum Beispiel das Studententicket. "Da sind jedes Semester 160 Euro fällig." Noch, denn ab Januar soll dieser Preis steigen. Immerhin: Jan Koppe kann damit thüringenweit mit dem Öffentlichen Nahverkehr fahren.
Fachbücher sind teuer, sie liegen bei 40 bis 50 Euro.
Auch Bücher für das Studium muss er selbst kaufen. Da er sie länger braucht, kann er sie nicht aus der Bibliothek leihen. "Fachbücher sind teuer, sie liegen bei 40 bis 50 Euro. Ich versuche, sie gebraucht zu kaufen, wenn es sie denn gebraucht gibt."
Für sein Hobby gibt der Student nichts von seinem monatlichen Budget aus: "Ich bin als mobiler DJ unterwegs. Die Technik kostet ordentlich und es wird nur etwas gekauft, wenn ich es mit dem Geld bezahlen kann, das ich als DJ einnehme." Er stellt klar: "Das ist ein Hobby und bleibt ein Hobby."
Nebenkosten spart Jan Koppe, wo es geht. "Ich heize nur dann, wenn es wirklich unerträglich ist, ich bin da nicht so empfindlich. Tagsüber, wenn ich an der Uni bin, läuft die Heizung nicht und auch nachts ist sie aus." Außerdem seien die Wohnungen über und unter ihm bewohnt, "da hält sich das Auskühlen in Grenzen." Auch Strom brauche er nicht viel, den größten Teil verbrauchen Kühlschrank und Herd.
Koppe kocht lieber selbst
Die steigenden Preise durch die Energiekrise und die Inflation spürt er vor allem beim Einkauf im Supermarkt. "Ich koche viel selbst", sagt Jan Koppe, auch wenn er ab und zu mittags in der Mensa isst. Hier zahlt er für ein Gericht zwei bis 2,50 Euro. Trotzdem: Selbst kochen ist günstiger. "Wenn ich koche, dann für zwei Tage", sagt der Student.
Ich habe Glück.
Dafür kauft er, was er eben braucht: zum Beispiel Kartoffeln, Zwiebeln und Eier. Für einen Einkauf für anderthalb Wochen bezahle er inzwischen um die 70 Euro, erzählt er. "2020 bin ich mit 50 Euro ausgekommen." Jan Koppe hält kurz inne, dann fügt er hinzu: "Aber ich denke, das ist bei allen so." Der junge Mann beklagt sich nicht. Lieber verweist er auf andere Studierende, bei denen das Geld wirklich knapp sei, weil die Mieten, zum Beispiel in Jena, so hoch wären und sie keine Ausbildungsvergütung bekämen. Er sagt: "Ich habe Glück."
Ich merke, dass weniger übrigbleibt.
Aber natürlich, wenn das Geld ohnehin schon knapp ist, verstärkt diese Krise das noch: "Ich merke, dass weniger übrigbleibt", sagt Jan Koppe. Das Geld, das übrigbleibt, spart der Student. Zum Beispiel für Urlaube oder Reparaturen an seinem Auto, das er aber nur selten nutzt. "Doch ganz lässt sich das nicht vermeiden." Gerade zu Beginn des Semesters, wenn es viel zu transportieren gibt, fährt er mit dem Auto nach Gera.
In Mühlhausen wohnt Jan Koppe bei den Eltern
Während des Praxisteils des Studiums wohnt er in seiner Heimatstadt Mühlhausen bei seinen Eltern. "Zwei Wohnungen zu stemmen, wäre nicht möglich." Jan Koppes Mutter arbeitet in der Altenpflege, der Vater im Automobilbereich. Seitdem die Gaspreise so gestiegen sind, zahlt der Student seinen Eltern einen Teil der Nebenkosten.
Wirklich Angst vor der Zukunft habe er nicht. Aber in Mühlhausen beobachtet Jan Koppe etwas, das ihm Sorgen macht: "Ich sehe, dass viele Handwerksbetriebe, Bäckereien und Fleischereien schließen. Es sind ja nicht nur die Energiepreise gestiegen, es fehlen auch Rohstoffe." Dass sich die Energiekrise auf Gaststätten, Kultureinrichtungen und Geschäfte auswirke, besorgt Jan Koppe sehr. "Da bricht Lebensqualität weg und es kommt so schnell nichts Neues nach. Viele Läden bleiben leer und oft findet sich kein Nachfolger."
Manchmal wäre ich gern ein paar Jahre früher geboren.
Die Fragen, wie sich die Preise wieder normalisieren und wie das Einkommen angepasst wird, treiben ihn um. Und dann sagt er: "Manchmal wäre ich gern ein paar Jahre früher geboren. Diese Zeit jetzt ist keine schöne Zeit." Er hoffe, dass sich alles wieder normalisiere, "die Lebensmittelpreise, die Spritpreise. Ob das so kommt, weiß ich nicht, ich kann es nur hoffen."
Zuerst Studium, dann Berufserfahrung sammeln
In einem Jahr endet sein Studium, dann will er gerne weiter bei dem Mühlhäuser Energieversorger arbeiten und Berufserfahrung sammeln. Doch vorerst zählt nur die nahe Zukunft: "Erstmal will ich dieses Studium schaffen." Das bedeutet viel Arbeit, viel Lernen.
Und das Studentenleben? Es sei nicht so, dass nur gefeiert werde. "Das Studium ist streng getaktet. Die Kurse dauern von acht bis 15 Uhr, danach lerne ich oft noch, auch abends muss ich mich nochmal hinsetzen."
Hilfe vom Bund: 200 Euro für jeden Studenten
Hilfeleistungen hat der Student bislang nicht beantragt. "Bis jetzt brauchte ich das zum Glück noch nicht", sagt er und hofft, dass es dabei bleibt. Immerhin: Zu Beginn des nächsten Jahres wird er eine Hilfeleistung bekommen, die er nicht erst beantragen muss: Dann erhalten Studenten und Fachschüler eine Einmalzahlung von 200 Euro vom Bund.
Klar, man freut sich über alles.
Jan Koppe ist zwiegespalten, was diese Zahlung angeht. Er sagt: "Klar, man freut sich über alles. Aber für viele Studenten, gerade, wenn sie in den teuren Städten wohnen, ist das ein Tropfen auf dem heißen Stein." Er erzählt von einem Freund, der in Freiburg studiert und 500 Euro für sein Zimmer zahle. "Für den sind 200 Euro nicht wirklich viel."
Er selbst werde die 200 Euro wohl für Weihnachten ausgeben. Er freut sich auf das Fest. "Da kommt die ganze Familie zusammen", Eltern, Großeltern, Tanten und Cousins. "Heiligabend feiern alle beisammen bei den Großeltern in Mühlhausen." Jeder bringe traditionell etwas mit. Kann sein, dass er sich in diesem Jahr um die Getränke kümmere.
Nur ein Weihnachtswunsch
Der Student hat nur einen Weihnachtswunsch: Er hätte gern einen Nicer Dicer, eine Art Gemüseschneider mit Zubehör. "Den habe ich mal meinen Eltern geschenkt und jetzt wünsche ich mir auch einen." Praktisch sei der, vor allem, wenn er sich seine Bratkartoffeln mache. "Das ist tatsächlich der einzige Wunsch, den ich habe." Ein Nicer Dicer kostet um die 30 Euro.
Hohe Energiekosten und Inflation - Wie kommen Thüringerinnen und Thüringer durch die Krise? MDR THÜRINGEN hat dazu mehrere Menschen, die einen Einblick in ihre aktuelle Lebenssituation geben wollen, befragt und besucht. Weitere Artikel unserer Serie können Sie in den nächsten Tagen auf mdr-thueringen.de lesen.
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 24. November 2022 | 16:00 Uhr
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