Der Redakteur | 19.02.2024 Vier Jahre für Unfall mit sieben Toten - wie schätzen Anwälte das Urteil ein?
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20. Februar 2024, 08:12 Uhr
Der emotionale Prozess um den tödlichen Unfall in Bad Langensalza mit sieben Toten ist beendet. Das Urteil: Vier Jahre Haft für den Verursacher, der ohne Führerschein und betrunken fuhr. Aber warum wurde am Amtsgericht verhandelt? Denn dort können keine höheren Haftstrafen verhängt werden.
Wäre der Prozess am Landgericht nicht besser aufgehoben gewesen - mit einer Anklage, die auf Autorennen, Vorsatz, Mord und lebenslänglich abzielt? Das sind die Fragen, die sich auch Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung gestellt haben. Grundsätzlich ist es Sache der Staatsanwaltschaft, eine Strafsache zur Anklage zu bringen. Das geschieht in Abhängigkeit vom zu erwartenden Strafmaß beim dann zuständigen Gericht.
Bei Straftaten, die sich gegen den Bestand des Staates richten, ist zum Beispiel sogar in erster Instanz das jeweilige Oberlandesgericht zuständig, letzte Instanz ist jeweils der Bundesgerichthof (BGH). Die unterste Instanz ist das Amtsgericht. Hier sind vier Jahre Haft die Grenze des Strafmaßes, sagt Sonka E. Mehner, Fachanwältin für Strafrecht und Vizepräsidentin des Deutschen Anwaltvereins.
Wann verhandelt ein Amtsgericht - wann ein Landgericht?
Ein Berufsrichter und zwei Schöffen urteilen in Verfahren wie dem zum Unfall bei Bad Langensalza am Amtsgericht Mühlhausen. Hätte die Staatsanwaltschaft ausreichend Anhaltspunkte gesehen, das Verfahren beim Landgericht anzusiedeln, hätten drei Berufsrichter und zwei Schöffen verhandelt.
Das Landgericht wird dann angerufen, wenn Verfahren besonders umfangreich oder schwierig sind, eine lange Verhandlungsdauer erwarten lassen oder eine Straferwartung prognostiziert ist von mehr als vier Jahren.
Für den erhobenen Tatvorwurf der Fahrlässigkeit wären am Landgericht maximal fünf Jahre Haft möglich gewesen, also nicht so weit weg von den vier Jahres des Urteils.
Der Prozess im Podcast:
Rechtsanwalt Thomas Fick ist Anwalt der Opferseite im Verfahren und sieht die Entscheidung für das Amtsgerichtsverfahren als "diskutabel" an. Er räumt ein, dass es die Bevölkerung aufwühlt, weil der Täter mit mehr als 1,3 Promille absolut fahruntüchtig war, keinen Führerschein hatte und mit mehr als 130 km/h auf der Landstraße unterwegs war.
Ob diese kritischen Stimmen bei fünf statt der vier Jahre Haft verstummt wären, ist trotzdem fraglich. Viele wollten deutlich mehr, aber mehr als Fahrlässigkeit haben die Akten - und Beweislage nicht hergegeben, so Thomas Fick.
Unfall mit sieben Toten: Warum war das weder Vorsatz noch Mord?
Mit einem Vorsatz-Vorwurf und sogar Mordmerkmalen einer Tat wäre definitiv das Landgericht zuständig gewesen. Nur reicht es nicht, diese Vorwürfe zu erheben, sie müssen auch nachgewiesen werden können. Bei Mord muss mindestens ein Mordmerkmal erfüllt sein: Dazu zählen unter anderem Mordlust, Habgier, Heimtücke, Grausamkeit, gemeingefährliche Mittel (wie Steinwürfe von der Autobahnbrücke) oder das Motiv, eine andere Straftat zu verdecken.
Ein Mordmerkmal und auch der Vorsatzvorwurf waren im Fall des Unfalls nahe Bad Langensalza offenbar unter Berücksichtigung von Spuren, Gutachten und Zeugenaussagen nicht zu erkennen.
Auch für die Anwendung des neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch, der für diese Autorennen geschaffen wurde, gab es nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte.
Trotzdem hätte der Richter am Amtsgericht Mühlhausen die Möglichkeit gehabt, den Fall ans Landgericht zu verweisen. So geschehen im Dezember 2023 in einem ähnlichen Fall in München. Hier war ein 22-Jähriger ebenfalls ohne Führerschein unterwegs gewesen, stand dabei unter Drogen und Alkohol und entzog sich durch Flucht einer Polizeikontrolle. Er raste mit mindestens 144 km/h durch die Stadt und letztlich bei Rot über die Kreuzung, an der es zum Unfall kam. Ein 18-Jähriger kam ums Leben, fünf weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Anders als in Mühlhausen hatte die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift um den besagten Paragrafen 325d erweitert, das verbotene Kraftfahrzeugrennen. Hier ist insbesondere der Absatz 1 Nummer 3 relevant, wenn sich jemand "grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen." Was sich im bayerischen Fall auf die auch vom Täter zugegebene Flucht vor der Polizei bezieht. Hier sind - wegen der Todesfolge - bis zu 10 Jahre Haft möglich. Deshalb hat die Münchner Amtsrichterin den Fall an das Landgericht verwiesen.
Welche Rolle spielt die Verfahrensdauer für Opfer oder Angehörige?
Neben der angemessenen Strafe für den Täter spielen bei der Führung eines Prozesses auch die Opfer eine Rolle. Wenn zur Maximierung der Strafe die seelische Belastung der Opfer ins Unerträgliche gesteigert werden muss, werden die Prozessbeteiligten davon Abstand nehmen - zum Beispiel bei Sexualdelikten, wenn damit dem Opfer detaillierte Aussagen erspart bleiben.
Auch vielen Hinterbliebenen sind lange Prozesse oft nicht zumutbar. Die Prozessdauer von zwei Tagen wäre möglichweise am Landgericht nicht zu halten gewesen, wobei das von Geschädigten durchaus unterschiedlich betrachtet wird, sagt Anwältin Sonka E. Mehner und weiß aus ihrer Prozesserfahrung, dass der kurze Prozess auch nicht immer als angemessen empfunden wird, wenn Menschen gestorben sind.
Für die Hinterbliebenen am Amtsgericht Mühlhausen waren nach Einschätzung von Hinterbliebenenanwalt Thomas Fick die zwei Verhandlungstage schon eine extreme Belastung. Eine noch ausführlichere Prozessführung mit noch mehr Zeugen und Befragung von Sachverständigen hätten die Parteien wahrscheinlich nicht ausgehalten.
Da fand ich es schon angemessen, dass der Richter versucht hat, das zeitlich zu beschränken.
Und noch einen Aspekt betonten Sonka E. Mehner und Thomas Fick: Vor dem Amtsgericht sind Termine einfacher zu bekommen als vor dem Landgericht. Ein zügiges Urteil ist häufig auch im Sinne der Opferfamilien, um mit dem Prozessthema abschließen zu können.
Die Amtsgerichte sind auch ausgelastet, aber manchmal bekommt man dort die Verfahren schneller hin.
"Erregungskultur" - Was sind die Grenzen und Ziele unseres Strafrechts?
Einige Meinungen in den sozialen Netzwerken zum Prozess in Mühlhausen waren von der Vorstellung geprägt, "in solchen Fällen hilft nur die ganz harte Strafe", Todeswünsche eingeschlossen.
Aber so funktioniert unser Rechtssystem nicht. Sowohl der Anwalt der Hinterbliebenen als auch die Vizepräsidentin des Deutschen Anwaltvereins verweisen auf die Errungenschaft unseres Rechtsstaates, mittelalterlich anmutende Strafen auszuschließen. Denn es gibt durchaus noch Rechtssysteme wie die islamische Scharia, wo gleiches mit gleichem vergolten werden kann und zwar durch die Hand der Opferfamilie.
Thomas Fick kritisiert eine "Erregungskultur" genauso wie Sonka E. Mehner. Diese brachiale Wortgewalt im Netz geschieht oft in Unkenntnis der Aufgaben eines Gerichts, das neben den schon erwähnten Opferschutzgesichtspunkten und der angemessenen Strafe auch die Resozialisierung im Blick haben muss.
Unser Strafrecht ist nicht darauf ausgelegt, Menschen mit zum Sankt-Nimmerleins-Tag wegzusperren. […] Man kann niemanden wieder dadurch zurückbringen, dass jemand lebenslänglich in den Knast geht. Das kann der Strafprozess nicht leisten.
Dass trotz allem für viele Hinterbliebene keine Strafe angemessen genug sein kann, das ist trotz der hehren Ziele unseres Rechtsstaats absolut verständlich.
Quelle: MDR (ls)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 19. Februar 2024 | 16:10 Uhr