Einwohnerversammlung Spannungen wegen Gemeinschaftsunterkunft: Schlotheim sucht Ideen für den "inneren Frieden"
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22. November 2023, 19:48 Uhr
Das Stadtgebiet von Schlotheim im Unstrut-Hainich-Kreis wird seit November verstärkt von Ordnungsamt und Polizei kontrolliert. Darüber hat Bürgermeister Alexander Blankenburg in einer Einwohnerversammlung informiert. Die vollbelegte Gemeinschaftsunterkunft beschäftige das Rathaus. Die Staatskanzlei wisse Bescheid, habe Hilfe zugesagt und auch versichert.
Bürgermeister Alexander Blankenburg (parteilos) sprach von "erheblichen Spannungen auf Plätzen und in Supermärkten". Gemeinsam mit dem Schlotheimer Ortschaftsbürgermeister Carsten Wacker - beide sind seit 10. September im Amt - sitzt er am 21. November 2023 in der Tennishalle vor mehr als 100 Zuhörern.
Eingeladen hatte er zum Thema Dorferneuerung. Dass es auf Facebook auch eine Einladung zum Thema Gemeinschaftsunterkunft gab, damit habe er nichts zu tun, sagte Blankenburg zu Beginn der Versammlung. Dennoch hatte er sich auf das Thema vorbereitet. Rund 1.000 Flüchtlinge leben in Wohnungen, im Kinderheim und in der Gemeinschaftsunterkunft Obermehler.
Das sorge für "erhebliche Spannungen"; vermehrt seien Vermögensdelikte zu beklagen. "Scheuen Sie sich nicht, diese Delikte anzuzeigen", so der Bürgermeister, der bis vor wenigen Wochen noch Leiter einer Verwaltungseinheit der Bundeswehr war. "Kommen Sie ins Rathaus", bat er die Zuschauer. "Ich habe es gelernt, dass ich jetzt Politiker bin."
Zum Aufklappen: Erstaufnahmeeinrichtung und andere Unterkünfte - Was sind die Unterschiede?
Wenn Asylsuchende nach Deutschland kommen, werden sie über das sogenannte Easy-System auf die Bundesländer verteilt. In Thüringen kommen sie daraufhin in die Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl. Die ist damit seit Ende 2017 quasi das Eingangstor für Geflüchtete nach Thüringen. Dort werden sie registriert, es finden medizinische Untersuchungen statt und auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) führt dort die Interviews für den Asylantrag durch.
Laut Asylgesetz sollen die Menschen maximal 18 Monate in Suhl bleiben. In der Praxis dauert es aber deutlich länger, bis die Flüchtlinge auf Unterkünfte in den Kommunen verteilt werden.
Um die Lage in Suhl zu entspannen, wurden in der Vergangenheit sogenannte Außenstellen eingerichtet. Dazu zählen Eisenberg und Hermsdorf. Dort werden die Geflüchteten seit Oktober ebenfalls registriert, um Suhl zu entlasten.
Aus dem gleichen Grund gab die Landesregierung zudem Anfang Oktober bekannt, vier neue regionale "Gemeinschaftsunterkünfte" einzurichten. Diese Unterkünfte sollen vom Land finanziert, aber mit der betreffenden Kommune geplant werden. Bei der Unterkunft in Gera handelt es sich laut Innenministerium um die erste dieser vier geplanten Einrichtungen. Insgesamt sollen laut Ministerium so 700 neue Plätze entstehen, die bei Bedarf kurzfristig genutzt werden können.
Rathaus sieht sich am Limit
Das Einwohnermeldeamt im Schlotheimer Rathaus sei ebenfalls überlastet; hier muss jeder neue Zuwanderer registriert werden. Nur mit einer behördlichen Meldebescheinigung könne ein Konto eröffnet werden. Auch das habe er Staatskanzleichef Benjamin Hoff (Linke) in einer Video-Schalte erklärt.
Dabei sei auch klargestellt worden, dass es nie Pläne zu einer Erstaufnahmeeinrichtung in Schlotheim oder Obermehler gegeben habe. Dieses Gerücht soll ein Grund für den Aufruf bei Facebook gewesen sein, zu dieser Einwohnerversammlung zu kommen.
"Wir brauchen Ideen für den inneren Frieden", sagte Blankenburg. Dazu gehöre auch, zu diesem Thema nicht zu schweigen. Dass das Ordnungsamt nun auffälliger agiere, sei ein Teil davon. Die Streifen gemeinsam mit dem Kontaktbereichsbeamten seien an verschiedenen Tagen unterwegs.
Heftige Kritik für Flüchtlingssituation
Für viele der 100 Zuhörer in der Tennishalle ist das am Dienstagabend zu wenig. "Wir müssen das nicht so hinnehmen", sagte Jens Kunze, der im Kreistag sitzt sowie im Stadtrat für das Bündnis für Soziale Ordnung (BSO). Von ihm und weiteren Teilnehmern wurde die aktuelle Flüchtlingssituation vor Ort heftig kritisiert. In Redebeiträgen machten sie deutlich, dass die Schmerzgrenze angesichts von 1.000 Flüchtlingen bei rund 4.000 Einwohnern rund um die Gemeinschaftsunterkunft erreicht sei.
"Wir leben nicht mehr wie früher, wir ziehen uns zurück", sagte eine Frau. Begrüßt wurde auch, dass es dieses Mal kein Polizei-Aufgebot gebe. Bei der bislang letzten derartigen Einwohnerversammlung vor acht Jahren sei man von einer Polizei-Hundertschaft empfangen worden; in der Tennishalle sei es damals - anders als dieses Mal - eiskalt gewesen.
Auch ärztliche Versorgung ist Thema
Ein Schlotheimer beklagte, dass man sich den Hausarzt teilen müsse und deshalb schlechter versorgt werde. Dabei sei den Schlotheimer eine Verbesserung der ärztlichen Versorgung versprochen worden. Auch dafür gab es Beifall von den Zuschauern. Diese Themen - Ärzte, Schule und Einkäufe - seien mit der Staatskanzlei besprochen worden, ergänzte Blankenburg.
Er bat die Bürger, mit den Sorgen und Nöten nicht auf die nächste Bürgerversammlung zu warten. Im Verlauf der Versammlung war es auch um die Schulen der Stadt und das lückenhafte Schulbusnetz gegangen.
Sachsen organisieren Abstimmung zur Gemeinschaftsunterkunft
Stadtrat Jens Kunze rief die Menschen dazu auf, sich an einer Abstimmung pro oder gegen die Flüchtlingsunterkunft zu beteiligen. Diese fand im Eingangsbereich der Tennishalle statt. Die Ergebnisse sollen im Rathaus übergeben werden, kündigte einer der Organisatoren aus Zwönitz in Sachsen an. Auch in Zwönitz habe vor einigen Jahren eine geplante Flüchtlingsunterkunft verhindert werden können.
Auf einem ausgelegten Flyer der selbsternannten "Gemeindeversammlung Zwönitz" wurde für eine aus der "Reichsbürger"-Szene bekannte kommunale Selbstverwaltung geworben. Diesem Thema galt auch ein weiterer Stimmzettel. Die "Gemeindeversammlung Zwönitz" spielte in der Vergangenheit auch ein Rolle bei Protesten gegen Corona-Regeln in Sachsen.
Wie die "Dresdner Neuesten Nachrichten" im Juni 2001 mit Verweis auf Angaben des Verfassungsschutzes schrieben, soll es sich um eine Gruppe Zwönitzer Bürger handeln, die sich um einen bekannten Reichsbürger gegründet hat.
Was sind Reichsbürger?
Laut Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) bezeichnen sich Gruppen von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern selbst als "Reichsbürger". Sie lehnen die Demokratie und damit auch die Bundesrepublik Deutschland ab. Diese Gruppen behaupten, das Grundgesetz sei eine "Fortsetzung des Krieges gegen das Deutsche Reich" und die Bundesregierung ein von "den westlichen Siegermächten aufgezwungenes Statut der Fremdherrschaft über das Deutsche Volk".
Weil sie den Staat nicht anerkennen, weigern sich die Reichsbürger Steuern zu zahlen und nehmen die deutsche Gesetzgebung nicht an. Deswegen stellen manche eigene Reisepässe und Führerscheine her und ernennen sich selbst zu "Ministern" eigener "Reichsregierungen".
Das Bundesinnenministerium geht bundesweit von mehreren hundert Mitgliedern aus. Die Reichsbürger sind keine einheitliche Gruppe und teilweise untereinander zerstritten. Einige sind Neonazis, andere Esoterik-Anhänger. Ihre gemeinsame Kernideologie ist laut bpb antisemitisch, demokratiefeindlich und geschichtsrevisionistisch.
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 22. November 2023 | 19:00 Uhr
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